Der Weltmeister Sebastian Vettel und Red Bull müssen vor dem Rennen in Singapur unbedingt das Problem mit der Lichtmaschine lösen. Sonst kann der Heppenheimer eine Titelverteidigung wahrscheinlich abschreiben.

Stuttgart - Wenn Sebastian Vettel diese Weltmeisterschaft gewinnt, dann wird sie die wertvollste in seiner Sammlung sein – weil sie die schwierigste war. Schwieriger als 2010, als Red Bull das schnellste, aber nicht das zuverlässigste Auto hatte. Härter als 2011, als Red Bull in allen Kategorien dominierte. Doch in diesem Jahr hat Red Bull weder das schnellste noch das zuverlässigste Auto. Und das macht es für Vettel so schwer, seinen Titel ein zweites Mal zu verteidigen.

 

Der Heppenheimer zitiert gerne die Saison 2010, wenn er nach seinen WM-Chancen gefragt wird. Da hatte er zum gleichen Zeitpunkt, also sieben Rennen vor dem Ende, zehn Punkte Rückstand auf seinen Teamkollegen Mark Webber. Heute sind es 39 Zähler auf Fernando Alonso. Vor zwei Jahren hat er in den letzten beiden Rennen 25 Punkte gutgemacht auf Alonso. Da sollte doch die augenblickliche Aufgabe lösbar sein, müsste man meinen.

Die Situation ist allerdings nicht ganz vergleichbar, auch wenn damals wie heute fünf Fahrer noch reelle Titelchancen haben. Doch 2010 konnten nur Red Bull, McLaren und Ferrari Rennen gewinnen. 2012 sind sieben Autos siegfähig. Auch wenn Sauber und Williams im Titelrennen keine Rolle spielen, können sie den Großen in die Suppe spucken. Vettel sieht auch das optimistisch: „Sie können mir, aber auch Alonso Punkte wegnehmen.“

Es geht um Millimeter

Der Weltmeister kann sich nicht mehr hundertprozentig auf sein Fahrzeug verlassen. Der Red Bull RB8 ist ein gutes Rennauto. Nur ist das Abstimmungsfenster, in dem es funktioniert, mikroskopisch klein. Die Piloten leben ständig mit der Frage, wie wenig Bodenfreiheit sie sich im Spagat zwischen Abtrieb für schnelle Kurven oder einer guten Traktion leisten wollen, also die vorhandene Antriebsleistung in Beschleunigung umzusetzen. Es geht dabei um Millimeter. Der Red Bull vom Samstag ist selten das gleiche Auto wie der Red Bull vom Sonntag. Die Ingenieure haben die Wahl, sich für eine Prüfung zu entscheiden. Entweder sie stimmen das Auto für die eine schnelle Runde in der Qualifikation ab, doch dann passt es nicht mehr für 150 Kilogramm Sprit an Bord und es frisst die Reifen. Wird der RB8 auf Reifenschonen ausgelegt, sind die Fahrer im Training zu langsam und bezahlen mit schlechten Startpositionen.

„Wir gewinnen von Samstag auf Sonntag im Vergleich zur Konkurrenz fast eine Sekunde, aber wir wissen nicht warum“, bestätigt Mark Webber. Je härter die Gummimischungen, umso größer das Problem. Es wird dann schwierig, die Reifen auf Knopfdruck in ihr Arbeitsfenster zu bekommen. Da trifft es sich gut, dass Pirelli für Singapur seine beiden weichsten Reifentypen auspackt. „Das sollte uns helfen“, sagt der Red-Bull-Teamchef Christian Horner.

Kommt der Red Bull im Rennen einmal in Fahrt, ist er so schnell wie ein Ferrari, McLaren oder Lotus. Vettel und Webber müssen jedoch hohes Risiko gehen, um das Manko ihrer schlechten Startpositionen wettzumachen. Jedes Überholmanöver muss im ersten Anlauf gelingen. Wenn sie zu lange hinter einem anderen Auto herfahren, leiden die Reifen. Vettel kann das besser als Webber. Deshalb kam er zuletzt immer vor dem Australier ins Ziel. Wenn er es überhaupt sieht.

Die Lichtmaschine stirbt jedes Mal den Hitzetod

In diesem Jahr begleitet ihn eine mysteriöse Seuche. Ein für Formel-1-Normen relativ simples Teil raubt dem Titelverteidiger den Nerv. Schon dreimal streikte die Lichtmaschine, der elektrische Generator im Motor. Und jedes Mal nach rund 500 Kilometern. Dabei sollte die Komponente eigentlich viermal so lange halten. Doch sie stirbt jedes Mal den Hitzetod. Das liegt vor allem daran, dass sich die Lichtmaschine selbst aufheizt.

In Valencia hat es Vettel den Sieg gekostet, in Monza den vierten Platz. Einmal ging der Stromerzeuger im Training kaputt. Das hat auch einen der acht Motoren aus dem Kontingent pulverisiert. Renault war nach dem Rennen in Italien ratlos. Alle Maßnahmen, die nach dem Ausfall in Valencia ergriffen wurden, liefen ins Leere. Der Renault-Ingenieur Remi Taffin sagt: „Es hat nichts mit Vettel, nichts mit Red Bull, nichts mit der Rennstrecke und nichts mit den äußeren Bedingungen zu tun. Die Ursache muss in dem Teil selbst liegen. Wenn unser Kunde Williams noch nie davon betroffen war, dann ist das Zufall.“

Von Zufällen will Red Bull nichts hören. „Wir müssen das Problem sofort lösen, sonst können wir die Titelverteidigung abschreiben“, betont Horner. Er ist froh, dass mit Spa und Monza die beiden schnellsten Strecken abgehakt sind. Doch Red Bull zählte auch 2011 zu den langsamsten Autos auf der Geraden, gewann aber zwölf Rennen. In Singapur muss sich Vettel um die Topgeschwindigkeit keine Gedanken machen. Die längste Gerade ist 520 Meter lang. Der Rest der Strecke besteht aus meist rechtwinkligen Kurven. Da ist Traktion gefragt. Und davon hat der Red Bull genug.