Der britische Markt bleibt wichtig, auch wenn die Geschäfte für die Firmen schwieriger werden. Doch die Unsicherheit in den Chefetagen wächst.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Der Mobilfunkkonzern Vodafone droht damit, die Firmenzentrale von den Britischen Inseln abzuziehen – in Nordrhein-Westfalen, wo bereits die Deutschlandzentrale des Konzerns ihren Sitz hat, wäre Vodafone höchst willkommen. Auch andere Unternehmen stellen ähnliche Überlegungen an. Welchen Sinn hat es, sich weiter mit dem Firmensitz an einem Land festzukrallen, das sich vom weltweit wichtigsten Binnenmarkt abschottet, fragen sie sich. Großbritannien reagiert darauf: Um attraktiv zu bleiben, hat das Land bereits angekündigt, die Körperschaftsteuer senken zu wollen. Damit will der britische Schatzminister George Osborne die negativen Folgen für Großbritannien im Zuge des EU-Austritts begrenzen. Vorgesehen sei ein Steuersatz von weniger als 15 Prozent, heißt es. Derzeit liegt er bei 20 Prozent.

 

Für Unternehmen aus dem deutschen Südwesten bleibt die Insel ein wichtiger Markt – auch wenn das Land nicht mehr zur EU gehören will. Die Stuttgarter Robert Bosch GmbH lässt sich vom Referendum zunächst nicht sonderlich beeindrucken: „Wir halten an unseren Aktivitäten in Großbritannien fest und planen in diesem Jahr voraussichtlich 20 bis 25 Millionen Euro dort zu investieren“, erklärte das Unternehmen. Dies, so Steffen Hoffmann, Präsident der Bosch-Gruppe in Großbritannien, „entspricht etwa dem Vorjahresniveau.“ Mit einem Umsatzbeitrag von 3,7 Milliarden Euro sind die britischen Inseln nach Deutschland der zweitwichtigste Markt in Europa. Die Hälfte des Umsatzes im Vereinigten Königreich wird mit Komponenten für die Fahrzeugindustrie erwirtschaftet, ein Drittel steuern Konsumgüter bei. Beschäftigt werden dort etwa 5300 Mitarbeiter, die unter anderem Gartengeräte, hydraulische Einrichtungen, Verpackungsmaschinen sowie Öl- und Gasheizgeräte herstellen. Da der Großteil der in Großbritannien hergestellten Geräte für den lokalen Markt bestimmt sind, gibt es kaum Wechselkurseffekte. Anders sieht es bei Komponenten für die britischen Fahrzeughersteller aus: Diese kommen vorwiegend vom Kontinent.

Trumpf spürt keine Zurückhaltung

„Seit der Brexit-Entscheidung beobachten wir den Markt noch aufmerksamer als sonst“, sagt Anette Doyle, die Geschäftsführerin der Trumpf-Niederlassung in Großbritannien, die Laser- und Biegemaschinen für die Blechbearbeitung vertreibt und rund 90 Mitarbeiter beschäftigt. Bislang spüre das Unternehmen noch keine Zurückhaltung bei den Investitionen, die mit dem Brexit erklärbar wären. Neben dieser Tochtergesellschaft gibt es noch zwei Produktionsstandorte für Laser unter dem Namen SPI. Bei diesen arbeiten 300 Beschäftigte, die Produkte werden vorwiegend auf dem Kontinent verkauft. Der Umsatz an diesen Standorten liegt bei rund 70 Millionen Euro. Trumpf rechnet damit, dass es für die Wirtschaft zu einem „Brexit-light“ kommt. Die Auswirkungen auf Zölle und Steuern würden sich dann wohl im Rahmen halten, meinte ein Sprecher des Unternehmens. Auf eine solche Entwicklung deute auch der jüngste Vorschlag der Regierung hin, die Körperschaftssteuer zu senken. Einen Nebeneffekt übrigens hat der Brexit für Trumpf bereits gezeitigt: Da er das Pfund auf Talfahrt geschickt hat, werden die Laser von den Inseln billiger.

„Wir stehen zum Markt in Großbritannien“, sagt ein Sprecher Motorsägenherstellers Stihl. Das Land gehört zu den zehn wichtigsten Märkten des Waiblinger Unternehmens. Kurzfristig seien dort keine besonderen Reaktionen auf den Brexit-Entscheid geplant. Womit man aber rechnen muss, beschreibt Vertriebsvorstand Norbert Pick so: „Die Exportabwicklung wird aufwendiger, da der freie Warenverkehr nicht mehr wie bisher möglich ist.“ Die Vertriebsgesellschaft in Camberly muss dann mehr für Trennschleifer bezahlen, die sie in Deutschland ordert.

GFT erzielt 43 Prozent des Umsatzes auf der Insel

Doch bei keinem dieser Unternehmen trägt der britische Markt soviel zum Umsatz bei wie bei der Stuttgarter Softwareschmiede GFT. Von den etwas mehr als 373 Millionen Euro, die das Unternehmen in seine Bücher schreiben konnte, stammten 43 Prozent aus Geschäften mit der Londoner City. Die etwas mehr als 240 Beschäftigten in England machen etwa sieben Prozent der gesamten Mitarbeiterzahl aus, den aller größten Teil ihrer Softwarelösungen für die Briten erbringt GFT mit Beschäftigten in Spanien oder Polen. „Ein Szenario für uns ist, dass sich im IT-Bereich für uns nicht viel verändern wird“, sagt Finanzvorstand Jochen Ruetz – selbst wenn es Verlagerungen im Finanzmarkt gebe und etwa Frankfurt wichtiger werde. Werde ein Fondsprodukt nicht mehr in London verkauft, könne die nötige Software dennoch von dort aus eingesetzt werden. Und überhaupt sei ein großer Teil der GFT-Mitarbeiter an kostengünstigen Standorten wie Spanien oder Polen beschäftigt – ob diese nun ihre Software nach London oder nach Frankfurt liefern, ist so wichtig für das Unternehmen nicht. „Das Ergebnis wird etwas zurückgehen“, sagt der Finanzvorstand – weil in der Bilanz letzten Endes in Euro abgerechnet wird.

Auch Daimler erwartet keine unmittelbaren Auswirkungen der Brexit-Entscheidung. Beschäftigt werde dort eine mittlere zweistellige Zahl an Mitarbeitern, der Umsatz liege im hohen einstelligen Milliardenbereich, heißt es bei dem Autobauer. „Wir werden die weitere Entwicklung genau beobachten und entsprechend reagieren“ erklärt ein Sprecher. Das wird wohl nötig sein. Denn auch wenn die Unternehmen aus dem Südwesten noch nicht zum Rückzug von den britischen Inseln blasen – dass die zweitwichtigste Volkswirtschaft Europas vom Fels in der Brandung zum Risikofaktor geworden ist, dies ist eindeutig.