Die Redakteure des Blick vom Fernsehturm versuchen sich in loser Folge in verschiedenen Dingen. Dieses Mal war Eveline Blohmer bei der Tanzgruppe des Schwäbischen Albvereins Degerloch, hat dort ihr Polka-Talent entdeckt – und fürs Alter vorgesorgt.

Degerloch - Eine ordentliche Altersvorsorge ist von allergrößter Wichtigkeit. Das weiß inzwischen jedes Kind. Auch eines, das 1982 völlig unverschuldet in eine Generation von Hedonisten hineingeboren wurde. Allerdings setzt selbiges natürlich andere Prioritäten als die finanzielle Absicherung: Es will Spaß, Spaß, Spaß – ungeachtet des Alters.

 

„Die meisten von uns sind aber nicht mehr ganz jung“, hatte Gisela Lott entschuldigend gesagt, als ich die Kulturwartin der Ortsgruppe Degerloch des Schwäbischen Albvereins fragte, ob ich mal bei der Folkloretanzgruppe mitmachen dürfe.

„Kiss me quick“ statt „Alte Hasen“

Dass ich mich aus freien Stücken an einem Donnerstagabend zwei Stunden lang mit nicht mehr ganz so jungen Menschen zu nicht ganz so angesagter Musik durch den Raum bewegen möchte, stößt denn auch bei meinen Altersgenossen auf Verwunderung: „Warum?“, fragt meine Freundin Ulrike im Vorfeld. Und vielleicht hätte ich mich das an dem Abend im Treffpunkt Degerloch hin und wieder selbst gefragt. Aber kritische Distanz lässt sich schwer aufrecht erhalten, wenn die Tanzleiterin Sieglinde Schäfer schwere Geschütze auffährt: Nachdem die 36 Beinpaare inklusive den meinen durch Samba-Schrittchen aufgewärmt sind, legt sie Elvis ein – und erwischt mich damit auf dem richtigen Fuß. Erleichtert, dass Schäfer aus ihrem großen CD-Koffer nicht die mit dem Titel „Alte Hasen 2012“ herausgeholt hat, tipple ich zu „Kiss me quick“ vor und zurück und zur Seite, reiche wechselnden Partnern die Hand und blicke in grinsende Gesichter.

Allein: Die eingängige Schrittfolge zu des Kings Gesang ist erst der Anfang und ich noch lange keine Königin des Folkloretanzes. Der ist nämlich, wie sich herausstellen soll, bisweilen ziemlich anspruchsvoll.

Tanzleiterin packt an

„Machen wir mal die Sonderburger Doppelquadrille“, ruft Schäfer, klärt mich noch schnell darüber auf, dass das ein norddeutscher Tanz ist und platziert mich, ehe ich mich versehe, an meine Ausgangsposition. Die ist glücklicherweise gegenüber der Tanzleiterin.

Sieglinde Schäfer, die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Schwäbischen Albvereins ist, leitet die Tanzgruppe seit fünf Jahren. Und mich führt sie jetzt als männlicher Part durch die sonderbare Sonderburger Choreografie. „Tut mir leid, wenn ich Sie so anpacke“, sagt Schäfer. Dabei bin ich ihr sehr dankbar dafür: Mit starker Hand und Stimme bringt sie mich ohne Gesichts- und Gleichgewichtsverlust durch den Tanz, der aus Vier-Paar- und Zwei-Paar-Kreisen, Promenaden, Männermühlen, Frauenkreisen, Polkarunden und englischen Ketten besteht. Wobei mir vor allem die englische Kette nicht leicht fällt: Bei dieser Tanzfigur kreuzen sich die gegenüberstehenden Paare, und die Frau wird mit dem „Männer“-Arm im Rücken um ihre eigene Achse geführt.

Kurz vor dem „Juchhei“

Patzer, ob nun meine oder die eigenen, nehmen die Tanzgruppen-Mitglieder ohnehin mit Humor. Immer wieder wird die fröhliche Fidelmusik (ja, liebe Ulrike, das meine ich ernst!) von Kichern übertönt, wie es Teenager im Club nicht anders von sich geben würden. Und wenn wieder ein Tanz flüssig geklappt hat, sich wieder gezeigt hat, „was noch so im Hinterstüble ist“, wie es einer der Tänzer formuliert, sind auch Jauchzer in dem Saal zu vernehmen.

Auch ich bin kurz davor, ein beherztes „Juchhei“ auszustoßen, als ich in Schäfers Armen eine Polka tanze. „Woher können Sie das denn?“, fragt sie, als der schwindelerregende Rundtanz im Zweivierteltakt vorbei ist. Würde hernach nicht noch ein anderer Tänzer mein Polkatalent loben, müsste ich fast vermuten, Schäfer wolle mich für ihre Gruppe gewinnen.

Immerhin steht im Oktober die Jahresfeier an, bei der die Gruppe wieder auftritt. Jedes Jahr lässt sich Schäfer eine tänzerische Überraschung einfallen: Vor ein paar Jahren waren die Damen und Herren etwa als Schneemänner und Eiskunstläuferinnen verkleidet. Was bei der diesjährigen Feier ansteht, ist laut Schäfer noch „top secret“, aber einer der Tänzer verrät, dass es etwas „Affengeiles“ ist.

Männertore und Küseln

Aber abgesehen davon, dass meine Freundschaft zu Ulrike wohl ernsthaft in Gefahr wäre, kommen die Degerlocher Folklore-Tänzer auch ohne mein vermeintliches Polka-Talent klar: „Wollen Sie vielleicht mal eine Runde aussetzen?“, fragt mich Schäfer leicht suggestiv nach der Sonderburger Doppelquadrille. Also setze ich mich an den Rand, wippe mit dem Fuß im Takt und schaue dabei zu, wie die anderen sich – ohne mich viel flüssiger – mit Männertoren, Einklatschen und Küseln vergnügen, bei dem sich die Paare mit überkreuzten Händen und weit zurückgelehnt rasend schnell drehen. Altersunterschiede sind verflogen. Bis zum Schlusstanz: eine Abfolge von Walzerschritten zu Hanne Hallers „Mein lieber Mann“, das ich bis dato nicht kenne, bei den anderen aber offenbar sofort in die Beine geht. Wieder was gelernt. Aber meine Erkenntnis des Abends ist nicht, dass Hanne Haller gerne mehr Zeit mit ihrem Mann hätte. Sondern die: Altersvorsorge ist auch für Hedonisten möglich. Ich weiß jetzt, wo ich Spaß kriege, wenn noch ein paar Tage ins Land gegangen sind.

Mittanzen

Die
Folkloretanzgruppe trifft sich regelmäßig donnerstags im Treffpunkt Degerloch, Mittlere Straße 17, von 19.30 bis 21.30 Uhr. Neue Tänzer sind jederzeit willkommen. Wer Interesse hat, kann sich an Gisela Lott wenden unter der Nummer 723353 oder per E-Mail an giselalott@t-online.de.