Gerade wegen seines großen Vorsprungs lehnt sich der Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel nicht zurück – erst recht nicht beim Grand-Prix am Sonntag in Singapur.

Singapur - Der Botschafter der Bergstraße trägt kurze Hosen, hat das gefärbte Haupthaar zum Kamm frisiert, lässt auf einer Kiste sitzend die Beine baumeln. Sieht ganz so aus, als ob seine Seele das auch tut. Sebastian Vettel spielt sein übliches Spiel, in dem er behauptet, mal wieder gar nicht so genau zu wissen, wie groß sein Vorsprung nach zwei Formel-1-Siegen in Folge mittlerweile ist. Für die Vettel’sche Buchführung: Es sind 53 Zähler auf den Ferrari-Mann Fernando Alonso, den einzig verbliebenen ernsthaften Verfolger.

 

Vor dem Nacht-Grand-Prix in Singapur morgen (14 Uhr/RTL) bangt die Branche: Noch mal ein Sieg hier, und der Mann ist durch. Die Saison damit auch, bei dann noch sechs WM-Läufen. Schon nach drei Rennen könnte er erneut als Weltmeister feststehen. Seit Wochen schon stöhnen die britischen Journalisten, die sich als Wahrer des Motorsports verstehen: Dieser deutsche Jüngling, nun auch noch blondiert, mache die Formel 1 langweilig. Wie aufs Stichwort sagt der 26-Jährige, der dem vierten Titel entgegensteuert: „Kann schon sein, dass es viele langweilig finden, für uns ist es gar nicht sooo langweilig.“

Also sagt er: „Ich will weiter gewinnen.“ Überraschung! In Sachen Ehrgeiz ist Vettel längst Rekordweltmeister. In dem er die Herangehensweise von Adrian Newey beschreibt, dem technischen Vater des Red-Bull-Rennwagens, beschreibt er sich auch selbst: „Demütig, leidenschaftlich und ambitioniert.“ Vor allem die Arbeitsweise des britischen Designgenies hat es dem Zimmermannssohn angetan: „Er motiviert uns alle durch seine Taten, nicht durch große Ansprachen. Und er findet immer einen anderen Ansatz als alle anderen.“

Auch das probiert der Lieblingsschüler zu kopieren. Vettel wirkt mit seiner an den Tag gelegten Lässigkeit tatsächlich wie ein Sonnyboy, während die Gegenspieler Fernando Alonso oder Lewis Hamilton, der Teamkollege Mark Webber ohnehin, Masken ihrer eigenen Angestrengtheit sind. Selbst Kimi Räikkönen war schon mal lockerer. Die Konkurrenz muss es fast schon als Hohn verstehen, wenn Red Bull gerade eine Videoanleitung promotet, wie man einen Rennwagen baut. Die versteckte Rache eines Teams, das so lange als Partytruppe verspottet worden war. Motto: Probiert’s doch mal, uns einzufangen. Die Clips kommen zur richtigen Zeit, denn mit der Über-Überlegenheit könnte es nach dem gewaltigen Regeleinschnitt im kommenden Jahr vorbei sein.

Also gilt es mitzunehmen, was mitzunehmen ist. Vettel pflügt so durch die ewigen Statistiken dieses Sports, dass sich Mentor Michael Schumacher wünscht, dass er es wird, der die großen Rekordmarken bricht. In Singapur könnte Vettel mit seinem dritten Sieg zum König der Nacht werden, momentan liegt er mit zwei Erfolgen gleichauf mit Alonso. Fünfmal ist er im Stadtstaat an den Start gegangen, fünfmal kam er in den Punkten ins Ziel. Im Vorjahr begann hier seine quer durch Asien reichende Siegesserie von vier Erfolgen, mit der er die Weltmeisterschaft noch einmal zu seinen Gunsten drehen konnte. Momentan scheint er wieder den Lauf zu haben, und selbst bei den Unwägbarkeiten eines Stadtrennens spricht wenig gegen den Heppenheimer: Einen großen Fehler hat er schon lange nicht mehr begangen.

Aber es wird ein hartes Stück Arbeit, über 1400 Kurven liegen vor ihm. Fast zwei Stunden dauert das Zirkeln und Kurbeln um die künstlichen Ecken auf dem rechtwinkligen Kurs. Schnitttempo 162 km/h, Höchstgeschwindigkeit jenseits der 300 km/h. „Ein sehr fordernder Kurs“, weiß Vettel, „anstrengender und länger als in Monte Carlo.“ Deshalb verbinde ihn mit der Strecke, der Uhrzeit, der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit eine Art „Hassliebe“. Zurücklehnen, das hat er nach den Saisonsiegen fünf und sechs schon bei sich selbst angemahnt, geht aber nicht: „Dann wird es gefährlich in der Formel 1.“

Ein Champion will immer auf Nummer sicher gehen, und ein Vettel geht seinen eigenen Weg. Weshalb er bei der Boutiqueneröffnung für einen Sponsor exakt die 15-minütige Planzeit einhält, wie die örtliche „Strait Times“ mit Bedauern feststellt und nur beschreiben kann, dass der Mann aus Aberglauben keine Rennprognose abgeben wollte. Da die Asiaten höfliche Menschen sind, bewerten sie diese Effizienz als ungeheuer positiv für das Unterfangen: „Die beschleunigte Charme-Offensive eines Champions“. Vettel auf der Flucht vor allen, auch neben der Rennstrecke, das kann nur eins bedeuten: Seele baumeln lassen bis zur nächsten Attacke.