Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Wie konnte es zu alldem kommen? Als Mappus im Februar 2010 Ministerpräsident wurde, war ihm klar, dass er sich um die EnBW kümmern müsste. Ende 2011 stand nämlich eine Zäsur bevor: da konnte die Konsortialvereinbarung, die die beiden Großaktionäre - die EdF und die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) - zum Gleichschritt verpflichtete, erstmals gekündigt werden. Wohlgemerkt: konnte, automatisch ausgelaufen wäre sie nicht. Beide Großaktionäre hatten dieses Datum im Blick - und reagierten nach StZ-Recherchen sehr unterschiedlich darauf.

 

Die oberschwäbischen Landkreise, vorneweg Verbandschef Kurt Widmaier und sein Vize Heinz Seiffert, sondierten schon früh, ob sich nicht eine baden-württembergische Mehrheit basteln ließe. Rein rechnerisch gab es die bereits: Neben ihren gut 45 Prozent hielten vier kleine kommunale Aktionärsverbände zusammen gut fünf Prozent der EnBW-Anteile. Doch das Werben von Widmaier & Co. stieß dort offenbar nur auf verhaltene Gegenliebe. Dafür bekamen die Franzosen Wind von dem Versuch, hinter ihrem Rücken die Mehrheit zu erlangen, und reagierten verschnupft: Nach zehnjähriger Zusammenarbeit, in der man allmählich Vertrauen aufgebaut habe, sei das nicht gerade die feine Art.

"industrielle Partnerschaft"

Die EdF sah sehr wohl, dass sie bei der EnBW nicht die erhoffte Mehrheit bekommen würde. Daher hatte sie ein Konzept für eine "industrielle Partnerschaft" entwickelt, das die beiden Konzerne enger verschränken sollte. Man könne, zum Beispiel, den Einkauf von Kohle zusammenlegen und den Anbietern so mit einer ganz anderen Marktmacht begegnen. Doch die Oberschwaben, die sich den weltläufigen Franzosen vielleicht ohnehin unterlegen fühlten, bangten um ihre Macht und reagierten ablehnend.

Der EdF-Chef Henri Proglio wollte nach StZ-Informationen für diese gemeinsame Strategie werben, als er sich im Juli 2010 erstmals im Südwesten mit Mappus traf. Später berichtete der Ministerpräsident über die Begegnung, er habe Proglio klargemacht, dass er nie die Mehrheit bekommen werde; daraufhin habe die EdF wohl das Interesse an ihrer deutschen Beteiligung verloren. Ein Treffen von EdF-Emissären mit der OEW, das im Oktober stattfinden sollte, wurde abgesagt.

Unvorhergesehene Probleme

Schon am Freitag zuvor ist man sich mit der EdF handelseinig geworden. Nun aber gibt es unvorhergesehene Probleme, weil die Franzosen sich noch mit Staatspräsident Sarkozy rückkoppeln müssen; die Folge sind hektische Telefonate mit Paris. Um 23.15 Uhr schließlich wird Stächele hereingebeten und über den Sachstand informiert: Erst erläutert ihm Notheis das Geschäft an sich, dann Schockenhoff den rechtlichen Weg über eine Notbewilligungsklausel, die eigentlich für Erdbeben oder Seuchen vorgesehen ist. Nur so lässt sich der Landtag ausschalten, den Mappus um keinen Preis vorab beteiligen will - weil der Kauf sonst nicht zustande käme. 

Selbst die Fraktionsvorsitzenden von CDU und FDP, die am Sonntag ihre Abgeordneten für den Montag zusammentrommeln müssen, erfahren nicht, weshalb. "Der Unterzeichner nahm diese Information und Rechtsberatung entgegen", notiert der Finanzminister später in einem Vermerk, der wohl seiner Absicherung dienen soll. Die Freigabe der bis zu 5,9 Milliarden Euro macht er zudem von der Zustimmung des Kabinetts abhängig, das für Montag früh zu einer Sondersitzung einberufen wird und, natürlich, sein Plazet gibt; die Beschlussvorlage umfasst kaum eine Seite.

Ein kurzer Triumph

Drei Stunden später kann der Ministerpräsident seinen Triumph, wie er es geplant hat, ganz alleine auskosten: Umringt von Reportern und Kameras verkündet er in der Lobby des Landtags den Rückkauf der EnBW als eine Art patriotischen Akt. Der Karlsruher Stromkonzern müsse immer ein baden-württembergisches Unternehmen bleiben, ausländische Investoren dürften nie die Mehrheit bekommen.

Er wolle "nicht in Paris oder Moskau nachfragen", wenn es um so Grundlegendes wie die Energieversorgung gehe, sagt Mappus fortan in seinen Wahlkampfreden. Dass solche feindlichen Mächte mitnichten auf dem Sprung waren - Gazprom etwa dementierte umgehend - und vor Ende 2011 auch gar keinen Zugriff auf die EnBW gehabt hätten, wird erst nach und nach klar. Die Drohkulisse für die Inanspruchnahme des Notbewilligungsrechts in der Verfassung entpuppte sich als purer Popanz. Die einzige Not bestand angesichts düsterer Umfragewerte im 27. März - dem Termin der Landtagswahl.

Zunächst geht Mappus' Kalkül auf: Es jubeln nicht nur die CDU und die FDP, die man mit der Aussicht auf einen raschen Weiterverkauf der Aktien geködert hat, sondern auch SPD und Grüne. Da werde ein "historischer Fehler" korrigiert, lobt der SPD-Chef Nils Schmid. Doch dem Rausch folgt alsbald eine Ernüchterung, die sich zu einem gewaltigen Kater auswächst.

 Urteil wegen Verfassungsbruchs

Erst gerät Mappus in die Defensive, weil er seinen Freund und CDU-Landesvorstandskollegen Notheis ohne Ausschreibung beauftragt hat. Dann wird der Deal an sich zunehmend kritisch hinterfragt, schließlich kommt die Atomkatastrophe von Fukushima - zwei Wochen vor der Wahl. Das Risiko, einen Atomkonzern zu kaufen, hat sich damit schneller als vorhersehbar realisiert. Ähnliche Folgen hätte indes das ausstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichts gehabt, wenn die Laufzeitverlängerung - wie allgemein erwartet - gekippt worden wäre. Nicht ohne Grund hatten Analysten die Aktien deutscher Versorger kurz zuvor skeptisch beurteilt, selbst die von Morgan Stanley.

Das Ergebnis ist bekannt: von den Teilnehmern der Runde am 5. Dezember im Staatsministerium wurde keiner glücklich mit dem Deal. Mappus wurde abgewählt und vom Staatsgerichtshof wegen Verfassungsbruchs verurteilt. Seinen Job beim Pharmakonzern Merck gab er nach vier Monaten wieder auf, um sich ganz seiner Verteidigung zu widmen. Stächele musste wegen des Urteils als Landtagspräsident zurücktreten und als einfacher Abgeordneter seinen 60. Geburtstag feiern.

Staatsminister Helmut Rau, der so stolz darauf gewesen war, als Geschäftsführer der eigens für den Kauf gegründeten Landesgesellschaft Neckarpri GmbH zu fungieren, fristet sein Dasein als Hinterbänkler; die Aussicht auf einen Untersuchungsausschuss oder gar Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, berichten Parteifreunde, mache ihn ganz panisch. Die öffentlichkeitsscheuen Investmentbanker von Morgan Stanley müssen seit Monaten Negativschlagzeilen aushalten, die eigentlich renommierte Kanzlei Gleiss Lutz kämpft um ihren Ruf - und beide Häuser gegen drohende Schadenersatzforderungen.

Lauter Verlierer

Wie konnte es zu alldem kommen? Als Mappus im Februar 2010 Ministerpräsident wurde, war ihm klar, dass er sich um die EnBW kümmern müsste. Ende 2011 stand nämlich eine Zäsur bevor: da konnte die Konsortialvereinbarung, die die beiden Großaktionäre - die EdF und die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) - zum Gleichschritt verpflichtete, erstmals gekündigt werden. Wohlgemerkt: konnte, automatisch ausgelaufen wäre sie nicht. Beide Großaktionäre hatten dieses Datum im Blick - und reagierten nach StZ-Recherchen sehr unterschiedlich darauf.

Die oberschwäbischen Landkreise, vorneweg Verbandschef Kurt Widmaier und sein Vize Heinz Seiffert, sondierten schon früh, ob sich nicht eine baden-württembergische Mehrheit basteln ließe. Rein rechnerisch gab es die bereits: Neben ihren gut 45 Prozent hielten vier kleine kommunale Aktionärsverbände zusammen gut fünf Prozent der EnBW-Anteile. Doch das Werben von Widmaier & Co. stieß dort offenbar nur auf verhaltene Gegenliebe. Dafür bekamen die Franzosen Wind von dem Versuch, hinter ihrem Rücken die Mehrheit zu erlangen, und reagierten verschnupft: Nach zehnjähriger Zusammenarbeit, in der man allmählich Vertrauen aufgebaut habe, sei das nicht gerade die feine Art.

"industrielle Partnerschaft"

Die EdF sah sehr wohl, dass sie bei der EnBW nicht die erhoffte Mehrheit bekommen würde. Daher hatte sie ein Konzept für eine "industrielle Partnerschaft" entwickelt, das die beiden Konzerne enger verschränken sollte. Man könne, zum Beispiel, den Einkauf von Kohle zusammenlegen und den Anbietern so mit einer ganz anderen Marktmacht begegnen. Doch die Oberschwaben, die sich den weltläufigen Franzosen vielleicht ohnehin unterlegen fühlten, bangten um ihre Macht und reagierten ablehnend.

Der EdF-Chef Henri Proglio wollte nach StZ-Informationen für diese gemeinsame Strategie werben, als er sich im Juli 2010 erstmals im Südwesten mit Mappus traf. Später berichtete der Ministerpräsident über die Begegnung, er habe Proglio klargemacht, dass er nie die Mehrheit bekommen werde; daraufhin habe die EdF wohl das Interesse an ihrer deutschen Beteiligung verloren. Ein Treffen von EdF-Emissären mit der OEW, das im Oktober stattfinden sollte, wurde abgesagt.

Mission der Landräte

Wer aber kam auf die Idee, dass das Land den EdF-Anteil zurückkaufen könnte? Das gehört zu den Fragen, die bis heute ungeklärt sind. Eine Version aus unternehmensnahen Kreisen besagt, die Oberschwaben hätten diesen Vorschlag ins Spiel gebracht - und zwar erstmals bereits zu Zeiten von Ministerpräsident Günther Oettinger. Als möglicher Käufer sei damals auch die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) ins Auge gefasst worden, die mit der Finanzkrise freilich ausschied.

Die OEW-Chefs Widmaier und Seiffert, die zusammen mit der Geschäftsführerin Barbara Endriss unterwegs gewesen sein sollen, hätten dafür indes kein Mandat gehabt; die übrigen Mitglieder wussten von nichts. Endriss dementiert denn auch heftig. Natürlich habe man mit den jeweiligen Ministerpräsidenten, wie auch mit den kleinen Aktionärsverbänden, regelmäßig über die Eigentümerstruktur und die Zukunft nach 2011 gesprochen, aber: "Zu keinem Zeitpunkt war ein möglicher Wiedereinstieg des Landes als Aktionär Gesprächsthema."

Diese Idee, so eine andere Version, könnte auch von Dirk Notheis stammen. Mit dem Freund aus gemeinsamen Tagen in der Jungen Union, der seinen Aufstieg in der Politik immer wieder gefördert hatte, hielt Mappus auch als Fraktionschef und "MP" engen Kontakt. Für viele andere Termine hatte er keine Zeit, aber ein Treffen mit dem deutschen Morgan-Stanley-Chef - ob am Banksitz in Frankfurt oder in dessen Ettlinger Heimat - ließ sich immer einrichten. Dessen Bankersprache färbte zusehends auf ihn ab: Formulierungen wie "am Ende des Tages" benutzte er bald genauso oft. Intellektuell und rhetorisch war Notheis dem zwei Jahre älteren Gefährten stets überlegen, Mappus zeigte dagegen mehr Wagemut und Risikofreude. Er sei ein Spieler, sagen Parteifreunde, der gerne aufs Ganze gehe - und damit oft genug Erfolg hatte.

 Mappus unter massiven Druck

Vielleicht war es diese Melange der Talente und Temperamente, in der der Rückkauf ersonnen wurde. Schon damals wunderten sich CDU-Leute, wie unvorsichtig die beiden Freunde zu Werke gingen. Warum, rätseln sie bis heute, habe der Banker den Politiker nicht klarer vor den Risiken des Deals gewarnt? Branchenkenner verweisen zur Erklärung auf den brutalen Erfolgsdruck, der in dieser Liga des Investmentbankings herrsche. Ein Fünf-Milliarden-Deal - eine der größten Transaktionen des Jahres - sei da wohl zu verlockend, um ihn sich durch Bedenken verderben zu lassen. Bei der EdF wurde das noch klarer gesehen: Notheis, der "Zwilling" im Geiste, habe seinen Freund Mappus im eigenen Interesse "als Werkzeug benutzt", analysierte ein beteiligter Manager intern.

Auch Mappus stand zuletzt unter massiven Druck. Nach dem Polizeieinsatz gegen Stuttgart-21-Demonstranten im Stuttgarter Schlossgarten, dessen verheerende Wirkung gerade aufs bürgerliche Publikum die Schlichtung nur halbwegs neutralisierte, brauchte er dringend einen Erfolg auf einem anderen Feld. Mit dem Aktiencoup wollte er zugleich antiausländische Ressentiments bedienen ("EnBW-Aktien kommen heim", lautete der Dateiname einer Pressemitteilung) als auch industriepolitische Kompetenz beweisen.

Nun habe der junge Ministerpräsident gezeigt, "dass er auch Wirtschaft kann", sollten seine PR-Leute verbreiten. Nach dem 30. September wurden die Pläne jedenfalls mit Verve vorangetrieben. Zum Schluss musste alles offenbar ganz schnell gehen. Erst anderthalb Wochen vor dem Vertragsschluss am 6. Dezember wurde die Kanzlei Gleiss Lutz beauftragt, die Vereinbarung mit Morgan Stanley datiert vom 2. Dezember.

Mappus verzockt sich

Die letzten Wochen verliefen auch bei der EdF turbulent. Zwei Lager versuchten in der Zentrale, den Konzernchef Proglio auf ihre Seite zu ziehen. Einerseits gab es starke Kräfte - vorneweg der Topmanager und früheren EnBW-Vorstand Pierre Lederer -, die gegen den Rückzug aus Baden-Württemberg plädierten. Man habe dort viel Geld, Zeit und Mühe investiert und stabile Beziehungen aufgebaut, die sich noch auszahlen könnten. Das andere Lager verwies auf das schwierige politische Umfeld für die Atomkraft in Deutschland und die daraus erwachsenden Belastungen. Noch am 2. Dezember, berichtet ein Insider, standen die Dinge in Paris "Spitz auf Knopf".

Tags darauf gab schließlich der angebotene Kaufpreis den Ausschlag: 41,50 Euro, ein Aufschlag von mehr als 15 Prozent auf den damaligen Börsenkurs, das sei einfach "unwiderstehlich" gewesen, gestand ein EdF-Manager. Der Käufer glaubte an ein Schnäppchen, der Verkäufer umgekehrt an ein gutes Geschäft - nur für einen konnte diese Rechnung aufgehen. Dieses Mal hatte sich der Spieler Mappus verzockt: Nach der Energiewende, die die EnBW zwei ihrer vier Atomkraftwerke kostete, ging der Aktienkurs auf Talfahrt; der Buchverlust betrug zeitweise mehr als eine Milliarde Euro. Als Franzose, spottete der frühere EnBW-Chef Utz Claassen, würde er nun den Champagner entkorken. Dank kleiner Order, die bei dem geringen Anteil frei handelbarer Papiere schon genügen, hat sich der Kurs inzwischen wieder erholt; seine Aussagekraft gilt jedoch als begrenzt.

Claassens Nachfolger Hans-Peter Villis erging es übrigens auch nicht besser als den Regierungsfraktionen und dem Großteil des Kabinetts. Er wurde dem Vernehmen nach erst in der Nacht zum Montag über den Eigentümerwechsel informiert. Dafür erfuhr er am Dienstag aus erster Hand, was den Ministerpräsidenten getrieben hatte und was dieser mit der EnBW vorhatte. Bei einem Auftritt in der Karlsruher Konzernzentrale erläuterte Mappus seine "moderne Industriepolitik" - eine Linie voller Widersprüche. Einerseits wolle sich das Land nicht in die operative Unternehmensführung einmischen, wie er fortan gebetsmühlenhaft wiederholte, andererseits werde es mit ihm keinen harten Sparkurs oder gar Stellenabbau geben.

Mappus hatte den Mund zu voll genommen

Der Betriebsratschef vernahm das mit Genugtuung, Villis äußerte sich nur knapp und wirkte auf Beobachter beklommen. Ihm schwante wohl, dass die EnBW nun zum Spielball der Politik zu werden drohte - egal, wie die Wahl ausginge. Die Frage, was ein Sieg der Grünen für den Konzern bedeuten würde, löste damals nur Heiterkeit aus. Er werde alles dafür tun, dass es nicht dazu komme, versprach Mappus fröhlich und fügte hinzu: "Und Sie alle können das verhindern." Industriepolitik und Wahlkampf, das zeigten diese zwei Sätze, passten für ihn eben wunderbar zusammen.

Schon vor Fukushima wurde indes klar, dass Mappus den Mund zu voll genommen hatte - in mehrerlei Hinsicht. Die EnBW solle als vierter baden-württembergischer Konzern in den Deutschen Aktienindex (Dax) kommen? Von dieser Vision, die ihm auch Notheis eingeflüstert hatte, war bald keine Rede mehr. "Ich weiß nicht, ob ich sie in den Dax bringe", sagte der Regierungschef später; das sei auch nicht so wichtig. Vom Plan, das Milliardengeschäft mit einer Baden-Württemberg-Anleihe zu finanzieren, wurde schnell wieder Abstand genommen. Noch am 6. Dezember forderte Mappus die Journalisten launig auf, sie könnten sich "im Blick auf Weihnachten" gerne engagieren; wenige Wochen später nahm die landeseigene L-Bank zwei Milliardenanleihen still und leise in ihre Bücher. Ob die Zinsen wirklich, wie von Mappus verheißen, aus der EnBW-Dividende bezahlt werden können, ist fraglicher denn je.

Auch die Version, das Land wolle die EnBW-Aktien nur vorübergehend in seine Obhut nehmen, bis eine neue, stabile Eigentümerstruktur geschaffen sei, hatte eine kurze Halbwertszeit. Intern sagten führende CDU-Leute schon damals, mit dem Weiterverkauf eile es überhaupt nicht; das könne durchaus Jahre dauern. Am Rande der Pressekonferenz vom 6.Dezember erläutert Finanzminister Stächele den wahren Grund: Die Betonung auf "temporär" habe man nur der FDP zuliebe vorgenommen. Von der bewegten Nacht im Staatsministerium ist dem 59-Jährigen am Folgetag wenig anzumerken, nur eine gewisse Nervosität kann er nicht verbergen - sein Blick wandert hin und her. Auf die Frage, wann er denn eingebunden worden sei, gibt er damals die gleiche sibyllinische Antwort wie in den folgenden Tagen, Wochen und Monaten: "Rechtzeitig."

Vom Coup bis zum Verfassungsbruch - Die Chronik des EnBW-Deals

6. Dezember Das Kabinett beschließt den EnBW-Rückkauf. Der Vertrag wird unterzeichnet. Mappus informiert Regierungsfraktionen und Öffentlichkeit.

7. Dezember Mappus besucht die EnBW-Zentrale in Karlsruhe, tritt mit Konzernchef Villis vor die Belegschaft. Der Landtag stellt fest, dass er eine Milliardengarantie beschließen muss.

10. Dezember Die Stuttgarter Zeitung berichtet, dass Mappus das Milliardengeschäft mit einem engen Freund und CDU-Landesvorständler abgewickelt hat: Dirk Notheis, dem Chef von Morgan Stanley Deutschland. Die Kritik am Vorgehen und an dem Deal selbst nimmt zu.

15. Dezember Der Landtag soll das Milliardengeschäft nachträglich absegnen und für bis zu 5,9 Milliarden Euro bürgen. SPD und Grüne verlassen unter Protest den Plenarsaal, der Beschluss fällt so fast einstimmig. Die Zweifel, ob der Weg verfassungsgemäß ist, wachsen.

8. Januar Banker und Anwälte, wird bekannt, verdienen an dem Deal bis zu 15 Millionen Euro - zuzüglich Steuern, wie sich erst später herausstellt.

17. Januar SPD und die Grünen reichen Verfassungsklage ein. Begründung: Mappus habe das Haushaltsrecht des Parlaments gebrochen. Sie präsentieren Experten, die ihre Sicht bestätigen.

18. Februar Die Kartellbehörden stimmen dem Kauf zu, er wird vollzogen. Die EdF erhält insgesamt 4,7 Milliarden Euro.

Februar: Die kleinen Aktionäre müssen entscheiden, ob sie das Übernahmeangebot annehmen.

11. März Nach einem Erdbeben und einem Tsunami kommt es zur Katastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima.

27. März Die CDU wird bei der Landtagswahl nach fast 60 Jahren abgewählt.

6. Oktober Der Staatsgerichtshof verurteilt das Milliardengeschäft unter Umgehung des Landtags als Verfassungsbruch

Mappus hat aus seiner Sicht fast alles richtig gemacht

Vorgehen Der frühere Ministerpräsident Stefan Mappus verteidigt den EnBW-Kauf bis heute. Er werde jeden Kritikpunkt widerlegen, wenn er erst reden dürfe, sagte er kürzlich in einem Interview. Nur in einem - allerdings entscheidenden - Punkt sieht er sich durch das Urteil des Staatsgerichtshofs vom 6. Oktober korrigiert. Dass das Vorgehen am Landtag vorbei verfassungswidrig gewesen sei, habe ihn überrascht; die Anwälte von Gleiss Lutz hätten diesen Weg befürwortet. Hätte man das Parlament damals vorab beteiligt, sagt der Expremier im Rückblick, wäre das Geschäft nicht zustande gekommen. Die Franzosen hätten einen Parlamentsvorbehalt nämlich strikt abgelehnt.

Partner Die Einschaltung von Morgan Stanley findet Mappus nach wie vor in Ordnung. Die Deutsche Tochter der US-Investmentbank mit seinem Freund Dirk Notheis an der Spitze sei ein besonders geeigneter Partner gewesen: Aus früheren Mandaten habe sie einerseits die Entscheider bei der Electricité de France (EdF) gekannt, andererseits gehöre sie zu den Konsortialbanken der EnBW. Dass der millionenschwere Auftrag ohne Ausschreibung vergeben wurde, begründete Mappus mit der notwendigen Geheimhaltung. Rechtlich stützt er sich auf eine Ausnahmeklausel, nach der Dienstleistungen bei bestimmten Finanztransaktionen nicht ausgeschrieben werden müssen.

Preis Für Mappus steht es weiterhin außer Frage, dass der Kaufpreis von 41,50 Euro je Aktie "fair und angemessen" war. Der Festlegung sei eine umfassende Unternehmensbewertung vorausgegangen, auch eine so genannte Due-Diligence-Prüfung auf Basis öffentlich verfügbarer Informationen. Andere Informationen besagen hingegen, dass lediglich eine weitaus weniger gründliche "fairness opinion" abgegeben wurde. Mappus' Plan, die Zinsen für die zwei Milliardenanleihen durch die EnBW-Dividende zu erwirtschaften, ist inzwischen wegen der Ertragslage des Konzerns fraglich geworden. Sein Fazit: "Ich habe in bester Absicht gehandelt, das dürfen Sie mir abnehmen."