Die Formel 1 will von 2026 an mit klimaneutralem Sprit unterwegs sein – Mercedes und Petronas arbeiten gemeinsam daran, um mit diesem E-Fuel einem V-6-Turbomotor die höchste Effizienz zu entlocken.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Safwan Hanis und Emil Bernsten sind mit die Ersten, die vor dem Grand Prix in Frankreich diesen Sonntag (15 Uhr) auf dem Circuit Paul Ricard die Arbeit aufgenommen haben. Montag haben sie das mobile Labor von Petronas im 15 Meter langen LKW-Auflieger bestückt, das der Mineralölkonzern und Mercedes-Partner bei den Rennen betreibt. „Wir stellen sicher“, sagt der Malaysier Hanis, „dass das Benzin nicht konterminiert wird und den Regeln entspricht.“

 

Sobald der Tankwagen den Sprit in 200- und 54-Liter-Fässer umgefüllt hat, nehmen sie jeweils eine Probe und versehen sie mit einer Nummer – und nach jeder Session nehmen Hanis und Bernsten persönlich erneut eine Probe; sowohl bei Mercedes als auch bei den Kundenteams Aston Martin, Williams und McLaren. Macht am Wochenende rund 150 Pröbchen. Die zwei Milliliter werden im Gas-Chromatografen analysiert, jede Abweichung wäre ein Alarm. „In Miami hat einer Benzin für Demofahrten mit Rennbenzin verwechselt“, erzählt Bernsten, „wir haben den Fehler rechtzeitig erkannt.“ Die Ingenieure leisten weit mehr: Da alle Motoren versiegelt sind, bringen die Vorher-Nachher-Analysen von Benzin und Getriebeöl wichtige Hinweise über die Lebensdauer der Teile. „Man erkennt schneller“, sagt Hanis, „wann ein Bauteil gewechselt werden muss.“

Die Kooperation des Auto-Herstellers mit dem Ölkonzern geht über die Arbeit im mobilen Labor weit hinaus. Gemeinsam tüfteln sie daran, wie der Verbrennungsmotor am effizientesten auf klimaneutralen Kraftstoff, sogenannte E-Fuels, umgerüstet werden kann – und wie das synthetische Benzin zusammengesetzt sein müsste, um die beste Leistung zu erzielen. Die Jagd nach dem Wunderbenzin hat sich die Formel 1 selbst auferlegt. Von 2026 an dreht die Rennserie mit synthetischem Kraftstoff ihre Runden. Die Selbstverpflichtung als Zeichen, dass Motorsport in Zeiten der Erderwärmung und nahenden Klimakrise zukunftsfähig ist. Derzeit schluckt der V-6-Turbo noch das aufgepeppte E-10-Benzin, das von Bernsten und Hanis untersucht wird. „Noch ist das Reglement für 2026 nicht festgeschrieben“, sagt Hywel Thomas, Geschäftsführer der Mercedes-Antriebssparte High Performance Powertrains, „aber sicher ist, dass die klimaneutralen Kraftstoffe kommen.“

E-Fuels werden aus erneuerbaren Rohstoffen und Abfällen sowie Strom, Wasserstoff und Kohlendioxid (CO2) produziert – bei der Synthese wird die gleiche Menge an CO2 gebunden, die bei der Verbrennung frei wird. Ergo: Die CO2-Bilanz ist ausgeglichen. Noch haben Mercedes und Petronas bei dieser technischen Herausforderung viele Fragen zu klären. Aus welchen Quellen wird der Kraftstoff produziert? Wird Petronas das Gemisch herstellen, oder bezieht es der Rennstall von einem Lieferanten? Die Ingenieure sprechen bei der Optimierung eines Verbrenners vom „Hunger des Motors“, wie Hywel Thomas verrät: „Wir versuchen herauszufinden, wo genau der Appetit des Motors liegt und wie wir ihn am besten stillen.“ Die Partner nähern sich Hand in Hand dem Optimum, es gibt Versuche, Rücksprachen, Analysen; was funktioniert, wird verfeinert, was nicht, landet im Mülleimer – alle Motorenhersteller der Formel 1 tüfteln nach diesem Schema. Ferrari forscht mit Shell, Red Bull (mit Honda-Motor) fahndet mit Exxon, Renault mit Castrol. Würde jemand in den Mercedes E-Fuel von Exxon kippen oder Petronas-Sprit in einen Ferrari, würde das Aggregat nicht streiken, als wenn man Diesel in einen Benziner tankt. „Die Autos würden fahren“, sagt Hywel Thomas, „aber es wären keine Topleistungen drin.“

Etwas in der Art hat die Formel 1 vergangenes Jahr unternommen. Mercedes, Ferrari, Red Bull und Renault haben von Automobil-Weltverband Fia jeweils 200 Liter mit Sprit aus biologischen Abfällen erhalten und sollten ihn auf ihren Prüfständen ausprobieren. Weil der Kraftstoff weniger Energie besitzt als das Rennbenzin, leisteten die Verbrenner zwischen 80 und 110 PS weniger, was sich durch eine Optimierung der Komponenten sicher verringern ließe. Würde man in den V6 Benzin von der Tankstelle kippen, würde er auch keine 1000 PS mehr zustande bringen. Ziel der Fia war, Erkenntnisse zu gewinnen, denn der Verband ist ebenso daran interessiert, dass der klimaneutrale Sprit die Formel 1 grüner gestaltet. „In Zusammenarbeit mit den Herstellern nähern wir uns einer Lösung“, sagt Gilles Simon, der Technikchef des Weltverbandes, „der Datenaustausch ist delikat, weil sie Wettbewerber sind. Aber ich glaube, es bildet sich eine technische Gemeinschaft, die das Thema antreibt.“

Die nordamerikanische Indycar-Serie betreibt ihre Motoren seit Jahren mit 85 Prozent Ethanol, ein Biokraftstoff der ersten Generation, sowie 15 Prozent handelsüblichem Benzin. Doch die Formel 1 will Primus sein in Technik und in der Klimaneutralität – auch wenn längst nicht umrissen werden kann, wie viele Liter der Rennzirkus benötigt, wer die Menge herstellen kann und zu welchem Preis E-Fuel gehandelt wird. Es müssen noch viele Kilometer gefressen werden, bis klimaneutraler Sprit die Formel 1 antreibt. „Für bahnbrechende Technologien ist es nicht nur wichtig, sie auf die richtige Art und zum richtigen Zeitpunkt einzuführen“, betont Hywel Thomas, „es ist entscheidend, dass es sich bei der Einführung um ein fantastisches Produkt handelt.“ Gut Ding will Weile haben.