Einige Politiker fordern eine Quote für Menschen mit Ost-Biografie. Ein Unsinn, der alle Realitäten in Deutschland außer Acht lässt, kommentiert Bernhard Walker.

Berlin - Kurz zur Erinnerung: Die Mauer ist vor fast 30 Jahren gefallen. Eben deshalb ist es seltsam, dass jetzt eine Quote für Ostdeutsche in den Führungspositionen von Hochschulen, Verwaltungen und der Justiz verlangt wird. Dort solle jeder Sechste, meint Frauke Hildebrandt, die Tochter der früheren SPD-Politikerin Regine Hildebrandt, „als Vertreter für ostdeutsche Anliegen“ tätig sein.

 

Gerade weil dieser Vorschlag hanebüchen ist, muss man ihn näher beleuchten. Denn die Debatte über die Ostdeutschen-Quote zeigt, dass auch 30 Jahre nach dem Mauerfall im Zusammenleben der Bundesbürger einiges schiefläuft. Schief ist zunächst, dass niemand weiß, wer als Ostdeutscher zählen soll. Es komme, sagt Hildebrandt, darauf an, dass die „schulische Bildungsbiografie in den ostdeutschen Bundesländern angesiedelt war“. Diese Länder gibt es aber erst seit 1990. Die Hildebrandt-Quote schließt also Menschen aus, die in der DDR zur Schule gingen.

Alle Ossis mit gleicher Prägung?

Diesen Haken scheint Hildebrandt zu sehen. Sie will überlegen, ob die „Sozialisation der Eltern“ derer, die nach 1990 eine Schule in den neuen Ländern besuchten, in die Definition von „ostdeutsch“ einbezogen werden soll. Damit tut sie so, als hätten Millionen Eltern alle irgendwie eine gleiche, sprich: ostdeutsche, Prägung erlebt, die sie dann auf gleiche Weise – sprich: ostdeutsch – auf ihre Kinder übertrugen. Wie platt sie alles auf eine angeblich einheitliche Ost-Identität verengt, zeigt auch Hildebrandts Satz von den „ostdeutschen Anliegen“. Die gibt es nicht, weil auch die neuen Länder höchst verschiedene Gebilde sind. Und Hochschullehrer oder Richter sollen Wissenschaft betreiben oder nach Recht und Gesetz handeln – also gerade keine „Anliegen“ vertreten, seien sie ostdeutsch, westdeutsch oder was auch immer.

Dass die Bürger der neuen Länder in den letzten 30 Jahren enorm viel erreicht haben, ist Hildebrandt offenbar entgangen. Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt versäumt es, diese Leistung in den Mittelpunkt zu rücken. Sie beklagt, dass es in den neuen Ländern kein Dax-Unternehmen und wenige Bundesbehörden gebe. Das stimmt. Aber was folgt daraus? In Nordrhein-Westfalen haben neun Dax-Konzerne und viele Behörden ihren Sitz. Nur verzeichnet man an Rhein und Ruhr eine höhere Arbeitslosenquote als in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. In diesen drei Ländern ist ein sensationeller wirtschaftlicher Erfolg gelungen – ein Erfolg, der leider wenig Respekt erfährt.

Es geht um den Stolz auf das Erreichte

Deshalb ist es ein Glück, dass der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) genau die richtigen Worte findet. Es gehe darum, „wie wir die Ostdeutschen dazu kriegen, einen natürlichen Stolz auf das in 28 Jahren Erreichte zu entwickeln“.

Natürlich gibt es auch Dinge, die nicht erreicht wurden. An diesem Punkt ähneln sich die alten und die neuen Länder: Vielerorts fehlen Landärzte, schnelles Internet oder Busverbindungen. Wie sich das ändern lässt, ist die entscheidende Frage – und zwar ganz gleich, an welchem Fleck auf der Deutschlandkarte Mangel besteht.