Das Formel-1-Rennen in Ungarn ist gesetzt, weil es einen Vorgeschmack auf die Ferien gibt und die Regierung artig zahlt.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Miami, New York, Las Vegas, aber auch Hanoi oder Kopenhagen – dorthin zieht es die Formel 1. Da Miami 2019 noch nicht stattfinden kann, darf sich Hockenheim Hoffnungen auf ein Gnadenbrot machen. „America first“ – nach diesem Prinzip geht nicht nur US-Präsident Donald Trump vor. Auch die amerikanischen Formel-1-Machthaber von Liberty Media wollen die USA wieder stark machen – und sei es mit einer europäisch geprägten Serie.

 

Dagegen sind auf dem Mutterkontinent viele Ausrichter wegen finanzieller Nöte aus dem Programm geflogen. Die Formel 1 gastierte mal in Magny-Cours, Imola, Valencia, auch Istanbul war dabei – mit einem nagelneuen attraktiven Kurs. Der Nürburgring ist weg vom Fenster, Hockenheim könnte folgen. Und wenn sie irgendwann auch noch in Spa, Monza oder Silverstone den Stecker ziehen, verliert die Formel 1 ihre Seele. Davon wird Liberty Media womöglich Abstand nehmen. So vernünftig, hoffen Rennsport-Puristen, werden die US-Bosse ja wohl sein.

Seit 1986 lückenlos dabei

Fast unbemerkt wird dagegen in Budapest gefahren – bereits seit 1986 lückenlos. Der Ungarn-Grand-Prix steht kurioserweise nie zur Debatte. Bis 2022 hat sich die Formel 1 vertraglich an die zauberhafte Donaumetropole und ihren Micky-Maus-Kurs gebunden. „In Ungarn werden wir erneut einen harten Kampf gegen Ferrari und Red Bull erleben. Der Hungaroring ist ein Kurs, der nach viel Abtrieb verlangt“, sagt Mercedes-Sportchef Toto Wolff vor der extrem kurvigen Raserei am Sonntag (15.10 Uhr/ RTL).

Die Formel-1-Gemeinde hat sich an ihren „Holiday-Grand-Prix“ gewöhnt. „Wir gehen ins Zentrum und haben einen tollen Blick auf den Fluss. Man ist das ganze Wochenende über ein Teil der Stadt“, sagt Fernando Alonso, für den das Rennen einen Vorgeschmack auf den Urlaub gibt. Nach Budapest geht es ja traditionell in die Ferien.

Nicht nur Alonso träumt am Donau-Ufer, auch die anderen Piloten genießen die Abende im Rom des Ostens. Warum Budapest seinen festen Platz im Rennkalender hat, liegt weniger an der Kulisse als an der Tatsache, dass der Staat die Zeche zahlt – und das pünktlich. Stets werden die kolportierten 17 Millionen Euro Startgeld ohne Murren überwiesen. Nichts schätzte der einstmalige Formel-1-Chef Bernie Ecclestone mehr als eine vorbildliche Zahlungsmoral, seinen Nachfolgern von Liberty geht es nicht anders. Ungarn ist zwar arm, doch die Regierung weiß: Nur einmal im Jahr schaut die Welt auf Budapest – und das wegen der Formel 1. Ungarn produziert sonst ja nur Schlagzeilen durch den fragwürdigen Regierungsstil des Staatschefs Viktor Orbán. Ansonsten stehen nur noch trübe Themen wie die zunehmende Armut im Land sowie die gnadenlose Grenzpolitik der Regierung im Hinblick auf den Flüchtlingsstrom im Blickfeld.

Ablenkung von den „bad news“

Der Formel-1-Grand-Prix in Budapest liefert die gewünschten „good news“, und er lenkt ab von den „bad news“. So dicht Orbán die Grenzen auch macht, der Budapest-Grand-Prix war seinerzeit ein Türöffner zwischen Ost und West. Ecclestone wollte mit der Premiere 1986 ausprobieren, ob es möglich ist, seinen Milliardenzirkus hinter dem Eisernen Vorhang fahren zu lassen. Der Protz des Kapitalismus trifft auf den schwunglosen Sozialismus, das war die Idee. Also ließ sich der Formel-1-Patron feiern als Visionär, der die signifikanteste Grenze der Welt überwinden konnte. Die Ungarn dankte ihm das Gastspiel, indem sie bei Autogrammstunden vor Ayrton Senna in die Knie gingen, als stünden sie vor dem Papst.

Inzwischen benötigt der Hungaroring eine Frischzellenkur – etwa an den Tribünen und Kabinen der TV-Kommentatoren. Ab Herbst 2018 soll das Boxengebäude auf Vordermann gebracht werden. Allerdings ging es 1986 ja auch schon sehr antiquiert und dem damaligen Osten entsprechend eher verstaubt zu. Nicht lange überlebt hatten jedenfalls die Wellblechbuden der Prostituierten rund um den Hungaroring, die Ecclestone sofort wieder abreißen ließ.

Doch auch so bevölkern seit Jahren die Hardcore-Fans aus England, Deutschland, Italien oder den Niederlanden die Stadt – und machen sie zum Ballermann des Ostens. Deshalb pfeifen die meisten von ihnen auf Rennen in Miami, Las Vegas und New York.