Am Sonntag startet der Formel 1-Zirkus in die nächste Runde. Mercedes ist neben Ferrari der einzige Hersteller mit eigenem Werksteam.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Norbert Haug ist das Gesicht der Marke Mercedes-Benz. Den letzten Beweis dieser These lieferte eine Umfrage auf der Königstraße, bei der den Passanten ein Foto des Motorsportchefs gezeigt und ihnen die Frage gestellt wurde: Wer ist dieser Mann? Ohne lange überlegen zu müssen beantworteten die meisten Stuttgarter Bürger die Frage auf Anhieb richtig; ob Jung oder Alt, ob Mann oder Frau. Und mit den zwei Fehleinschätzungen, die es trotz aller Kenntnisse gegeben hatte, kann Haug sicher leben. Ein Herr meinte, auf dem Foto den Chefredakteur des „Focus“ erkannt zu haben, ein anderer identifizierte den Mercedes-Mann als Bundespräsidenten.

 

Eine politische Karriere wird Norbert Haug, der im Fahrerlager der Formel 1 gerne auch mal kumpelhaft „Nobbi“ genannt wird, vermutlich nicht mehr anstreben. Und was den Chefredakteur angeht: das war er schon vor mehr als 20 Jahren bei der Motorpresse. Doch das politisch korrekte Auftreten, es liegt ihm, keine Frage. Haug, bei Pforzheim aufgewachsen, wird im Fall des Sieges zum Partytiger. Doch versteht er es auch glänzend, sich nach bitteren Niederlagen onkelhaft lächelnd vor die Fernsehkamera zu stellen und darauf zu verweisen, dass seine schwäbische Mentalität im Misserfolgsfall nichts anderes zulasse, als die Ärmel hochzukrempeln und kräftig in die Hände zu spucken. „Wer uns kennt, der weiß, dass wir wieder aufstehen“ – das ist ein fast schon in Stein gemeißelter Haug-Satz. Arbeit, Arbeit, Arbeit.

Norbert Haug rastet nie

Dass er schuftet, man nimmt es ihm ab. Wenn nicht Haug, wem dann? Bei fast 900 Rennen saß er als Motorsportchef der Stuttgarter Automarke mit dem Kopfhörer am Kommandostand. In dieser Saison, die am Sonntag in Melbourne beginnt, besucht er 20 Formel-1-Rennen, dazu zehn Wettfahrten in der Deutschen Tourenwagenmeisterschaft. Jede Menge Repräsentationstermine oder Besprechungen im englischen Werk in Brackley, wo Michael Schumachers Rennwagen gebaut wird, stehen überdies auf dem Programm. Seit 22 Jahren sitzt Haug im Auftrag des Sterns im Flugzeug und jettet ruhelos um die Welt.Wer die Geschichte des „Racers“ (Haug über Haug) kennt, der versteht auch, warum Mercedes inzwischen der einzige Autohersteller mit einem Werksteam in der Formel 1 ist, außer Ferrari – aber die Italiener gehören ja zum Inventar.

Dass die Stuttgarter seit 1993 in Bernie Ecclestones exklusivem Brumm-Brumm-Club nach 38 Jahren der Abstinenz überhaupt wieder dabei sind, auch das hat etwas mit der beispiellosen Hartnäckigkeit des Sportchefs zu tun. Haug wurde nicht müde, die Vorstände von der Formel-1-Rückkehr zu überzeugen. Und als habe der Motor des 59-Jährigen in den vergangenen 22 Jahren kein bisschen an Leistung verloren, schaffte er es, 2010 ein reines Mercedes-Werksteam an den Start zu bringen. Am Steuer: die Superstars Michael Schumacher und Nico Rosberg. Mit dieser deutschen Formel-1-Nationalmannschaft erfüllte sich Haug einen Traum. Dass er ihn verwirklichen konnte, ist dem Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche geschuldet. Den Hierarchien im Hause Mercedes zum Trotz, befinden sich der Vorstandsboss und sein Motorsportchef nämlich in einem Punkt absolut auf Augenhöhe. Beide mögen Autos, schnelle Autos – und damit natürlich den Rennsport.

Wegen chronischer Erfolglosigkeit kehrte derweil BMW der Formel 1 den Rücken. Auch Honda ist weg, Renault stellt kein eigenes Team mehr, und die Kölner Toyota-Filiale wurde vom japanischen Vorstand kurzerhand dicht gemacht, weil mit den müden Kisten des Etatweltmeisters nichts zu gewinnen war. Toyota hatte mit dem Rekordbudget von 400 Millionen Dollar im Kampf um den WM-Titel keinen Stich gemacht. Heute, und auch das erklärt das Überleben von Mercedes, sind die Formel-1-Etats mächtig geschrumpft. Der Sparzwang hat auch den aufgeblasenen Rennzirkus erfasst. Hat Mercedes im Jahr 2008 noch kolportierte 150 Millionen Euro in den damaligen Partner McLaren gepumpt, so soll das Gesamtbudget inzwischen deutlich unter der 100-Millionen-Marke liegen. Vor zwei Jahren hat Haug davon gesprochen, dass der Etat unter die 60-Millionen-Linie fallen müsse. Den Großteil des Budgets generiert das Team aus dem Sponsorenpool, dem unter anderem der arabische Investor Aabar als Mitinhaber und der malaysische Mineralölriese Petronas angehören.

Geschrumpfe Etats spielen Haug und Zetsche in die Hand

So günstig war die Formel 1 in den vergangenen 15 Jahren noch nie. Dieses Argument dient Haug und Zetsche als Argumentationsgrundlage, sollte der Mercedes-Betriebsrat den Finger heben und das kostspielige Formel-1-Engagement als rausgeschmissenes Geld bezeichnen. Die Zeiten stehen nicht schlecht für eine Werksbeteiligung in Ecclestones Welt, sie spielen der motorsportbegeisterten Mercedes-Achse Zetsche/Haug in die Hand.

Wenn da nur nicht die sportliche Situation wäre. Seit Mercedes eigene Wege geht und den großen Schumi hat, geht es nicht vorwärts. Zweimal wurde der Rennstall nur Vierter der Teamwertung, und Schumacher stand nicht einmal auf dem Podest. Beobachter der Szene führen dieses Dilemma auf den begrenzten finanziellen Rahmen zurück, demnach spare sich Mercedes um den Titel. So wurden eilends die Staringenieure Geoff Willis und Aldo Costa verpflichtet. „Die allerbesten Teams brauchen in der Formel-1-Neuzeit fünf Jahre bis zum ersten Sieg. Wir wollen 2012 einen Schritt nach vorne machen, der erkennbar ist“, sagt Norbert Haug. Kein Bundespräsident hätte das geschliffener formuliert.