Ein Professor von heute ist mehr als nur Forscher und Lehrer: Er leitet ein interdisziplinäres Team, kämpft um Fördermittel, berät die Politik und begeistert am Tag der offenen Tür die Gäste. Auch der Nachwuchs steht gehörig unter Druck.

Stuttgart - Die Universität Stuttgart sucht einen Professor für Experimentalphysik, der schon jetzt „eine international führende Rolle“ in seinem Fachgebiet einnimmt. Bei einer Ausschreibung für sozialwissenschaftliche Risiko- und Technikforschung wird die Hochschule deutlicher: Erwartet werden „herausragende Publikationen in begutachteten Zeitschriften“, außerdem müsse der Kandidat die „Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit“ mitbringen. Für den Lehrstuhl für Zellbiologie und Immunologie muss man außerdem „erfolgreiche Drittmitteleinwerbung nachweisen“.

 

Früher war schnell umrissen, was ein Professor können muss: auf hohem Niveau forschen, das Fachgebiet in der Lehre vertreten und in der akademischen Selbstverwaltung mitwirken. Das wäre heute schon deshalb zu einfach gedacht, weil die Strukturen an den Hochschulen komplexer geworden sind. Da gibt es zum Beispiel den Sonderforschungsbereich zu Quantenkorrelationen, an dem der Kandidat schon eingeplant ist, und da gibt es die Master-Studiengänge „Planung und Partizipation“ sowie „Integrierte Gerontologie“, in denen der Kandidat Lehrveranstaltungen übernehmen muss. Auch die strategischen Ziele der Hochschule werden genannt: so besitzt die Professur für Zellbiologie „eine zentrale Bedeutung für den Forschungsschwerpunkt Pharmazeutische Biotechnologie“.

Das muss man natürlich nicht ganz eng sehen. So wie der Blues-Sänger Jake Blues in Bob’s Country Bunker die Wunschliste kommentiert, von der er kein Lied zu kennen scheint: „Oh, this list doesn’t mean anything, they’re just requests.“ (Seite 30 in diesem Script) Aus den vielen Geschichten, die ich über Berufungskommissionen gehört habe, scheint es mir doch sehr auf die Dynamik innerhalb des Gremiums anzukommen: Manchmal wird erst im Verfahren deutlich, wen man braucht und welche Kompetenzen die wichtigsten sind. Manchmal steht am Ende ein Kompromisskandidat, manchmal setzen sich einige Kommissionsmitglieder mit ihren speziellen Vorstellungen durch. (Wie Berufungskommissionen typischweise arbeiten, beschreibe ich auf der nächsten Seite.) Die Ausschreibungstexte zeigen dennoch, dass von Professoren weit mehr verlangt wird, als gut zu forschen und halbwegs verständliche Vorlesungen zu halten.

Die Chancen auf eine Professur stehen wohl schlecht

Ein Stammzellforscher antwortete mir einmal, als ich in seinem Labor stand und nach seinem wichtigsten Werkzeug fragte: „Mein Mac.“ Und er ergänzte noch: „An zweiter Stelle kommt dann das Telefon.“ Für die Instrumente im Labor habe er ja Mitarbeiter. Ob es noch Menschen gibt, die sich Wissenschaftler als einsame Genies im Labor vorstellen? Diese Sichtweise mag den Leserinnen und Lesern der Heureka-Rubrik fremd erscheinen. Doch es wird auch heute noch häufig vom Elfenbeinturm geredet, so dass ich mir nicht sicher bin, ob die Zeichen der Zeit überall erkannt werden: Für die Forschung werden charismatische Manager gesucht. Sie müssen Projekte an Land ziehen, große Teams leiten, mit anderen Fächern und Instituten zusammenarbeiten und auf Konferenzen brillieren. In manchen Arbeitsverträgen, so war kürzlich auf einem Workshop zur Wissenschaftskommunikation in Hannover zu hören, wird auch vereinbart, dass der Professor in der Öffentlichkeit oder in den Medien präsent sein soll.

Werden junge Wissenschaftler darauf vorbereitet? In ihrer Promotionszeit und in den Jahren danach als Postdoc haben sie schließlich wichtigeres zu tun. Da die Hochschulen bei den fachlichen Anforderungen nicht zurückstecken und die Publikationen ihrer Bewerber in renommierten Fachjournalen zählen, müssen Nachwuchswissenschaftler vor allem forschen und schreiben. Prisca Brosi und Isabell Welpe von der Technischen Universität München berichten im Magazin „Forschung & Lehre“, dass sich Wissenschaftler, bis sie die Voraussetzungen für eine Professur erfüllen, in erster Linie als Forscher sehen. Für diese Rolle gaben sie sich in einer Umfrage im Durchschnitt den Wert von 4 auf einer Skala von 1 bis 5. Für die Rolle des Lehrers gab es im Durchschnitt eine 3 und für die Rolle des Managers nur eine 2,5. Eine weitere Umfrage schärft das Bild: Die Global Young Academy, eine Akademie für junge Wissenschaftler aus aller Welt, hat ihresgleichen in mehreren Ländern gefragt, was die Karriere am besten voranbringe. In renommierten Fachjournalen publizieren und ein eigener wissenschaftlicher Durchbruch, lauteten die meistgenannten Antworten.

Trotzdem habe ich den Eindruck, dass die Nachwuchsforscher genau wissen, was ihnen nach der Berufung blüht. Denn die Umfrage der Akademie zeigt auch, dass schon für Postdocs mehr als die Hälfte der Arbeitszeit für Lehrveranstaltungen und Verwaltungstätigkeiten draufgeht. In Deutschland forschen junge Wissenschaftler selbst in den Semesterferien nur 22 Stunden in der Woche und sind 29 Stunden mit anderen Dingen beschäftigt. Über allem steht die Frage, ob man es überhaupt auf eine Professur schafft. Die rund 100 deutschen Befragten schätzten ihre Chancen darauf mit durchschnittlich 29 Prozent ein. Wer sich auf diese unsichere und anstrengende Zeit einlässt, muss also intrinsisch motiviert sein, wie es Psychologen ausdrücken würden: Sie oder er muss für die Forschung brennen.

Der lange Weg zur Universitäts-Professur

Promotion
Mit der Doktorarbeit weist man nach, dass man eigenständig wissenschaftlich arbeiten kann. Für eine wissenschaftliche Karriere sollte die Arbeit mit einem magna cum laude, also einer 1, bewertet werden – besser noch mit einem summa cum laude, einer 1+. Viele Nachwuchsforscher haben am Ende nicht nur eine Dissertation vorzuweisen, sondern auch schon das eine oder andere publiziert. Sie haben vielleicht einen Vortrag auf einer Fachkonferenz im Sammelband zur Konferenz platziert oder gar einen Artikel in eine begutachtete Fachzeitschrift gebracht.

Qualifikation
An die Promotion schließt sich die Zeit als Postdoc an. In den Geisteswissenschaften schreibt der Postdoc üblicherweise an einem zweiten Buch, in den Naturwissenschaften leitet er ein eigenes Team. Spätestens in dieser Zeit sollte ein Nachwuchsforscher Erfahrungen im Ausland sammeln; es gibt verschiedene Stipendien dafür. Ansonsten hat der Nachwuchsforscher einen befristeten Arbeitsvertrag, der oft zusätzliche Verpflichtungen enthält: Lehrveranstaltungen, Betreuung von Praktika oder Studienberatung. Da es nur wenige Dauerstellen unterhalb der Professur gibt, ist die Qualifikation eine Zeit der beruflichen Unsicherheit.

Bewerbung
Die Qualifikationsphase dauert typischerweise sechs Jahre, also zwei auf drei Jahre befristete Verträge lang. Dann ist die Habilitationsschrift so gut wie fertig oder eine vergleichbare Leistung liegt vor – sprich: der Kandidat hat erfolgreich in renommierten Fachjournalen publiziert. Die Suche nach einer Professur kann also beginnen – und sie kann Jahre in Anspruch nehmen.

Berufungskommission
Die Fakultät beauftragt eine Kommission damit, geeignete Kandidaten für die offene Stelle zu finden. Die Gremien sind üblicherweise groß genug, um zu verhindern, dass man sich schnell einigt. Dort sitzen nicht nur Professoren des betroffenen Fachbereichs, sondern auch externe Kollegen und ein Vertreter der Universitätsleitung. Bei interdisziplinär ausgerichteten Professuren kommen Vertreter der anderen Disziplinen hinzu. Ein Nachwuchsforscher und ein Student komplettieren die etwa zehnköpfige Runde.

Auswahl
Da sich Nachwuchsforscher breit bewerben, erhalten die Kommissionen nicht selten mehr als 100 Bewerbungen. Sie wählen daraus in einer ersten Sitzung vielleicht zehn oder zwölf Kandidaten aus, von denen sie mehr Material einfordern: etwa einige ausgewählte Fachartikel oder ein Konzeptpapier für die geplante Forschung. Fünf oder sechs Kandidaten werden dann zum Vorsingen eingeladen: So nennt man den öffentlichen Probevortrag und die anschließende Diskussion mit der Berufungskommission.

Liste
Der Standardfall ist, dass die Kommission eine Liste mit drei Kandidaten verabschiedet, mit denen die Universitätsleitung oder das Wissenschaftsministerium – je nachdem, wer den Professor beruft – der Reihe nach verhandelt. Die Kommission hat dabei alle Freiheiten: Sie kann bloß einen Kandidaten empfehlen oder den dritten Platz mit einem Sperrvermerk versehen und damit eine Rücksprache erzwingen, bevor mit diesem Kandidaten tatsächlich gesprochen wird. Sie holt aber zu ihrer Liste üblicherweise zwei externe Gutachten ein. Das alles geschieht vertraulich, aber jeder in der Szene des Fachgebiets weiß über alles Bescheid.

Berufung
Die Liste der Berufungskommission wird vom Fakultätsrat und vom Senat der Universität verabschiedet. Dort kann sie geändert werden, was durchaus geschieht, und auch der Rektor oder der Minister dürfen davon abweichen. Mit dem Wunschkandidaten wird dann nicht nur über sein Gehalt verhandelt: Wie ist das Sekretariat ausgestattet, gibt es Stellen für Mitarbeiter und Zusagen für Laborgeräte?, lauten übliche Fragen. Wenn der Kandidat schon Professor ist, verhandelt er auch mit seiner Heimatuniversität – sie könnte ja seine Stelle aufwerten, um ihn zu halten. Es kann vorkommen, dass nach einem Jahr der Verhandlungen alle drei Kandidaten auf der Liste der Berufungskommission abgesagt haben und das Verfahren von vorn beginnt.