Präsident Wladimir Putin will sich bei der Formel-1-Premiere in Russland am Sonntag sein zweites Denkmal setzen nach den Olympischen Winterspielen in Sotschi. Die Kritik am Megaprojekt hält sich in engen Grenzen – obwohl es viel zu kritisieren gäbe.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Sotschi - Sebastian Vettel kennt sich hier schon aus. Kürzlich fuhr er in einem Serienauto den Rundkurs von Sotschi ab. „Ein interessanter Mix aus Hochgeschwindigkeitskurven und technischen Abschnitten“, sagte der Hesse voller Lob. Und der Formel-1-Boss Bernie Ecclestone behauptet beim Blick auf die neue Piste sogar: „Noch nie wurde so eine Strecke gebaut!“

 

Am Sonntag (13 Uhr/RTL) kommt es zum Ernstfall. Dann findet die Formel-1-Premiere in Russland statt. Dass es die von Ecclestones Haus- und Hof-Architekten Hermann Tilke entwickelte Rennbahn in sich hat und die Autos mit Tempo 300 auf die erste Kurve zufliegen, lässt die Branche mit der Zunge schnalzen. Doch gepaart mit schlanken Auslaufzonen und nahe stehenden Begrenzungsmauern klingt die Hoffnung auf heldenhafte Manöver vor allem im Hinblick auf den Unfall von Jules Bianchi in Suzuka wie der blanke Hohn.

Es ist aber nicht nur das. Der Russland-Grand-Prix steht in vielerlei Hinsicht in der Kritik. Doch die Bedenken dringen nicht durch bei der Formel-1-Familie – und wenn doch, dann wird geschwiegen. Die Teams und ihre Piloten verstecken sich hinter Bernie Ecclestone und halten sich an die Geschäftsgrundlage Nummer eins, wonach Vertrag nun einmal Vertrag ist. Außerdem ist Ecclestone sich mit seinem neuen großen Kumpel, dem russischen Staatschef Wladimir Putin, in allen Fragen so was von einig, dass eigentlich nur noch ein beherzter Bruderkuss fehlte nach der Unterzeichnung des Kontrakts. Der Ukrainekonflikt ruft in der Formel-1-Gemeinde also nicht die Moralisten auf den Plan. Das war aber auch schon so, als die Demonstranten im arabischen Königreich Bahrain noch in Panzerrohre guckten.

Politische Debatten sind der Formel 1 lästig

Im Gegenteil: die Formel 1 fühlt sich durch politische Debatten belästigt. So platzte dem sonst eher besonnenen Kommunikator Christian Horner der Kragen. Angesprochen auf mögliche Bedenken, in Russland zu fahren, ärgerte sich der Red-Bull-Teamchef über die anhaltend „depressive Fragerei“. Der Rennkalender komme immer im Herbst heraus, da habe jeder die Chance zu sagen, ob er mitmache oder nicht, polterte Horner. Flankiert wurde er von Claire Williams, der stellvertretenden Chefin des Williams-Teams: „Wir haben immer gesagt, dass wir uns davon distanzieren wollen, Dinge politisch zu betrachten“, sprach sie: „Die Fia ist die Regierung, sie gibt den Rennkalender heraus – und wir müssen die Anweisungen befolgen.“

Ob im stillen Kämmerlein nicht doch anders gedacht wird? Zumindest wurde ein Boykott der Russlandpremiere kategorisch abgelehnt. Und so findet innerhalb nur eines Jahres in Sotschi das zweite Spektakel statt, mit dem sich Putin der Welt glanzvoll präsentieren will. Im Februar versuchte er sich schon mit den gigantischen, aber stimmungsarmen Winterspielen in Sotschi ins rechte Licht zu rücken. Nun wurde dort auf dem Olympiagelände des Stadtteils Adler die Formel-1-Rennstrecke gebaut, die sich zwischen den monumentalen Eissporthallen durchschlängelt. Wie die riesigen Hotels sind diese nichts weiter als nutzlose Baudenkmäler der Winterspiele 2014. Allein in Sotschi stehen zurzeit mehr als 40 000 Hotelbetten leer.

Geld spielt für Putin bekanntlich keine Rolle

Putin und seine Getreuen wollten die Infrastruktur des Olympiaparks für die Rennstrecke nutzen, um Geld zu sparen. Tatsächlich aber ist das Autodrom mit Kosten in Höhe von 260 Millionen Euro angeblich doppelt so teuer geworden wie geplant. Geld spielt für Putin im Hinblick auf Prestigeobjekte aber bekanntlich keine Rolle. Es ist anzunehmen, dass dieser Umstand die Verhandlungsposition des Geldfuchses Ecclestone gestärkt hat. Angeblich kassiert seine Vermarktungsfirma für das Russlandgastspiel 50 Millionen Dollar im Jahr. Die meisten Rennstreckenbetreiber kostet das Formel-1-Vergnügen zwischen 20 und 30 Millionen Dollar – doch Scheichs und eben Putin zeigen sich großzügig.

Und wofür? Es geht um das Ego der Machthaber. Für 100 000 Zuschauer war der Kurs in Sotschi konzipiert worden – doch inzwischen wurde die Kapazität auf 45 000 Plätze reduziert. Russland besitzt keine Motorsporttradition – und die Bevölkerung hat existenziellere Sorgen als Putins überdimensionale Carrera-Bahn. Das war bei Olympia, wo der Sport oft vor einer Geisterkulisse stattfand, auch schon so.

Doch Putin schert das herzlich wenig, und Ecclestone schon gar nicht. Der Brite arbeitet gerade eifrig an einem Vertrag für einen Grand Prix im Jahr 2016 – im Motorsport-Eldorado Aserbaidschan.