Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Aufbewahren von Telekommunikationsdaten enge Grenzen gesetzt. Für die automatisierte Überwachung der Zukunft machen Telefon- und Internetverbindungen allerdings nur einen sehr kleinen Teil der verarbeiteten Daten aus. Stattdessen geht es um biometrische Daten, um Straf-, Fahndungs- und Kfz-Meldelisten oder online verfügbare Informationen.

 

Wer sich von Verfolgungswahn frei macht, erkennt Potenzial für eine sicherere Welt: Hooligans könnten automatisch identifiziert werden; Terroristen könnten am Flughafen oder in Bahnhöfen binnen Minuten erkannt werden statt wie im Falle der Kölner Kofferbomber in monatelangen nachträglichen Videoauswertungen. Die Polizei würde noch während der Tat auf U-Bahn-Schläger hingewiesen.

Kamerabilder werden automatisch ausgewertet

Neben der Vorratsdatenspeicherung sind die Algorithmen, mit denen Verhaltensmuster automatisch erkannt werden, der zweite zentrale Punkt bei der automatisieren Überwachung – und beim Forschungsprojekt Indect. „Das ist eine große Knowhow-Schöpfung“, sagt PSI-Transcom-Geschäftsführer Kursawe, „Videokameras kann heute schließlich jeder irgendwo hinschrauben.“ In einer rudimentären Form ist Analysesoftware für die Bilder von Überwachungskameras bereits auf dem Markt. Die Industrie will sie verbessern, im großen Maßstab einsatzfähig machen.

Kritiker stören sich daran, dass die eingefangenen Kamerabilder automatisch ausgewertet, also alle gefilmten Personen vom Computer „beobachtet“ werden – leistungsfähige Computer machen es möglich und schrumpfende Etats nötig.

Sicherheitsforschung und -industrie arbeiten an der automatisierten Überwachung, sagt der Sicherheitsexperte Markus Hellenthal. Die Europäische Union wie auch mehrere EU-Mitgliedstaaten fördern diese Forschung mit milliardenschweren Programmen: sie wollen dadurch zu den Marktführern USA und Israel aufschließen; außerdem sollen Strategien und Technik für die Sicherheit öffentlicher Plätze und von sogenannten kritischen Infrastrukturen wie Pipelines, Stromnetzen oder dem Internet entwickelt werden.

Die EU fördert im noch bis 2013 laufenden siebten Forschungsrahmenprogramm (FRP) die Forschung an einer Echtzeit-Gesichtserkennung, Luftbeobachtung mittels Drohnen oder die automatische Erkennung von „abnormalem Verhalten“ im öffentlichen Raum mit 1,4 Milliarden Euro. Etliche der insgesamt 46 Forschungskonsortien entwickeln Prototypen für die Praxis, fast immer sind Sicherheitsfirmen mit dabei.

Nur ein Projekt schafft es ins Fernsehen: Indect

Die Sicherheitsforschung läuft weitgehend ohne öffentliches Aufsehen. Lediglich ein umstrittenes Projekt schafft es zuletzt sogar ins Fernsehen. Es heißt „Indect“ und wird von der EU mit knapp elf Millionen Euro gefördert. Das Akronym steht für „Intelligentes Informationssystem zur Unterstützung von Überwachung, Suche und Entdeckung für die Sicherheit von Bürgern in städtischer Umgebung“ – also für Vorfälle wie das Eingangsbeispiel. Die im Rahmen von Indect entwickelte Plattform soll sehr viele verfügbaren Informationen in einem digitalen Überwachungsleitstand zusammenführen. Dieser soll frei skalierbar sein; er kann also beliebig viele Informationsquellen verknüpfen.

Die Berliner Firma PSI Transcom als einer von siebzehn Projektpartnern entwickelt das Herzstück dieses Systems: den digitalen Überwachungsleitstand, auf dem alle Daten zusammenlaufen. Könnte die laut PSI-Homepage „hochverfügbare und frei skalierbare“ Plattform auch ein Überwachungssystem für eine Stadt von der Größe Berlins managen? „Das kann man denken, es ist aber nie an die Industrie herangetragen worden“, sagt der Geschäftsführer Peter Kursawe.

Fördert die EU den Überwachungsstaat?

Kursawe kennt die Kritik an Indect, die von der Piratenpartei und deutschen EU-Parlamentariern wiederholt geäußert wurde. Die EU, heißt es unter anderem, fördere den Überwachungsstaat. Das ist recht einseitig formuliert, weil die EU auch Projekte fördert, die nach der Akzeptanz von Überwachung fragen. Das ändert freilich nichts am Kern: Bei vielen der FRP-Projekte geht es um die Technik für eine automatisierte Überwachung von öffentlichen Räumen und das Zusammenführen verschiedener Datenquellen – nicht nur bei Indect.

Datenschutz und innere Sicherheit sind zwar zum größten Teil Sache der Mitgliedstaaten, so dass ein in Brüssel sitzender „Big Brother“ leicht als Hirngespinst abzutun ist. Doch die Staaten schaffen derzeit die rechtlichen Voraussetzungen für eine Zukunft, in der automatisierte Überwachung möglich ist. So plant etwa die britische Regierung, Telefonverbindungen und Textnachrichten für ein Jahr speichern zu lassen. In Deutschland beschloss der Bundestag im Januar, dass unbemannte Drohnen für den Luftraum zugelassen werden können – auch für die Beobachtung aus der Luft.

„Nachvollziehbare Unwissenheit“

Steuert Europa in Richtung Überwachungsstaat? Wenn Peter Kursawe den Vorwurf hört, dass seine Firma daran mitforsche, lacht er. „Da herrscht eine nachvollziehbare Unwissenheit vor“, sagt der Geschäftsführer. Dabei liegen zu Indect unzählige Dokumente im Internet.

Kursawe meint, dass Indect aus dem falschen Blickwinkel betrachtet werde. Es gehe nicht um eine Dauerbeobachtung aller Bürger, sondern um die Überwachung etwa von Pipelines, wo viele Kameras nötig sind, die aber meist nichts Bemerkenswertes filmen. „Die Überwachung des öffentlichen Raumes wird auch noch kommen. Das hängt aber mit der Rechnerleistung zusammen, es ist erst in ein paar Jahren absehbar“, sagt Kursawe. Eine Hundert-Prozent-Überwachung aller Menschen im öffentlichen Raum, „das erlebe ich nicht mehr. Außerdem bräuchte man für so eine Überwachung Vorratsdatenspeicherung.“ Und die sei ja in Deutschland nicht erlaubt.

Überwachung hilft bei der Aufklärung

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Aufbewahren von Telekommunikationsdaten enge Grenzen gesetzt. Für die automatisierte Überwachung der Zukunft machen Telefon- und Internetverbindungen allerdings nur einen sehr kleinen Teil der verarbeiteten Daten aus. Stattdessen geht es um biometrische Daten, um Straf-, Fahndungs- und Kfz-Meldelisten oder online verfügbare Informationen.

Wer sich von Verfolgungswahn frei macht, erkennt Potenzial für eine sicherere Welt: Hooligans könnten automatisch identifiziert werden; Terroristen könnten am Flughafen oder in Bahnhöfen binnen Minuten erkannt werden statt wie im Falle der Kölner Kofferbomber in monatelangen nachträglichen Videoauswertungen. Die Polizei würde noch während der Tat auf U-Bahn-Schläger hingewiesen.

Kamerabilder werden automatisch ausgewertet

Neben der Vorratsdatenspeicherung sind die Algorithmen, mit denen Verhaltensmuster automatisch erkannt werden, der zweite zentrale Punkt bei der automatisieren Überwachung – und beim Forschungsprojekt Indect. „Das ist eine große Knowhow-Schöpfung“, sagt PSI-Transcom-Geschäftsführer Kursawe, „Videokameras kann heute schließlich jeder irgendwo hinschrauben.“ In einer rudimentären Form ist Analysesoftware für die Bilder von Überwachungskameras bereits auf dem Markt. Die Industrie will sie verbessern, im großen Maßstab einsatzfähig machen.

Kritiker stören sich daran, dass die eingefangenen Kamerabilder automatisch ausgewertet, also alle gefilmten Personen vom Computer „beobachtet“ werden – leistungsfähige Computer machen es möglich und schrumpfende Etats nötig.

Bedeutet mehr Sicherheit stets weniger Privatsphäre?

Hierzulande wird viel über Datenschutz im Internet und Vorratsdatenspeicherung gesprochen; die Überwachung des öffentlichen Raums ist in der Debatte randständig. Wie aber verträgt sich eine automatisierte Nutzung sensibler Daten mit der Informationsfreiheit? Bedeutet mehr Sicherheit stets weniger Privatsphäre? Finden die Bürger videoüberwachte Räume sicherer?

Diese Fragen kommen auf Politik, Gesellschaft und Justiz zu. Im großen Stil Daten aus vielen Quellen zusammenzuführen wird in wenigen Jahren technisch möglich sein. Dann muss die Gesellschaft entscheiden, wie viel Überwachung sie will.