Sollte es wieder nicht laufen, könnte Red Bull die Saison abschreiben. Sieben Rennen und kein Sieg, das ist ebenso Neuland für Sebastian Vettel wie der neue Red-Bull-Ring. Der Heppenheimer kämpft um seine Rolle, sein Image, seine Erfolge.

Spielberg - Die Formel 1 ist Stier. Voll-Stier, könnte man sogar sagen, denn das Wahrzeichen des Red-Bull-Rings in Spielberg ist aus Stahl, 17,20 Meter hoch und wiegt 68 Tonnen. Die Hörner sind blattvergoldet. Mit voller Wucht gibt Österreich sein Comeback auf der Grand-Prix-Landkarte, und dafür ist nichts zu teuer.

 

Denn es ist – nach vier Weltmeistertiteln hintereinander – der letzte große motorsportliche Traum, den sich der 70 Jahre alte Brause-Milliardär Dietrich Mateschitz erfüllen konnte: zum eigenen Rennstall auch noch eine eigene Rennstrecke. Belegt mit den Investitionen von etwa 250 Millionen Euro, die der Abriss der alten Rennstrecke, die Renaturierung und die neue Berg- und Talbahn gekostet haben.

Und dann kommt da die Werbekolonne aus Stuttgart und verhöhnt schon bei der Anfahrt zur Strecke den Gastgeber. „Heimspielberg“ steht auf den meisten Plakatwänden in den Ortschaften, die sich – häufig auch mit Mateschitz-Subventionen – fein gemacht haben, um die (Renn-)Welt zu empfangen. Das freche Riesenposter, das sicher auch der österreichisch geprägten Mercedes-Teamleitung Toto Wolff/Niki Lauda diebisches Vergnügen bereitet, kann man ausführlich studieren – schon am Donnerstag brach der Verkehr rund um Knittelfeld zusammen. Fürs Wochenende sind 80 000 Zuschauer angekündigt, auch wenn Österreich seit sieben Jahren keinen Stammpiloten mehr hat und Laudas Titelgewinne drei Jahrzehnte her sind.

Das Gemüt Vettels wirkt fast miesepetrig

„Happy day“ heißt der Saft, den Sebastian Vettel, erklärter Freund des Bergidylls, bei einem Promotiontermin pressen durfte. Na dann. Besonders für den Weltmeister hatte Mateschitz das Heimspiel anrichten lassen. Und dann kommt Red Bull tatsächlich erstmals als Sieger in einer von Mercedes dominierten Saison nach Spielberg – doch der strahlende Gewinner von Montreal heißt Daniel Ricciardo. Der Australier war eigentlich als Rennazubi verpflichtet worden, nun liegt er nach seinem ersten Formel-1-Sieg 22 Punkte vor Vettel in der WM, und der Marketingexperte Mateschitz ist voller Wertschätzung: „Bis heute keine Spur eines Fehlers, sehr schnell, von seinem Charisma und seiner gewinnenden Persönlichkeit ganz abgesehen.“

Dagegen wirkt das Gemüt Vettels fast miesepetrig. Und so klingen die Zitate des Titelverteidigers auch, seinen Rennwagen hat er zuletzt als „Gurke auf der Geraden“ bezeichnet – und vorrangig den schwachen Renault-Motor gemeint. Für Spielberg war eine aerodynamische Überarbeitung des zickenden Rennwagens angekündigt. Sollte es wieder nicht laufen, will man beim Championteam überlegen, vielleicht schon die ganze Saison abzuschreiben.

Sieben Rennen und kein Sieg, das ist ähnliches Neuland für Sebastian Vettel wie der Red-Bull-Ring, auf dem er, wie einst Jochen Rindt, als einheimischer Fahrer adoptiert wird. In Österreich fuhr er vor 13 Jahren allerdings schon mal einen Test, „Formel König“ hieß die Nachwuchsklasse. Und vor ein paar Wochen hat er im alten Ferrari seines Mentors Gerhard Berger ein paar Runden gedreht. Das dürfte ihm mehr Spaß bereitet haben als der aktuelle Hybrid-Turbo. Ricciardos Erfolge sind ein weiterer Nadelstich in das Ego des Weltmeisters. Der Heppenheimer kämpft um seine Rolle, sein Image, seine Erfolge. Der Frust entspricht seiner Motivation: „Ich trete nicht an, um Zweiter zu werden.“

Rosberg und Hamilton hetzen vorneweg

Der WM-Spitzenreiter Nico Rosberg war zuletzt in Kanada ganz froh, mit dem lahmenden Silberpfeil noch Zweiter geworden zu sein. Denn damit konnte er, durch den Ausfall des Teamkollegen Lewis Hamilton, seine WM-Führung ausbauen. Die beiden sind auch im Neuland Spielberg in der Favoritenrolle, auch wenn in Montreal die MGU-K-Steuereinheit überhitzte. Mercedes bestreitet energisch, dass das eine Folge des überharten internen Stallduells gewesen ist – Rosberg und Hamilton dürfen sich ja nach Belieben hetzen, und das tun sie in jeder Hinsicht auch bis an (und gelegentlich über) alle Grenzen.

Die Angriffslust wird ungebrochen sein. Durch seinen Ausfall in Kanada ist Hamilton unter Zugzwang, er liegt schon 22 Punkte hinter dem Deutschen zurück. Der Brite rechnet vor: „Ich habe ja schon gezeigt, dass ich aufholen kann. Allerdings benötige ich dazu vier Siege.“ Er geht scheinbar automatisch davon aus, dass Rosberg dann immer Zweiter wird.

Die Panne im letzten Rennen ärgert den Mercedes-Sportchef Toto Wolff, zeigt sie doch, wie schnell alles kippen kann. Der Fehler beim überhitzenden Steuergerät ist gefunden. „Äußerst schädlich“ sei der kleine Defekt gewesen, und er zeigt sich gewarnt: „Das letzte Rennen hat gezeigt, wie schnell sich die Dinge ändern können.“ Ob das Koketterie oder Zweckpessimismus ist, werden die 71 Runden am Sonntag weisen. Auf den Werbefahnen des Streckenbetreibers steht übrigens: „Spielberg – Nomen ist omen.“ Dabei ist es Ernst, bitterer Ernst.