Raubkunst im Gurlitt-Nachlass, verschleppte Schätze in Russland und ein umstrittener Vorschlag zur Rückgabepraxis: 2014 gab es heftige Auseinandersetzungen um die Folgen der NS-Kunstpolitik.

Stuttgart - Als Walter Westfeld am 23. Januar 1943 nach Auschwitz gebracht wurde, hatte die nationalsozialistische Bürokratie schon ganze Arbeit geleistet. Bereits Monate vorher war das gesamte Vermögen des einstmals wohlhabenden Kunsthändlers aus Wuppertal eingezogen worden. Die Bilder aus Westfelds Galerie waren bereits 1939 beschlagnahmt und im Kölner Kunsthaus Lempertz versteigert worden. Als Westfeld zu einem nicht geklärten Zeitpunkt in Auschwitz ermordet wurde, hatten seine Bilder längst eine lange Reise angetreten. Sie gingen durch die Hände zahlreicher Besitzer, überschritten Landesgrenzen oder verschwanden ganz.

 

Vor über einem Jahr wurde bekannt, dass der Münchner Kunstsammler Cornelius Gurlitt über 1500 Bilder in seiner Wohnung versteckt hielt. Viele der Bilder stehen unter Raubkunst-Verdacht: Sie könnten einst jüdischen Besitzern wie Walter Westfeld gehört haben. Bis heute sind mehr als 200 Anfragen von Erben möglicher NS-Opfer bei der Taskforce „Schwabinger Kunstfund“ eingegangen.

Der Gurlitt-Fall hat gleich mehrere Diskussionen angestoßen: Wie sollen Museen und Privatleute mit Raubkunst umgehen? Welche Ansprüche haben die Nachfahren der NS-Opfer noch? Und wie soll mit Werken der entarteten Kunst verfahren werden, die von den Nazis beschlagnahmt wurde? Um diese Punkte hat sich eine komplexe Debatte mit unscharfen Begriffen und offenen Fragen entsponnen, die der Klärung bedürfen. So etwa die Frage, was eigentlich Raubkunst ist?

Für Walter Westfeld war es zu spät

Als Raubkunst werden Kunstwerke bezeichnet, die während der Zeit des Nationalsozialismus ihren Besitzern aufgrund ethnischer, religiöser oder politischer Verfolgung weggenommen wurden. Dies betraf in erster Linie Juden im Deutschen Reich, wie den Wuppertaler Walter Westfeld, und in den von Deutschen besetzten Gebieten. Dazu zählen auch Kunstwerke, welche die Besitzer aufgrund der Verfolgung selbst verkaufen mussten: Häufig waren etwa jüdische Besitzer infolge von Berufsverboten und diskriminierenden Abgaben gezwungen, ihre Kunstwerke zu veräußern, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Viele versuchten, so ihre Flucht ins Ausland zu finanzieren. Auch Walter Westfeld hatte nach der Reichspogromnacht geplant, das Land zu verlassen und zu diesem Zweck einige seiner Bilder ins Ausland verkauft. Bevor er diesen Plan allerdings umsetzen konnte, wurde der Kunsthändler verhaftet.

Schätzungen zufolge umfasste die NS-Raubkunst 600 000 Kunstgegenstände, davon sollen 200 000 Objekte aus Deutschland und Österreich stammen. Die Alliierten ergriffen erste Maßnahmen zur Rückgabe, der sogenannten Restitution der Kunstwerke. Auch die junge Bundesrepublik schrieb diese Regelungen mit dem Bundesrückerstattungsgesetz von 1957 fort.

Heute gelten die meisten Ansprüche von Nachkommen der ursprünglichen Besitzer als verjährt. Pläne, die Verjährung für den NS-Kunstraub durch eine gesetzliche Regelung aufzuheben, sind bisher gescheitert. Zuletzt machte der bayerische Justizminister Winfried Bausback einen Vorstoß in dieser Richtung: Käufer, die von der rechtswidrigen Herkunft der Bilder wussten, sollten sich nicht auf die Verjährung berufen können.

„Gerechte und faire Lösung“

Die Bundesregierung verpflichtete sich in der Washingtoner Erklärung von 1998 freiwillig, Werke der Raubkunst zu identifizieren, ihre Eigentümer und Erben ausfindig zu machen und eine „gerechte und faire Lösung“ zu finden. Die Washingtoner Erklärung bindet allerdings nur staatliche Einrichtungen und keine Privatpersonen wie Cornelius Gurlitt. Aus Sicht seiner Anwälte war er aufgrund der Verjährung rechtlich nicht verpflichtet, Raubkunst aus seinem Besitz zu restituieren.

Als Konsequenz der Washingtoner Erklärung richtete die Bundesrepublik die sogenannte Limbach-Kommission ein. Sie vermittelt zwischen öffentlichen Einrichtungen und ehemaligen Eigentümern oder Erben und gibt rechtlich nicht bindende Empfehlungen ab. Benannt wurde die Kommission nach der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, welche die Kommission bis heute leitet. Ein Teil von Gurlitts Sammlung gehört zur sogenannten „entarteten Kunst“. Dabei handelt es sich um Kunstwerke, welche die Nazis als „artfremd“ oder „Verfallskunst“ bezeichneten und in den dreißiger Jahren aus Museen und öffentlichen Sammlungen beschlagnahmten.

Einige der Werke wurden ab 1937 in der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ öffentlich zur Schau gestellt. Ein Teil der circa 20 000 Kunstwerke wurde zerstört, andere wurden ins Ausland verkauft. Einer der Kunsthändler, die mit diesem Verkauf beauftragt waren, war Hildebrand Gurlitt. Er behielt einige der „entarteten“ Werke für sich und vererbte sie mit dem Rest seiner Sammlung an seinen Sohn Cornelius Gurlitt weiter. Da das Gesetz aus der NS-Zeit zur Beschlagnahmung der „entarteten Kunst“ nie aufgehoben wurde, gilt der Kauf dieser Kunstwerke in der Regel bis heute als rechtmäßig.

Die Museumsdirektoren halten nichts von Limbachs Idee

Eine erneute Diskussion über die „entartete Kunst“ stieß jüngst Jutta Limbach an. Sie fordert, dass auch die „entartete Kunst“ restituiert werden sollte. Die Werke gehörten zur NS-Zeit fast ausschließlich öffentlichen Museen – viele hängen inzwischen in anderen deutschen Museen, die die Bilder nach dem Krieg aufkauften. Aus Limbachs Sicht sollte dennoch die Weitsicht der Kuratoren und Direktoren honoriert werden, die während der NS-Zeit die Wertigkeit der modernen Kunst erkannt hatten. Museumsleiter in ganz Deutschland reagierten allerdings ablehnend auf diesen „großen Ringtausch“, den Limbachs Vorschlag nach sich ziehen würde. Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz monierte, dass durch eine solche Regelung die „neuen organischen Sammlungszusammenhänge der vergangenen Jahrzehnte wieder aufgebrochen werden“.

Nicht nur die Nazis stahlen Kunstwerke. Auch die Alliierten nahmen sogenannte Beutekunst in den von ihnen besetzten Gebieten an sich. Dies führte ebenfalls zu Konflikten, die bis heute schwelen. Als Beutekunst werden im Allgemeinen Kulturgüter bezeichnet, die im Zuge von Kriegen entwendet werden. Im engeren Sinne bezieht sich der Begriff Beutekunst auf Kulturgüter, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion gebracht wurden. Bis heute befinden sich wertvolle deutsche Kulturgüter in russischen Museen, etwa der von dem Archäologen Heinrich Schliemann entdeckte Schatz des Priamos oder der Eberswalder Goldschatz. Diesen begutachtete Angela Merkel bei einem Russlandbesuch im Jahr 2013, als er in einer Ausstellung der St. Petersburger Eremitage gezeigt wurde. Als bekannt wurde, dass Merkel das schwierige Thema der Beutekunst ansprechen wollte, wurde ihr das Grußwort von russischer Seite zunächst verwehrt. Die Verhandlungen über die Rückgabe geraubter deutscher Kulturgüter sind seither ins Stocken geraten.