Anja Karliczek war die Überraschungskandidatin bei der Regierungsbildung. Seit März ist sie Forschungsministerin – und hat mit ihrem Metier noch zu kämpfen.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Derzeit hat die Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) viel Gelegenheit, sich in Leidensfähigkeit und christlicher Demut zu üben. Mit 18,27 Milliarden Euro für 2019 hat sie zwar gerade erst ein Rekordbudget und den viertgrößten Einzelhaushalt für 2019 durch den Bundestag gebracht. Aber die Opposition sah das nur als Einladung, ihr erneut an den Karren zu fahren.

 

Karliczek hatte in einem Interview ihre Skepsis gegenüber der Ehe für alle kundgetan und Langzeitstudien über die Auswirkungen auf Kinder gefordert, die in einer solchen Familie aufwachsen. Bei der Bundestagsdebatte ist nicht ganz klar geworden, welche Attacke Karliczek am meisten schmerzte: dass die AfD sie zu ihrem „Mut“ beglückwünschte; dass die Grünen die Forderung nach noch mehr Studien zu diesem Thema „hochnotpeinlich“ fanden oder dass die FDP ihr in schönfärberisch-vernichtendem Arbeitszeugnis-Ton attestierte, sie „bemühe sich ja stets“.

Mit ihrer Einschätzung, dass es das neue Mobilfunknetz 5G künftig „nicht an jeder Milchkanne“ geben müsse, steht Karliczek im konservativen Teil der Bundesregierung zwar nicht allein. Aber mit dieser Aussage avancierte sie für ihre Kritiker wenig später vollends zur Kannen- beziehungsweise Pannenministerin. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil übte sich im öffentlichen Kopfschütteln, auch Parteifreunde setzten sich ab. Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann etwa forderte jetzt erst recht „schnelles Internet bis an jede Milchkanne“, und Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) erklärte die Vernetzung jeder „Ackerfurche“ zum Ziel.

Viele eigene Duftmarken hat sie noch nicht gesetzt

Anja Karliczek traf dies offensichtlich, denn als Reaktion auf die Kritik bat sie sich im Bundestag Meinungsfreiheit aus. Aber das Hauptproblem der Ministerin sind nicht solche Angriffe von der Seitenlinie, sondern dass sie in ihrem Ressort nicht angekommen scheint.

Die dreifache Mutter, die mit ihren Brüdern das familieneigene Hotel im Teutoburger Wald betreibt und Angela Merkels größte Überraschung im neuen Kabinett war, ist zu klug, um die Attacken unter der Überschrift „Viel Feind – viel Ehr“ abzuhaken. Auch wenn die gesamte Bundesregierung nach der Wahl schlecht aus den Startlöchern kam: Bei Anja Karliczek fällt die Arbeitsbilanz besonders mager aus.

Zwar hat sie inzwischen Eckpunkte für eine Bafög-Reform erarbeitet und als erste eigene Duftmarke eine Agentur für Sprunginnovationen angekündigt. Doch wichtiger ist für sie, dass an diesem Donnerstag im Bundestag die Verfassungsänderung für mehr Bundeskompetenzen in der Schulpolitik beschlossen wird. Wenn anschließend auch die Länder zustimmen, ist damit nicht nur der fünf Milliarden Euro schwere Digitalpakt für die Schulen gesichert, den Karliczek von ihrer Vorgängerin übernommen und auf eine neue Finanzgrundlage gestellt hat. Dann kann sie auch den weiteren Ausbau des Ganztagsschulangebots anpacken.

Mehr Effekthascherei als durchdachter Vorstoß

Für die Seiteneinsteigerin ist es nicht leicht, in ihrem neuen Metier Fuß zu fassen. Bildungspolitik betreibt sie erst seit dem Aufstieg ins Kabinett. Das akademische Milieu ist eigen, die Materie vielseitig, komplex und schwer zu vermarkten.

Karliczek ist ausgebildete Bank- und Hotelkauffrau und hat an der Fernuniversität Hagen Betriebswirtschaft studiert. Anders als ihre Vorgängerinnen Johanna Wanka und Annette Schavan schwimmt sie im akademischen Diskurs nicht, als sei er ihr natürliches Biotop. Dass sie die berufliche Bildung stärken will, könnte zu ihrem persönlichen Karriereweg und zu ihrem Job gut passen. Aber der Versuch, die Lehrberufe durch akademischer klingende Namen wie „Berufsbachelor“ und „Berufsmaster“ aufzuwerten, ist mehr Effekthascherei als gut durchdachter Vorstoß.

Dass Anja Karliczek auch als Ministerin viel Zeit in ihrem Wahlkreis verbringen will, freut zwar den Wahlkreis, doch diese Zeit fehlt ihr im Regierungsgeschäft in Berlin. Eine längere Einarbeitungsphase kann sie nicht mehr einklagen. Auch jetzt wird ihr die politische Konkurrenz vorwerfen, dass nicht sie, sondern der SPD-Finanzminister Olaf Scholz die Grundgesetzänderungen ausgehandelt habe. Dass sie bei Schulfragen bald mitreden kann, ist trotzdem ein Pfund, mit dem Anja Karliczek wuchern könnte. Denn damit lässt sich bei den Wählern eher punkten als mit den sperrigen, oft bürgerfernen Forschungsthemen./