Ein herausragendes Umfeld, exzellente Forschungsmöglichkeiten und viel Geld von der Humboldt-Stiftung zieht Spitzenforscher an.
Stuttgart - Wir können finanziell mit dem Ausland mithalten", sagt Thomas Schöck, Kanzler der Universität Erlangen-Nürnberg. Was bis vor Kurzem kaum möglich schien, nämlich ausländische Universitäten beim Wettbewerb um Spitzenforscher auszustechen, ist fast schon Routine geworden. Jedenfalls mit einer Humboldt-Professur, dem höchstdotierten deutschen Forschungspreis, in der Hinterhand. So haben die Franken den Nano-Optiker Vahid Sandoghdar jetzt von der ETH Zürich losgeeist. Der in Teheran geborene Humboldt-Professor wird gleichzeitig Direktor am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts.
Mit der Humboldt-Professur wurden in diesem Jahr noch sieben weitere Spitzenforscher - alle männlich - ausgezeichnet, die nun von ausländischen an deutsche Universitäten wechseln. Das Preisgeld beträgt fünf Millionen Euro. Damit kann der Preisträger seine Forschung fünf Jahre finanzieren und jährlich bis zu 180.000 Euro als persönliches Entgelt entnehmen. Die Universität kann dieses Gehalt aufstocken.
Was bewegt einen international angesehenen Wissenschaftler, seinen Arbeitsplatz dauerhaft nach Deutschland zu verlegen? Von den Antworten ihrer bisher 21 Professoren erhofft sich Humboldt-Generalsekretär Enno Aufderheide Hinweise, wie man noch mehr Spitzenforscher an deutsche Hochschulen locken könnte.
Wie im Paradies
"Ausschlaggebend für meinen Wechsel sind exzellente Forschungsmöglichkeiten an der Universität Potsdam und im Berliner Raum", sagt Psycholinguist Harald Clahsen von der britischen Universität Essex, der im Oktober an der Universität Potsdam einen neu geschaffenen Lehrstuhl übernehmen und Gründungsdirektor eines Instituts für Multilingualismus werden wird. Der 55-jährige Forscher, der in Wuppertal promoviert und sich in Düsseldorf habilitiert hat, möchte mit seinem Team ergründen, wie Mehrsprachigkeit im menschlichen Gehirn verankert ist.
Matthias Wessling, Spezialgebiet technische Membranen, trieb vor allem der Wunsch, etwas Neues zu wagen. Der Chemieingenieur hatte nach dem Studienabschluss in Dortmund 20 Jahre in den Niederlanden geforscht. Zwischenzeitlich arbeitete er einige Jahre in der Industrie. "Mit dem Erreichten war ich sehr zufrieden", sagt er. Dann kam das Angebot der RWTH Aachen, von 2010 an als Humboldt-Professor für Chemische Verfahrenstechnik gemeinsam mit Kollegen aus nachwachsenden Rohstoffen neue Bausteine für die Industrie von morgen zu entwickeln. "Ich fühlte mich wie ein Turmspringer auf dem Zehnmeterbrett", sagt Wessling. Dass er den Sprung wagte, habe er nie bereut. "Ich habe viel Motivation rausgeholt, alles hat sich sehr dynamisch entwickelt." Die Arbeitsgruppe ist aufgebaut, neue Labore sind installiert. In Aachen könne er Themen anpacken, die er vorher nicht realisieren konnte, berichtet er.
Was die Qualität der Forschung angeht, fühlt sich auch Gerhard Kramer an der TU München fast im Paradies. "Ich hatte die Möglichkeit, an der besten deutschen Ingenieurschule eine Stelle zu bekommen." Das war für den weltweit herausragenden Informationstheoretiker und Nachrichtentechniker der Hauptgrund, von der Universität von Südkalifornien in Los Angeles an die Isar zu wechseln. Natürlich habe ihn auch die deutsche Kultur angezogen, fügt er hinzu. Mit ihr ist der 1970 im kanadischen Winnipeg geborene Sohn deutscher Eltern von Haus aus vertraut.
Vielerorts ist Eigeninitiative angesagt
Auch das Promotionsstudium an der ETH Zürich und die zweijährige Berufspraxis in Basel brachten ihm in den 1990er Jahren die hiesige Lebensart nahe. Nach Übersee zurück lockten ihn damals die attraktiven Arbeitsmöglichkeiten bei den weltberühmten Bell-Laboratorien im US-Bundesstaat New Jersey. Dort forschte Kramer acht Jahre lang, bevor er nach Kalifornien ging.
Doch nur für zwei Jahre, dann konnte er dem Münchner Werben nicht widerstehen. Für ihn waren es nicht die Millionen der Humboldt-Stiftung, die den Ausschlag gaben. "Die Humboldt-Professur war wichtig, aber nicht entscheidend für mich", sagt Kramer. Ein Team von 32 Mitarbeitern zu führen ist für ihn "Herausforderung und Bereicherung", denn in Los Angeles habe er oft nur ein paar Doktoranden betreut. Kramer bringt zur Freude seines Dekans Ulf Schlichtmann einen Teil des Preisgeldes in eine Stiftung ein, um eine weitere Professur zu finanzieren.
Nach Ende der üppigen Humboldt-Periode ist vielerorts Eigeninitiative angesagt. Sprachforscher Clahsen etwa wird für seine Forschung nach neuen Finanzquellen suchen müssen. Das Bundesland Brandenburg werde ihn dabei "nur auf relativ kleiner Flamme unterstützen können". Doch selbst wenn das Geld weiter sprudeln sollte, sehen auch andere Humboldt-Professoren die Kontinuität bedroht - wegen der unsicheren Situation ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiter. Es sei schwierig, sie langfristig zu binden, da sie meist nur befristete Verträge bekämen - ohne Aussicht auf Festanstellung. Anders sei es etwa in den USA oder auch in den Niederlanden, wie Wessling betont. Dort wird jungen Wissenschaftlern eine Lebenszeitstelle in Aussicht gestellt, wenn sie sich in ihren ersten Jahren bewähren sollten.
Geringer Anteil von Frauen in Forschung und Lehre
Auch für Ulrike Gaul, die einzige Frau unter den bisher 21 Humboldt-Professoren, sind Mitarbeiter mit langfristigen Verträgen entscheidend, um nachhaltig forschen zu können. Problematisch sieht die Systembiologin von der Münchner Ludwigs-Maximilians-Universität die vor einigen Jahren geschaffenen befristeten Juniorprofessuren, die oft in einer "großen Warteschleife auf unbefristete Professorenstellen" endeten. In den USA, wo die gebürtige Schwäbin 20 Jahre an Elitehochschulen wie der Universität von Kalifornien in Berkeley oder der Rockefeller-Universität in New York forschte, sei die "Pyramide der Hierarchie weniger spitz".
Zudem beklagt Gaul den zu geringen Anteil von Frauen in Forschung und Lehre an deutschen Hochschulen. Diesem Mangel könnten auch die aktuellen Förderprogramme kaum abhelfen. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssten sich ändern. "Es gibt eine stille Reserve von promovierten Frauen, die zu Hause hocken." In den USA existiere dieses Problem nicht. Gaul fördert in München intensiv den weiblichen Nachwuchs. Auch Helmut Schwarz, der Präsident der Humboldt-Stiftung, wünscht sich mehr Humboldt-Professorinnen. Er sei enttäuscht, dass "die Universitäten bei der Suche nach den Besten so selten die chancenreichen Wissenschaftlerinnen sehen, die es ohne Zweifel gibt".
Die hochdotierten Preise der Humboldt-Stiftung
Ziel: Die Alexander-von-Humboldt-Professur soll Spitzenforscher aus dem Ausland für deutsche Universitäten gewinnen. Mit der Preissumme von fünf Millionen Euro (über fünf Jahre verteilt) für experimentell und 3,5 Millionen Euro für theoretisch arbeitende Forscher ist sie der höchst dotierte deutsche Forschungspreis. Jährlich werden maximal zehn Professuren vergeben, es können auch weniger sein. Seit dem Start 2009 sind bis heute 21 Humboldt-Professuren besetzt worden.
Auswahl: Eine 22-köpfige Kommission in- und ausländischer Experten sucht die Kandidaten aus. Es gibt es keine Quoten für bestimmte Fächer, Nationalitäten oder das Geschlecht. Nur Universitäten können einen Antrag stellen. Die Humboldt-Stiftung in Bonn verlangt ein zukunftsfähiges Konzept.
Die Unis: müssen darlegen, wie die Humboldt-Professur in ihre Gesamtstrategie passt und wie sie den Schwerpunkt auch nach Auslaufen der Förderphase finanzieren wollen. Die Hochschule darf 15 Prozent des Preisgeldes als Verwaltungspauschale behalten.
Statistik: Bis jetzt kommen die Humboldt-Professoren meist aus naturwissenschaftlichen oder technischen Fächern. Lediglich sechs Auszeichnungen sind den Geistes- oder Wirtschaftswissenschaften zuzuordnen. Bereits fünf Professuren gingen nach München und vier nach Berlin. Jeweils eine Professur erhielten – als bisher einzige in Baden-Württemberg – die Unis in Ulm und in Mannheim.