Nur ein bisschen Sex, das war der Plan. Bloß keinen verquasten Liebesquatsch. Aber dann ist alles aus den Fugen geraten: die Geschichte einer Frau und ihrer Beziehung zu einem verheirateten Mann.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Stuttgart - Nur ein bisschen Sex, das war der Plan. Bloß keinen verquasten Liebesquatsch. Michaela (Namen geändert) glaubte, mit 40 Jahren über die nötige Contenance für ein lässiges Techtelmechtel zu verfügen, das nicht gleich ihre familiäre Existenz infrage stellt. Sie wusste, was sie wollte, als sie ihre Anzeige bei einer Online-Kontaktbörse einstellte und bald auch schon Bernd aus dem Internet fischte. So ungewöhnlich war das gar nicht: Immerhin drei Millionen Deutsche tollen sich in heimlichen Nebenbeziehungen aus, besagt eine Schätzung der Gesellschaft für erfahrungswissenschaftliche Sozialforschung in Hamburg.

 

Im Sommer vor acht Jahren stieg Michaela also in ihr kleines Auto und brauste zu ihrem ersten Rendezvous mit Bernd, der fünf Jahre älter ist. Der Treffpunkt war ein Draußen-Bloß-Kännchen-Café irgendwo tief im Oberschwäbischen, weit weg von ihrem und seinem Wohnort. Ein bisschen wusste sie schon von ihm. Er hatte geschrieben, dass er zwei Kinder habe, seine Ehe unglücklich sei und er seit Jahren keinen Sex mehr erlebt habe. Seine Offenheit hatte sie berührt. Für sie war ungewohnt, dass ein Mann seine Gefühle mitteilt. Trotzdem war sie skeptisch. Im Grunde ging das Michaela gefühlsmäßig schon viel zu nahe. Sie dachte, das ist eigentlich nicht der Typ Lover, der ihr ohne Umschweife in gestärkter Hotelbettwäsche all jene zärtliche Aufmerksamkeit schenken würde, die sie in ihrer Ehe seit jeher vermisste.

Doch dann traf sie an diesem warmen Sommertag auf einen Zauberer: Bernd zog tatsächlich ein seidiges Tuch aus der Tasche, ließ sie eine Ecke abschneiden und strich es mit einer eleganten Geste wieder heil. Die Täuschung beherrschte der Hobby-Zauberer aus dem Effeff. An diesem Nachmittag brachte er das Kunststück fertig, Michaela um den Finger zu wickeln und zugleich den Eindruck zu hinterlassen, ein unbeholfenes Lämmchen zu sein. „Er hat damals geküsst wie ein Schüler“, erzählt sie noch immer verzückt.

Die eigenen Kinder als Gegner

Ein Mann, eine Ehefrau, eine Geliebte: Aus Sicht von Hans Jellouschek ist das der Klassiker unter den Dreiecksbeziehungen. Der Psychotherapeut aus Entringen bei Tübingen berät seit 1975 Paare und hat darüber mehr als ein Duzend Bücher geschrieben. Jellouscheks Erfahrung: „Wenn eine Affäre über längere Zeit hinweg läuft, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass die Stammbeziehung nicht mehr befriedigend gestaltet wird. Der oder die Geliebte springt in diese Lücke.“

Acht Jahre später ist bei Bernd alles beim Alten und bei ihr alles aus den Fugen. Er sei bei seiner herrschsüchtigen Ehefrau und den inzwischen erwachsenen Kindern geblieben und stehe heute kurz vor dem Burn-Out, sagt Michaela. Ihre eigene Ehe ist längst zerbrochen. Nach drei Jahren war ihr Mann hinter die Affäre gestiegen, er hatte eine SMS auf ihrem Handy gelesen. Es gab einen hässlichen Streit, und die Kinder waren stinkig und blieben es noch ein paar Jahre lang. Michaela zog aus, machte sich als Physiotherapeutin selbstständig, die Kinder blieben bei ihrem Mann. Es war eine sehr harte Zeit, aber am Ende war es ihr lieber so. Sie war mit ihrem Mann nicht mehr glücklich gewesen, ihn zu hintergehen aber fand sie doch „unfair“.

Es wäre für Bernd der perfekte Augenblick gewesen, ebenfalls reinen Tisch zu machen. Doch er ließ die Gelegenheit verstreichen. Jetzt nicht, im Sommer, im Herbst, im nächsten Jahr, irgendwann bestimmt: Es fand sich immer ein Grund, weshalb er sich nicht von seiner Frau trennen konnte. „Ich vermute, der Mann schafft es nicht wegen einer ungelösten Mutterabhängigkeit“, analysiert Hans Jellouschek. Seit acht Jahren führt Bernd ein Doppelleben, lügt seine Frau an und hält seine Geliebte mit Versprechungen bei der Stange. Solche Beharrlichkeit ist selbst dem Liebesexperten noch selten untergekommen: „Die meisten Menschen halten das gar nicht aus.“ Die ganze Konstellation, sagt Jellouschek, sei ein Hinweis auf ein ungelöstes Kindheitsthema.

Das Dilemma der Kindheit

Michaela schwant, dass bei ihr ein Zusammenhang besteht zwischen dem Dreieck aus Mutter, Vater, Kind in ihrem Elternhaus und ihrer heutigen Rolle als Geliebter. Sie sagt: „Ich war die Prinzessin meines Vater“, und der Satz klingt so, als zitiere sie ihn aus einem von Jellouscheks Büchern. Die Geliebte wiederholt im Erwachsenenalter das Dilemma ihrer Kindheit, sagt der Therapeut: „Es geht beide Male um Liebe, die nicht zur Erfüllung kommt.“ Die Tochter wollte früher die Einzige sein für ihren Vater, aber die Mutter stand im Weg. Heute ist es die Ehefrau des Mannes, die ihrer Liebe im Wege steht. Die Geliebte wiederholt das vertraute Szenario im Elternhaus. Jellouschek wertet dieses Verhalten als den „ungeeigneten Versuch, ein kindliches Defizit zu kompensieren“.

Michaela hält an diesem „ungeeigneten Versuch“ fest – auch, weil er anfangs so berauschend war. „Wir hatten beide viel Freizeit und haben uns mehrmals die Woche getroffen.“ Sie war die fleischgewordene Sonnenseite in Bernds Leben, der Gegenpol zu seiner Ehefrau, die sie als hartleibig, materialistisch und von geradezu pathologischem Standesbewusstsein beschreibt. Eine Weile haben sie sich sogar eine gemeinsame Wohnung geleistet. „Verliebtheit ist der Anfang. Wenn die nicht weiterentwickelt werden kann zu einer reifen Liebe, dann läuft sie sich tot“, sagt Hans Jellouschek. Und diese Liebe blieb ein Kind. „Wir haben keine gemeinsame Geschichte“, sagt Michaela. Es gibt keine gemeinsamen Urlaube, keine gemeinsam bestandenen Krisen. Im Grunde blieb nicht einmal Zeit für Streit, denn ihre Zweisamkeit war immer getaktet. Und als es ihm richtig schlecht ging, sein Leben im Krankenhaus am seidenen Faden hing, war sie die letzte, die davon erfuhr. „Ich habe schon das Gefühl, zweiter Klasse zu sein. Das macht ein ganz kleines Selbstbewusstsein.“

In den gezählten Stunden, die sie für einander haben, sperrt sie die Probleme aus. Nur von Zeit zu Zeit wagt sie noch, nach der gemeinsamen Zukunft zu fragen. „Er bleibt dann schwammig. Er flutscht mir weg wie ein Fisch.“ Mit ihren Verabredungen nimmt er es nicht mehr so genau. Dabei hat sie sich extra ein kleines Appartement in seiner Nähe gemietet. Seine Gefühle scheinen abgeflaut, und er engagiert sich gerade noch so, dass er „das Feuer am Brennen hält“, sagt Michaela.

Eine Homepage für Betrogene und Betrüger

Geliebte sind „Halbemanzipierte“, sagt Barbara Unterberger. „Einerseits wuppen sie ihr Leben – den Haushalt, den Beruf, die Kinder. Andererseits spielen sie für den Mann das Frauchen.“ Unterberger hat dafür genug Anschauungsunterricht auf ihrer Internetseite „Die Geliebte – Homepage für Geliebte, Betrogene und Betrüger, Fremdgänger“. Vor zwölf Jahren hat die Geschäftsfrau das Forum eröffnet, als sie selbst Geliebte war und Menschen suchte, die sie verstanden. Gut 90 Prozent ihrer User sind weiblich. „Männer sind nicht so leidensfähig“, hat sie festgestellt.

Geliebte fühlen sich oft einsam. Keine noch so gute Freundin kann über längere Zeit die verweinten Wehklagen einer Liebeskranken ertragen, die meisten Freunde sind irgendwann einmal erwachsen geworden, haben es sich in Zweckehen oder hedonistischen Solohaushalten behaglich eingerichtet, halten Liebeswirren für das Vorrecht dummer Jugend und Leidenschaft für einen zerebralen Chemieunfall.

Unterbergers eigene Affäre war übrigens nach 14 Monaten beendet, die Homepage aber betrieb sie weiter. „Ich konnte die Leute doch nicht alleine lassen, das sind doch Schicksale!“ Unter den leidenden Geliebten gebe es auch labile Persönlichkeiten. „Da frage ich mich manchmal schon, was passiert, wenn die offline gehen.“ Sie habe aus Sorge sogar schon öfter die Polizei vorbeigeschickt. Unnötig, sagt die Forumschefin, sei das fast nie gewesen. „Wissen Sie, was für mich inzwischen der schlimmste Satz von Frauen ist – und er ist so typisch? ‚Die Hoffnung stirbt zuletzt.’“

Treue hält am längsten

So was ähnliches hat Michaela auch schon im Forum gepostet. Natürlich hat sie auch mal mit dem Gedanken gespielt, mit der Faust auf den Tisch zu hauen, Bernds Frau anzurufen und ihr die Wahrheit hinzuknallen. Sie hat es nicht übers Herz gebracht. Laut Hans Jellouschek war es auch besser so: „Ich habe das schon bei Paaren erlebt, das hat nur zu Chaos geführt.“ Denn selbst, wenn es gut ginge und der Mann danach mit der Geliebten zusammenlebte, schwebte über ihm eine Bringschuld, sagt der Therapeut: Er hätte seinen Teil zur Beziehung nicht beigetragen.

„Wenn wir zusammen sind, weiß ich, dass ich die Frau bin, die er immer wollte“, sagt Michaela mit einer Stimme, die ganz nah bei der Verzweiflung wohnt. Sie verharrt in einem Wartezustand und sieht draußen das Leben im ICE an ihr vorbeirasen. Sie sagt, sie fürchte sich, alleine alt zu werden. Lieber hält sie fest an Bernds schwammigen Versprechungen. „Das ist, wie wenn man einem Esel eine Möhre hinhält, damit er weitertrottet“, sagt der Paartherapeut Jellouschek. „Die einzige Chance, die ich sehe, ist, dass sie das Verhältnis beendet, sich als Single versteht. Sie könnte Perspektiven entwickeln und wäre wieder offen für jemanden Neues. Aber so bleibt sie tatsächlich allein.“

Und welche Erfolgschancen hätte die dritte Variante, eine glücklichen Beziehung zwischen drei Menschen? Könnte das klappen? „Ist mir noch nicht begegnet“, sagt Hans Jellouschek. „Das ist schon deshalb illusorisch, weil zwei von den Dreien spüren, dass es ihrem Grundbedürfnis widerspricht, für einen anderen Menschen einzigartig zu sein.“ Die Erkenntnis des Paartherapeuten ist ernüchternd in Anbetracht der quietschvergnügten Experimentierfreude, die eine sexuelle Revolution vor Jahrzehnten freisetzte: Aus Expertensicht erweist sich die konventionelle Zweierbeziehung als das solideste Modell.