Für Kunden ist es bequem, sich das Essen ihres Lieblingslokals bis an die Haustür bringen zu lassen. Und Restaurants können sich neue Zielgruppen erschließen, ohne eigene Kuriere anstellen zu müssen. Für sie birgt das Geschäftsmodell jedoch auch Risiken.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Thea Bracht (tab)

Stuttgart - Sonntagabends sind sie in der Innenstadt besonders präsent: Radkuriere, die sich eine Kiste auf den Rücken geschnallt haben, schlängeln sich mehr oder minder routiniert durch die Quartiere, um hungrige Kunden, die weder selbst kochen noch auswärts essen wollen, mit Thai-Curry oder schwäbischem Rostbraten zu beliefern. Seit gut einem Jahr ist der Bringdienst Foodora in Stuttgart aktiv, Partner sind Restaurants, die über keine eigene Lieferflotte verfügen wie der Vietnamese Ha Long im Stuttgarter Westen. „Für uns lohnt sich das Modell“, sagt der Betreiber Tuan Anh Ha, „die Umsätze sind um ein Fünftel bis ein Viertel hochgegangen.“

 

Dass Menschen ihr Essen per Mausklick ordern, ist natürlich kein neues Phänomen. Lieferando, Lieferheld oder Pizza.de bieten schon länger Plattformen für Online-Bestellvorgänge im Gastro-Bereich. Manche Kunden rufen auch direkt bei ihrem Pizzabäcker an. Das Start-up Foodora zielt eher auf den „Premium“-Bereich. Zielgruppe sind demnach vor allem 25- bis 40-Jährige, die „Wert auf kulinarische Vielfalt und Qualität“ legen. Und die bereit sind, dafür mehr Geld als für eine Pizza Margherita auszugeben – plus 2,90 bis 3,50 Euro Liefergebühr. In Stuttgart sind Restaurants mit gehobener Küche gelistet, allerdings auch mäßig gute Lokale.

Manche Quartiere können nur per E-Bike beliefert werden

Daniel Ohl, Geschäftsführer Kommunikation beim Hotel- und Gaststättenverband Dehoga Baden-Württemberg, hält es für möglich, „dass sich die Umsätze in der Gastronomie durch die neuen Vertriebskanäle verlagern werden“. Rund 2200 Restaurants in 19 deutschen Städten hat Foodora inzwischen im Portfolio. Der direkte Konkurrent Deliveroo arbeitet in Deutschland mit gut 2000 Lokalen in sechs Großstädten zusammen. Stuttgart ist bisher noch nicht darunter, was auch an der Topografie liegen könnte. „Operativ ist Stuttgart eine Katastrophe“, sagt Christoph Schwetz, City Manager bei Foodora an der Senefelder Straße, schmunzelnd. Teils könnten Gebiete nur mit dem E-Bike beliefert werden, etwa zehn stehen am Standort Stuttgart zur Verfügung. Bisher sind die Kuriere auch nur in den fünf Innenstadtbezirken unterwegs, der Killesberg ist zum Teil ausgenommen. Grundsätzlich können die Kunden nur Lokale in einem Radius von gut zwei Kilometern auswählen.

Für die Gastronomen hat die Kooperation den Vorteil, dass sie sich aufs Kochen und den Service im Haus konzentrieren können. Foodora übernimmt die Lieferlogistik von der digitalen Speisekarte bis zur Auslieferung, die binnen 30 Minuten erfolgen soll. 120 Kuriere sind dafür in der Landeshauptstadt beschäftigt, ihre Touren werden ihnen über eine App übermittelt.

Es wird massiv in Werbung investiert

Darüber hinaus erreichen die Lokale online neue Kunden, zumal die Lieferdienste im Kampf um die Marktführerschaft massiv in Werbung investieren. „Zu uns sind schon Kunden gekommen, die uns erst über Foodora kennengelernt haben, wir profitieren von dem Werbeeffekt“, sagt Tuan Anh Ha. Das hat jedoch seinen Preis: Pro ausgeliefertem Gericht ist eine Provision fällig, die nach Angaben von Foodora bei 30 bis 35 Prozent liegt. Das Geschäftsmodell zehrt also einen Großteil des Profits der Gastronomen auf. Zudem müssten sie darauf achten, dass bei der Abwicklung der Online-Bestellungen die Bedürfnisse der Hausgäste nicht beeinträchtigt werden, so Ohl. Sie dürfen nicht länger als sonst aufs Essen warten und sich nicht von den Kurieren gestört fühlen. „Jeder Gastronom muss genau abwägen, ob sich das wirtschaftlich für ihn rechnet“, betont Ohl. Er hält es für wichtig, sich den digitalen Vertriebswegen nicht zu verschließen, sieht jedoch zugleich Risiken. Werden die Partner zu mächtig, könnten sie den Restaurants die Preise diktieren, wie es die großen Hotel-Buchungsportale versucht haben. „Macht euch nicht abhängig, lautet die Devise“, rät Ohl. Ob mehrere Anbieter am Markt bestehen können, ist noch nicht abzusehen. Die beiden großen Spieler sind im Moment Delivery Hero mit Foodora, Lieferheld und Pizza.de sowie das niederländische Unternehmen Takeaway mit der Marke Lieferando.

Für die Kuriere ist die Arbeit mitunter kein Zuckerschlecken

Das größte Problem bei den Lieferdiensten sind Experten zufolge die Kosten für die Kuriere. Zur Prime Time am Sonntagabend kommen massenhaft Bestellungen herein – allerdings mit starken Schwankungen. Regnet oder schneit es, lassen sich mehr Leute das Essen liefern. Das heißt, es müssen viele Fahrer in Bereitschaft sein. Und für die Kuriere selbst sind die Touren bei Wind und Wetter natürlich auch kein Zuckerschlecken, was vor allem die Gewerkschaften beklagen. Sie kritisieren zudem, dass die meisten ihr eigenes Rad, das eigene Smartphone plus Datenflatrate mitbringen müssen und die Unfallgefahr beträchtlich sei. „Das ist keine Tätigkeit, die dauerhaft und ernsthaft zum Lebensunterhalt dienen kann“, sagt der Verdi-Sprecher Jan Jurczyk.

Für Studenten kann der Job Vorteile bringen. Alina Trafela, die an der Universität Stuttgart Technische Biologie studiert, schätzt an Foodora, dass die Arbeitszeiten relativ flexibel sind und sie den Spagat zwischen ihrer Masterarbeit und dem Job so meistern kann. Ihr Stundenlohn beträgt zehn Euro, und in den „besseren Gegenden“, sprich in der Halbhöhe, falle das Trinkgeld in der Regel etwas üppiger aus, erzählt die 25-Jährige.

Ein Ende des Bestellbooms ist jedenfalls nicht in Sicht. Ob auch der britische Lieferdienst Deliveroo nach Stuttgart expandiert und künftig Radler in türkisfarbener Kluft in der Stadt unterwegs sein werden, dazu will man sich nicht äußern. Mit Uber Eats könnte sogar noch ein weiterer Konkurrent auf den umkämpften Markt drängen, in Wien stellt der Ableger des Taxidienstes bereits seit Mitte Dezember Essen zu.