Die Forscher der Amundsen-Scott-Station stehen auf Rituale: Im ewigen Eis nehmen sie selbst Positionskorrekturen feierlich vor.  

Stuttgart - In dicken Hosen und Jacken, mit Mütze und Handschuhen stehen sie im Halbkreis, Dutzende Menschen unterschiedlicher Nationen. Dort, wo vor 100 Jahren Roald Amundsen stand, als erster Mensch am geografischen Südpol. Ein Marker aus Holz und Bronze zeigt die genaue Position des südlichsten Punkts der Erde an. An Neujahr wird er in einer feierlichen Zeremonie zehn Meter versetzt, denn das Eis, auf dem die Amundsen-Scott-Station steht, wandert jedes Jahr zehn Meter weiter.

 

"Die Station liegt auf drei Kilometer dickem Eis, das sich wie ein Gletscher kontinuierlich Richtung Meer bewegt", erklärt Jens Dreyer. Der 35-jährige gebürtige Westfale ist Physiker an der US-amerikanischen Universität Wisconsin-Madison. Er hat die vergangenen zwölf Monate am Südpol verbracht. Er ist damit einer von bisher erst 1327 Menschen, die am Südpol überwintert haben.

Minus 49 Grad herrschen dort im Durchschnitt. Im Sommer steigt die Temperatur auf bis zu minus 13 Grad. In dieser Zeit darf man sich nicht wundern, manchem Bewohner der Forschungsstation draußen im T-Shirt zu begegnen. "Die Luft am Südpol ist extrem trocken, deshalb fühlt es sich nicht so kalt an wie bei uns", erläutert Dreyer. Der Sommer ist auch die Zeit des Anpackens. Dreyer hat in dieser Zeit mit Kollegen 900 Meter von der Station entfernt die Forschungsanlage Ice Cube komplettiert, eine Installation, die mit Dutzenden Sensoren 2500 Meter tief im Eispanzer flüchtige Elementarteilchen nachweisen soll, die Neutrinos.

10.000 Dollar für eine Erdbeere

Weil das Leben im ewigen Eis aber auch eintönig sein kann, nehmen die Bewohner der Station Feste und Zeremonien wie an Neujahr dankend an. "Weihnachten haben wir sogar zweimal gefeiert, am richtigen Termin und im antarktischen Winter", erinnert sich Dreyer. Auch einen Baum gab es, gefertigt aus Schrottteilen. "Die Konvention zum Schutz der Antarktis verbietet es, Tiere oder Pflanzen einzuführen." Dass es trotzdem frischen Salat und auch einmal eine Erdbeere gibt, ist der Weltraumforschung zu verdanken: Um künftig Menschen auf dem Mond oder dem Mars verpflegen zu können, erproben Forscher am Südpol, wie sich Pflanzen in Hydrokulturen züchten lassen. "Die Erdbeeren aus diesem Treibhaus sind wahrscheinlich die teuersten der Welt", schmunzelt Dreyer - gerüchteweise soll jede 10.000 Dollar kosten.

Acht Wintermonate lang, von Februar bis September, kann die Amundsen-Scott-Station weder auf dem Land- noch auf dem Luftweg verlassen werden. Dreyer war mit 48 Kollegen auf sich allein gestellt - eine "große mentale Herausforderung". Die einzige Verbindung zur Außenwelt bietet ein ausrangierter Wettersatellit, der morgens für etwa eine Stunde Funkkontakt ermöglicht. Fast alle übrigen Satelliten sind am Südpol nicht in Sicht. Eine Ausnahme ist das Satellitennetz TDRS, doch das steht nur dann zur Verfügung, wenn die Nasa es nicht für eigene Zwecke belegt.

Für medizinische Notfälle gibt es einen Arzt, aber Zahnbehandlungen und Vollnarkosen sind ausgeschlossen. "Wir wurden vor unserer Anreise komplett untersucht, damit möglichst nichts passiert", erzählt Dreyer. Stürze in Schnee und Eis gibt es dennoch, wenn im März die Polarnacht beginnt. Ganz dunkel werde es aber nicht, betont Dreyer, denn es bleibe das Nachthimmelleuchten, das dem Polarlicht ähnelt, aber durch ultraviolette Strahlung ausgelöst wird. Und wenn auf dem Weg zum Ice-Cube-Gebäude Wind und Schnee die Sicht nehmen, orientiere man sich am Klang der Flaggen. Ein Kompass sei wegen des nahen magnetischen Südpols, der die Nadel ablenke, wenig hilfreich.

Wenn es stürmisch wird, bleibt man ohnehin besser in der Station. "Die schwankt dann auf ihren Säulen wie ein Schiff", sagt Dreyer. Und die gefühlte Temperatur kann dann unter minus 90 Grad sinken.