Dass die AfD in der IG Metall relativ viele Sympathisanten findet, hat vor allem mit dem Strukturwandel und der Sorge um die Jobs zu tun. Bezirksleiter Zitzelsberger versucht gegenzusteuern. Aber auch die Industrie nimmt er scharf ins Visier.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Leinfelden - Es ist selbst für den baden-württembergischen Bezirksleiter der IG Metall, der gerne Neues ausprobiert, eine ungewöhnliche Rede. Fast eine Stunde lang redet Roman Zitzelsberger auf der Bezirkskonferenz in Leinfelden mit Leidenschaft über die Folgen der Erderwärmung. Sein Fazit lautet: Teile der Metall- und Elektroindustrie „sitzen noch im Bremserhäuschen und verspielen unsere Zukunft“. Das Abwarten werde „zum Ausdruck unternehmerischer Klugheit und Weitsicht“, spottet er.

 

Derzeit erstellt die IG Metall einen sogenannten Transformationsatlas; Anfang Juni wird er in Frankfurt vorgestellt. Er enthält Daten aus 2000 Betrieben und soll den Umbruch durch Digitalisierung und Elektromobilität sichtbar machen. 317 ausgefüllte Fragebögen aus dem Südwesten, betont Zitzelsberger, ließen keinen Zweifel zu, dass „die Beschäftigungsrisiken zunehmen, Qualifizierungsangebote nicht Schritt halten und eine zukunftsfähige Unternehmensstrategie in vielen Fällen Fehlanzeige ist“. Ein „viel zu großer Anteil der Firmen habe überhaupt noch nichts gemacht“, was neue Antriebsstränge oder die Digitalisierung betreffe.

Attacke gegen Südwestmetall

Dahinter steckt auch die Angst um die Arbeitsplätze, die für viele Beschäftigte der „überragende Fokus“ sei. Direkt greift Zitzelsberger somit den Sozialpartner Südwestmetall an, der jüngst in unserer Zeitung versucht hatte, Ängste auf Arbeitnehmerseite zu dämpfen. Demnach „bleibt es abzuwarten, ob die aktuellen Herausforderungen tatsächlich zu solch gravierenden Umwälzungen führen, wie manche befürchten“. Zitzelsberger kontert: Nach den jüngsten EU-Beschlüssen seien in der Leitindustrie Automobil 50 Prozent Elektromobilität bei Neuzulassungen bis 2030 unumgänglich – bei heute zwei Prozent. „Wenn das keine gravierenden Umwälzungen sind.“ Eine solche Haltung scheine ihm „vollkommen ungeeignet, die industrielle Zukunft und die Veränderungsbereitschaft der Menschen zu fördern“. „Weitaus mehr Dynamik“ fordert der Bezirksleiter bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen. Doch dazu „müssten die Verantwortlichen ,den Arsch hoch kriegen’ und unseren Kollegen eine faire Chance bieten, sinnvolle Veränderungen mitzugestalten“. Er sei überzeugt davon, „dass wir eine soziale, ökologische und demokratische Transformation in Gang setzen können“. Aber weder der Markt noch die Politik „und schon gar nicht die Arbeitgeber werde eine gute Zukunft von alleine bringen – die müssen wir uns schon selbst holen“.

Bezirksleiter votiert für CO2-Besteuerung

Konkret spricht sich Zitzelsberger unter anderem für massive Investitionen in neue, ressourcenschonende Technologien und neue Wege der Qualifizierung von Beschäftigten aus, aber auch für eine CO2-Besteuerung. Dabei mahnt er freilich eine transparente Mittelverwendung an. So regt er einen Fonds mit mehreren Untertöpfen an, aus denen etwa der Ausgleich sozialer Härten, Beihilfen für nachhaltige Mobilität oder Investitionsanreize für kleine und mittlere Unternehmen zum Klimaschutz finanziert werden. „Da reden wir über deutlich dreistellige Milliardenbeträge.“ Eine wesentliche Quelle für einen solchen Topf wäre vor allem eine „schrittweise Verteuerung von CO2-Emissionen“. Ohne Instrumente wie eine Bepreisung werde es kaum möglich sein, die Klimaschutzziele der EU zu erreichen.

Jürgen Kerner, Mitglied der engsten IG-Metall-Führung, legt nach: Viele Mittelständler hätten noch volle Auftragsbücher und daher kein Verständnis für den Veränderungswillen der Gewerkschaft. Daher müsse diese über die Betriebe Druck machen. Energie- und Ressourceneffizienz sowie eine erfolgreiche Industriearbeit seit möglich. „Jetzt ist es Zeit zu handeln“, betont der Hauptkassierer.

Kein Kreuz „bei den Arschgeigen“

Relativ viele AfD-Sympathisanten in den eigenen Reihen machen der Gewerkschaft zu schaffen. Dies erklärt auch, warum Zitzelsberger ausführlich herleitet, dass die Erderwärmung menschengemacht sei. Doch „je erdrückender die Beweislage wird, desto heftiger ist die Verweigerungshaltung der Irrlichter von der AfD“, moniert er, weil die Rechtspopulisten andere Erklärungen für den Klimawandel anführen. Am Schluss gibt er eine persönliche Wahlempfehlung für diesen Sonntag: „Macht das Kreuz an der richtigen Stelle – nicht bei den Arschgeigen.“