Sebastian Vettel ist nicht nur der jüngste Champion der Rennserie, er hat die Szene auch mit seiner positiven Ausstrahlung bereichert.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Baden-Baden - Bei der Sportlerwahl in Baden-Baden hat es keine zwei Minuten gedauert, bis Sebastian Vettel die dem Festakt angemessene Kleiderordnung als Erster auflöste. Ihm und seinen Tischnachbarn von der bobfahrenden Zunft war noch nicht einmal die Suppe gereicht worden, da zog er schon sein Jackett aus und warf es im edlen Kursaal lässig über die Stuhllehne. Dieses Detail sagte viel aus über den unkonventionellen Heppenheimer, den irgendwie alle mögen, weil er das verkörpert, was man einen sympathischen Lausbuben nennt.

 

Katrin Müller-Hohenstein hatte derweil noch eine Rechnung offen mit dem lustigen Lümmel aus Hessen. Im "Sportstudio" führte er die Moderatorin einmal sauber vor, als er ihre doch eher durchschnittlich originelle Frage nach der Fahrbarkeit eines Rennwagens mit dem Satz beantwortete: "Wenn man das Lenkrad nach links dreht, fährt das Auto nach links, und wenn man es nach rechts dreht, fährt es nach rechts." Müller-Hohenstein hätte Sebastian Vettel in diesem Moment vor laufender Kamera am liebsten die Ohren bis zum Boden gezogen.

Doch da man sich im Leben immer zweimal sieht, gab es für den Red-Bull-Piloten in Baden-Baden erst einmal die Auszeichnung als Sportler des Jahres - und dann musste er ran. Müller-Hohenstein besorgte ihm ein Kettcar, mit dem er wieder zu seinem Tisch zurückfahren sollte. Das Fahrzeug war manipuliert. Drehte Vettel das Lenkrad nach rechts, fuhr das Kinderspielzeug nach links - und umgekehrt. Damit kam der Rennfahrer überhaupt nicht zurecht, und er gab ausnahmsweise einmal das ab, was man fürderhin eine schlechte Figur nennt.

Vettel ist ein Geschenk des Himmels

Ansonsten ist dieser Formel-1-Weltmeister des Jahres 2010 so etwas Ähnliches gewesen wie ein Geschenk des Himmels. So nett, so frech, so schnell. Sebastian Vettel war maßgeblich daran beteiligt, dass die Rennserie eines ihrer besten Jahre seit langem erlebte. Erst im letzten Grand Prix übernahm er nach einer Reihe verrückter Irrfahrten und Pannen die Führung im Gesamtklassement und setzte sich als jüngster Champion der Formel-1-Geschichte die Krone auf.

Das überwältigte nicht nur das Publikum, sondern auch ihn selbst. Wie ein kleiner Junge heulte er im Rennwagen, als sie ihm nach der Zieldurchfahrt per Boxenfunk mitteilten, dass der Ferrari-Mann Fernando Alonso nicht mehr aufgeholt habe und er, Vettel, deshalb nun Weltmeister sei. Unfassbar!

Er konnte es nicht glauben - und hatte mit seinem quiekenden Stimmchen in der Machowelt Motorsport Männertränen salonfähig gemacht. Was folgte, war ein Medien- und Fernsehmarathon der Extraklasse. Vettel hier, Vettel da, Vettel überall. Der neue Sportheld sah oft übermüdet aus - lächelte aber dennoch und präsentierte sich herzerfrischend freundlich. Bis auf den geschlagenen Spanier Alonso, der ein wenig zögerlich mit der Gratulationsgeste herausrückte, finden den schnellen Blonden aus Südhessen sogar die Konkurrenten gut. "Er ist wirklich ein netter Junge", sagt selbst Lewis Hamilton, dem der Deutsche im Formel-1-Finale 2008 mit seinem tollkühnen Überholmanöver beinahe noch den WM-Titel versaut hätte.

Vettel kann auch anders

Selbst Michael Schumacher, der seine Konkurrenten in wilden Jahren oft mit unvergleichbarer Härte weggebissen hatte, zeigt sich mit der Neuentdeckung der etwas steril gewordenen Fahrerbranche auffällig oft vor den Kameras. Und lässt keine Gelegenheit aus zu betonen, dass er und Vettel gute Freunde seien. "Wir telefonieren oft."

Bei aller Sympathie für den 23-Jährigen - er kann auch anders. Seinen Teamkollegen Mark Webber rammte er in Istanbul mit der Kompromisslosigkeit eines Alphatiers von der Piste, seitdem herrscht Eiszeit zwischen den beiden. Und es gab Niederlagen, da mutete der finstere Blick des Strahlemanns plötzlich so furchterregend an wie dies früher nur bei PS-Diven wie Ayrton Senna oder Alain Prost der Fall war.

Der freundliche Herr Vettel ist zielstrebig und ehrgeizig. Da konnte 2010 die Situation noch so aussichtslos sein - er glaubte an sich und gab niemals auf. Im letzten Saisondrittel fand er die richtige Mischung aus sicherer Fahrt und Draufgängertum. Er beherrschte es, nur exakt soviel zu riskieren, dass es zum Titel reichte. Diese Eigenschaft unterscheidet den Weltmeister vom Nichtweltmeister, und Vettels Erfolg bedeutete den Eintritt in die Beletage der großen Piloten. Der Exrennfahrer Hans Herrmann hat ihn dann sogar mit der Motorsportlegende Juan Manuel Fangio verglichen.

Vettel: "Es geht wieder bei null los"

Der Formel-1-Patron Bernie Ecclestone hat sich derweil schon festgelegt, auf wen er im Hinblick auf die Weltmeisterschaft 2011 ein paar Penunzen setzen würde: "Ganz klar, Sebastian." Derlei Vorschusslorbeeren nimmt der Hochgelobte sehr gerne an, doch bohrt er lieber keine dicken Bretter: "Es geht wieder bei null los, egal, ob ich die Nummer eins auf dem Auto habe oder die 24 oder 25."

Sebastian Vettel weiß schließlich nur zu gut, dass ihm der Ferrari-Fehler im letzten Rennen 2010 eine Chance bot, als würde sich der Torwart beim Elfmeter hinter den Kasten stellen. Vettel musste nur noch zugreifen. Dabei hatte ihn erst eine Serie von Fehlleistungen und Pech in die schwierige Situation gebracht. Bei einem reibungsfreien Saisonverlauf hätte er schon zwei oder drei Rennen vor dem Finale in Abu Dhabi Champion sein müssen.

"Die gleichen Fehler dürfen wir nicht zweimal machen, das wäre dumm", sagt der Hesse, der die Rolle des Gejagten genießen will, aber auch weiß, dass sie eine Herausforderung ist - mit Halbgas geht da gar nichts. Denn zu stark sind die vier anderen Weltmeister, die ihm die Krone vom Kopf zerren wollen. "Ich werde aber von Anfang an kämpfen und attackieren", verspricht Vettel.

Bei Red Bull mögen sie derlei Aussagen so sehr, dass sie mit ihrem Champion bis 2014 vertraglich alles klargemacht haben - zu verbesserten Bezügen. Angeblich verdient der Lausejunge von Baden-Baden künftig zehn Millionen Euro im Jahr.

Die Jäger: Schuhmacher und Alonso

Am Sonntag findet im australischen Melbourne das erste Formel-1-Rennen der Saison 2011 statt – mit fünf Weltmeistern. So viele Stars waren bisher nur in der Saison 1970 am Start. Michael Schumacher gewann bisher sieben Titel, Fernando Alonso zwei, Lewis Hamilton und Jenson Button je einen. Zusammen macht das elf Weltmeisterschaften gegen einen WM-Sieg, den des Heppenheimers Sebastian Vettel. Und es ist eine Rechnung offen: Fernando Alonso hat etwas gutzumachen, nachdem er im Finale von Abu Dhabi 2010 durch einen peinlichen Strategiefehler gegen Vettel die WM verlor.

Am häufigsten wurde ein Engländer Weltmeister, insgesamt 14-mal. Auf Platz zwei folgt dank Michael Schumachers sieben Titeln schon Deutschland, gemeinsam mit Brasilien – beide Länder gewannen je acht Fahrertitel. Noch hinter Argentinien und Australien (je 5), Frankreich, Finnland und Österreich (je 4) rangieren die Italiener (3). Deutlich erfolgreicher ist da Ferrari. Mit 16 gewonnenen Konstrukteurs-Weltmeisterschaften führen die Autobauer aus Maranello die Tabelle vor Williams (9) und McLaren (8) an. Für die Fahrerwertung der Saison 2011 haben sich die vier routinierten Vettel-Verfolger einiges vorgenommen:

Michael Schuhmacher

Der Selbstversuch des Michael Schumacher geht ins zweite Jahr. Die Frage, was ein inzwischen 42-Jähriger gegen die rasende Jugend noch auszurichten vermag, wurde im ersten Comebackjahr des Rekordweltmeisters nicht wirklich beantwortet. Der am Genfer See lebende Rheinländer hatte Probleme mit seinem Mercedes. Einerseits befand sich der Silberpfeil leistungstechnisch nicht auf Augenhöhe mit den Branchenführern, zum anderen bekam Schumacher die Abstimmung des Autos nicht richtig in den Griff. Er wurde von seinem begabten Teamkollegen Nico Rosberg, den Experten bei entsprechendem Material ebenso für einen Titelanwärter halten, phasenweise vorgeführt.

Im Verlauf der Saison kam der „Graue Star“ mit seinem Fahrzeug immer besser zurecht. Doch mehr als Überholmanöver im Mittelfeld für die Galerie sind für Schumacher nicht drin gewesen. Was die Saison 2011 angeht, machte sich nach den ersten enttäuschenden Testergebnissen das flaue Gefühl breit: das wird schon wieder nix. Der Mercedes-Teamchef Ross Brawn hielt das eigene Auto abermals für nicht konkurrenzfähig.

Die Sekunde, die auf den Primus Red Bull fehlte, wurde aber im letzten Augenblick gefunden. Beim letzten Test in Barcelona fuhr Schumacher im überarbeiteten Mercedes die Bestzeit – und die glühendsten Verehrer des großen Schumi stellten schon die Möglichkeit auf den achten Titel in Aussicht. Gemach. Als Faustregel gilt: erst das Qualifying am Samstag in Melbourne wird Auskunft darüber geben, wo Schumachers Weg in dieser Saison tatsächlich hinführen könnte. „Wenn wir vorne ein Wörtchen mitreden, sind wir nicht unzufrieden“, sagt der Rennoldie und hat ein gutes Gefühl: „Uns ernst zu nehmen, das ist nicht allzu verkehrt.“ Derweil würde Mercedes-Chef Norbert Haug den Vertrag mit ihm sofort verlängern – allerdings „zu einem schwäbischen Preis“.

Fernando Alonso

Der Doppelweltmeister erinnert an die gute alte Zeit, als die Piloten noch echte Typen waren. An dem 29-jährigen Ferrari-Mann scheiden sich allerdings ein wenig die Geister. Fernando Alonso hat ein ausgezeichnetes Gespür fürs Auto. Sein aggressiver Fahrstil gilt überdies als unvergleichbar – den Spanier auf der Rennstrecke hinter sich zu wissen, ist kein Vergnügen. Für viele Beobachter der Szene gibt es aktuell keinen besseren Fahrer als Fernando Alonso.

Beim Blick auf seinen Charakter sieht es dagegen weniger positiv aus. In der Spionageaffäre 2007 spielte er die zentrale Rolle. Alonso verfügte über Dokumente, mit denen er seinen damaligen McLaren-Teamchef Ron Dennis erpresste. Im vergangenen Jahr trat der Rennfahrer nicht unbedingt als guter Verlierer in Erscheinung, als ihm Sebastian Vettel in der letzten Wettfahrt den Titel wegschnappte. Alonso erkennt den Deutschen noch immer nicht als ebenbürtig an. „Wenn alle 24 Autos gleich wären, würde ich Michael am meisten fürchten. Wenn du dir alle Fahrer im Starterfeld 2011 ansiehst, dann sticht nur ein Name heraus: Schumacher.“

Bei Ferrari geht der Iberer in seine zweite Saison. Inzwischen ist er dort so tonangebend wie früher Schumacher. Die Scuderia tut alles für den dritten Titel des Maestro. Alonsos Geduld ist nicht unbegrenzt.

Die Jäger: Hamilton und Button

Lewis Hamilton

Der Engländer Lewis Hamilton wird endlich erwachsen. Sein strenger Ziehvater Ron Dennis hat sich bei McLaren-Mercedes längst aus dem Rennbetrieb zurückgezogen, und sein (zu) treusorgender Vater Anthony ist nicht mehr sein Manager. Klein-Lewis, der funktionieren musste, wie es sich Team-Vater und Familienvater immer vorstellten, dreht jetzt sein eigenes Ding. Und als gebe es da etwas nachzuholen, führte er sich ausgerechnet in der Schweiz als Verkehrsrüpel auf und verwechselte die Autobahn mit der Rennstrecke. „Wir würden aus der Schweiz ausgewiesen, wenn bekannt würde, wie schnell wir hier schon gefahren sind“, sagte daraufhin seine Freundin Nicole Scherzinger ziemlich forsch. Sie ist die Frontsängerin der Pussycat Dolls. Ihre Aussage brachte die Schweizer Behörden auf die Palme.

Der Formel-1-Weltmeister des Jahres 2008 hat sich lange überlegt, wer ihn statt seines Vaters betreuen soll – erst kürzlich kam er zu einem Ergebnis. Es ist Simon Fuller, der auch als Manager der britischen Fußballikone David Beckham in Amt und Würden ist. Geht das Leben auf der Überholspur also weiter? Hamilton und Scherzinger befinden sich jedenfalls auf dem besten Weg, sich hinsichtlich des Glamourfaktors den Beckhams anzunähern. Sportlich hält der 26 Jahre alte Rennfahrer McLaren die Treue und gibt vor, sich anders als in 2010 nicht mehr von äußeren Einflüssen ablenken zu lassen.

Auch wenn sein Dienstfahrzeug bei den Testfahrten nicht zu überzeugen wusste, für den hochbegabten Wagenlenker, der auf der Strecke immer reifer wirkt, kann es nur ein Ziel geben: den Titel. Im „Guardian“ lästerte er jüngst über das Team des Titelverteidigers Vettel. „Red Bull ist kein Hersteller, sie sind eine Getränkefirma. Eine Getränkefirma kämpft gegen die Historie von McLaren und Ferrari. Ich weiß nicht, was ihr Plan ist“, sagte der Brite und verwies darauf, dass McLaren dagegen ein reinrassiges Rennteam sei.

In Melbourne will sich Hamilton übrigens an die Strecke chauffieren lassen, denn auch mit der australischen Polizei gab’s schon mächtig Ärger. Im vergangenen Jahr drehte er mit seinem Mercedes AMG eine Pirouette und ließ die Reifen qualmen. Daraufhin wurde Hamilton abgeführt – und musste umgerechnet 365 Euro Strafe zahlen. Nicole Scherzinger kann darüber nur lachen.

Jenson Button

Ein Titel ist Jenson Button nicht mehr zu nehmen: er besitzt – eigenen Angaben zufolge – die schönste Freundin im Fahrerlager. „Schaut sie euch doch an“, sagt er über das Unterwäschemodel Jessica Michibata. Zugegeben: tierisch stolz ist er auch auf seinen WM-Titel im Jahr 2009 gewesen. Wie aus dem Nichts wurde der inzwischen 31 Jahre alte Rennfahrer Champion – auch weil sein damaliger Teamchef Ross Brawn früher als alle anderen Teams den neuen Rennwagen entwickelte. Heute heißt der Rennstall Mercedes-GP, und Jenson Button wechselte nach seinem überraschenden, aber doch hochverdienten Erfolg zu McLaren.

Dort traf er auf den anderen Weltmeister – Lewis Hamilton. Befürchtungen, die beiden Engländer würden sich wegen ihrer Ansprüche gegenseitig an die Gurgel springen, stellten sich als Unfug heraus. Im Gegenteil: Button und Hamilton sind Freunde geworden. Das liegt auch daran, dass Button einer der umgänglichsten Piloten im Fahrerlager ist.

Der Titel strafte diejenigen Lügen, die glaubten, der Rennfahrer aus Guernsey sei nichts weiter als ein Mitläufer, eines dieser ewigen Talente, die niemals etwas gewinnen. Tatsächlich ergänzen sich mittlerweile sein extrem sauberer Fahrstil und die Erfahrung aus 189 Formel-1-Rennen so gut, dass mit Button stets zu rechnen ist. Hamilton ist eher der aggressive Hauruckfahrer, Button der Künstler, der den Kopf einsetzt und nicht nur den Bleifuß. Ein ungleiches Paar – und doch die wohl herausragendste Teambesetzung der Formel 1. „Wir greifen an, nichts anderes zählt“, sagt Button, der die vergangenen beiden Wettfahrten in Melbourne gewann. „Jim Knopf“, wie ihn die britische Klatschpresse nennt, hofft also auf den Hattrick.

Die wichtigsten Neuerungen

Heckflügel Durch eine Taste am Lenkrad kann ein Teil des Heckflügels so verstellt werden, dass sich der Anpressdruck verringert. Das macht die Autos schneller. Erlaubt ist der Einsatz im Rennen nur in einer bestimmten Zone und bei einem zeitlichen Abstand zum Vordermann ab einer Sekunde. Im Training und in der Qualifikation können die Piloten das System jederzeit abrufen.

Kers Das Kinetic Energy Recovery System ist wieder da. Freiwillig hatten die Teams in der vergangenen Saison darauf verzichtet. Nun soll es zusammen mit dem verstellbaren Heckflügel noch mehr Überholmanöver ermöglichen. Die Energie, die bei den Bremsvorgängen entsteht, wird gespeichert. Pro Runde kann der Fahrer so zusätzliche 82 PS für insgesamt 6,7 Sekunden aktivieren.

Reifen Pirelli stellt die Teams und Fahrer vor Herausforderungen – und das ist gewollt. Die Rennen sollen durch mehr Boxenstopps spannender gemacht werden. Der amtierende Weltmeister Sebastian Vettel rechnet mit bis zu vier Reifenwechseln. Die sogenannten Super-Soft-Reifen bauen binnen weniger Runden ab. Wer den Zeitpunkt zum Boxenstopp verpasst, könnte im Rennen entscheidend zurückgeworfen werden.

Stallorder Es darf von der Teamleitung angeordnet werden, wer der Schnellere der beiden Fahrer ist. Nach dem Ferrari-Skandal im vergangenen Jahr hoben die Regelhüter das jahrelang geltende Verbot auf. dpa