Zum dritten Mal patzt der Ferrari-Pilot Sebastian Vettel in dieser Saison und verschenkt Punkte. Damit macht er seinen WM-Rivalen Lewis Hamilton mental immer stärker.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Nico Rosberg steht nicht im Verdacht, seinem ehemaligen Mercedes-Rivalen Lewis Hamilton für die Formel-1-WM 2018 alles Gute zu wünschen. Sein scharfes Urteil über Sebastian Vettels gravierenden Fehler in Hockenheim offenbarte deshalb ein Gefühl großer Enttäuschung, die der ehemalige Rennfahrer mit allen Vettel-Fans teilte. Denn auch Rosberg spürte: Wenn es so weitergeht, bekommt Hamilton den Titel auf dem Tablett serviert. „Was für ein gewaltiger Patzer – unglaublich! Er hat es einfach in die Wand geschmissen, und das ist so übel“, sprach Rosberg und zeigte sich fassungslos.

 

Den Weg von seinem zerschellten Rennwagen in die Boxengasse absolvierte Vettel zuvor mit dem Helm auf dem Kopf. Genau so war oft auch Michael Schumacher unterwegs, als er ein Rennen weggeworfen hatte. Der Helm schützt nicht nur bei Unfällen, er hält auch Emotionen unter Verschluss. Über seinen verfluchten Fehler in Hockenheim hatte sich Vettel ja auch so gewaltig geärgert, dass es besser war, nicht gleich aller Welt seinen Frust zu zeigen. Oder waren auch Tränen im Spiel?

Der Spielverlauf steht auf dem Kopf

Der schusselige Ausrutscher in der Sachskurve hat den Spielverlauf dieser Formel-1-Weltmeisterschaft jedenfalls unfassbar auf den Kopf gestellt. Vettel spürte sofort die mögliche Dimension des Patzers. Wäre Hamilton bei einem Vettel-Sieg Zweiter geworden, würde der Heppenheimer mit 15 Punkten Vorsprung zum Rennen am kommenden Sonntag nach Budapest reisen. Stattdessen sind es 17 Punkte Rückstand! Einmal kurz verbremst, schon lösen sich 32 Zähler in Luft auf. Vettel sprach deshalb auch zu Recht von einem „kleinen Fehler mit großer Auswirkung“. Und viele Zuschauer am Hockenheimring und vor den Bildschirmen hatten nach der wohl größten Enttäuschung, die der Hesse sportlich erleben musste, nur eines im Kopf: Jetzt hat er die WM vergeigt!

Im epischen Duell um den prestigeträchtigen fünften Titel, der einen der beiden Hauptdarsteller am Ende der Saison auf eine Stufe mit Juan Manuel Fangio stellen wird, fällt vor allem eines auf: Vettels Nervenkostüm ist nicht das Beste. Der Hockenheim-Patzer war zwar sein größter Fauxpas, nicht aber der erste Zündaussetzer in diesem Jahr. In Baku war er nach einer übermütigen Attacke statt als Sieger nur als Vierter ins Ziel gekommen – hinter dem Gewinner Hamilton! In Le Castellet rauschte er ungestüm in den Mercedes von Valtteri Bottas und verlor als Fünfter abermals wichtige Punkte. Wäre das alles nicht passiert, könnte der Mercedes-Rivale bereits die weiße Fahne hissen und sich ergeben. Vettel wäre fast durch.

Die Punkte wandern zu Hamilton rüber

„Es ist bitter im Moment, aber es ist jetzt so“, sprach der Ferrari-Pilot und versuchte seinen Frust zu verbergen, aber so richtig gelang es ihm nicht. Er habe schon schlimmere Fehler gemacht, fügte er an – aber keinen mit möglicherweise vergleichbaren Folgen. Sein großes Problem ist jetzt auch, dass sich nicht nur die Punkte von seinem Konto auf das von Hamilton verschoben haben – sondern auch die mentale Situation ganz verheerend verlagert wurde. Wenn der Engländer führt, ist er stabiler denn je und spielt im Stile eines Mehrfach-Weltmeisters seine Routine aus. Vettel muss dagegen jetzt zwanghaft dranbleiben. Doch wenn er unter Druck steht und zu viel von sich selbst verlangt, schleicht sich bei ihm der Fehlerteufel ein. Das war in den vergangenen Jahren oft so.

Als Mutmacher bleibt da die Tatsache, dass der Ferrari über eine erstaunliche Power verfügt. „Es wird noch lange ihn ihm arbeiten, aber dann wird er nach vorne schauen. Das Paket – das ist das Positive, was er mitnehmen muss – ist stark momentan“, sagt Vettels hessischer Kumpel Timo Glock. Die Ferrari-Power war so nicht erwartet und bereitet den Mercedes-Strategen womöglich auch schlaflose Nächte. Nach den Rückschlägen der vergangenen Wochen mit dem zweiten Platz hinter Vettel in Silverstone und dem Quali-Aus in Hockenheim wegen eines Hydraulik-Defekts hatte Hamilton ohnehin schon das Gefühl, dass ihm die WM entglitten wäre. „Wir haben ein gutes Auto“, warf derweil Vettel noch einen Blick in die Zukunft und schöpfte nach dem Hockenheim-Desater zumindest wieder ein bisschen Hoffnung.

Gute Unterhaltung

Der Unterhaltungswert einer Formel-1-Saison war selten so hoch wie im Jahr 2018. Zum Prestigduell der Alphatiere gesellen sich muntere Spekulationen um die Legalität des neuen Ferrari-Motors. Das WM-Feuer, es brennt also gewaltig. Und es sieht nicht danach aus, dass demnächst einer mit den Löscharbeiten beginnt – schon gar nicht in der Hitze von Budapest.