Erst vornehme Zurückhaltung, dann kann’s nicht schnell genug vor die Kameras gehen? Nach der Einigung im Bildungsstreit prescht Forschungsministerin Anja Karliczek vor und zieht Unmut nicht nur bei der Opposition auf sich.
Berlin - Immerhin das hat Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sich dann doch verkniffen „Erster!“, hat sie nicht gerufen, wie man es bei frechen Dreikäsehochs kennt, die sich im Kindergarten ganz vorne in die Schlange drängen, wenn’s im Sommer Eis gibt und alle sich der Reihe nach anstellen sollen. Aber vorgedrängelt hat sich die christdemokratische Ministerin, im Eilschritt preschte sie an allen offiziellen Funktionsträgern vorbei ins Scheinwerferlicht und vor die Kameras. „Wir haben es geschafft“, sagte sie am Mittwochabend im Bundesrat, und die versammelte Politprominenz aus Bundestag und Ländern stand daneben. Parteifreunde, Koalitionspartner und Opposition wirkten in dem Moment vereint in Fassungslosigkeit.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und Ex-Gesundheitsminister Hermann Gröhe konnten sich vor allen anderen düpiert fühlen. Denn sie sind die Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses – Schwesig für die Länderseite und die SPD, Gröhe für den Bundestag und die Union. Ihnen wäre es zugekommen, die Einigung auf die lange umstrittene Grundgesetzänderung und den Digitalpakt, dem Schulen und Kommunen seit Monaten entgegenfiebern, zu verkünden.
Grüne kritisieren Karliczek
Ausgesprochen konsterniert standen Manuela Schwesig und Hermann Gröhe am Rand der Säulenhalle des Bundesrats und warteten notgedrungen, bis Karliczek den Platz vor den Kameras räumte. „Ich habe mich schon sehr gewundert, dass ausgerechnet Frau Karliczek sich veranlasst sah, als erste eine Stellungnahme zur Bewertung des Ergebnisses abzugeben. Schließlich hatte sie doch am wenigsten mit den Verhandlungen und der Kompromissfindung zu tun“, sagte Britta Haßelmann, die Parlamentsgeschäftsführerin der Grünen und Chefvermittlerin ihrer Fraktion gegenüber unserer Zeitung kurz danach.
Weil Parteifreundschaft verpflichtet, wird bei der Union zu dem Thema lieber geschwiegen. Der Fraktionsvize Andreas Jung, der für die Union die Arbeitsgruppe zum Vermittlungsverfahren geleitet hat, und Hermann Gröhe wollen den Vorgang tags darauf auf Anfrage nicht kommentieren. Aber natürlich wissen auch die Abgeordneten der Union, dass Karliczek in den Verhandlungen über die Grundgesetzänderung und später im Vermittlungsverfahren quasi keine Rolle gespielt, sondern Zurückhaltung gepflegt hat. Deshalb hat sie sich mit diesem Verstoß gegen Höflichkeit und Kleiderordnung auch in ihrer eigenen Fraktion keine Freunde gemacht.
Auch der Koalitionspartner ist pikiert. „Es wäre schön, wenn die Bildungsministerin immer so schnell gewesen wäre wie am Mittwochabend“, stichelte der SPD-Bildungspolitiker Oliver Kaczmarek, der die Einigung als Verhandlungserfolg vor allem für die SPD reklamierte.
Der Bundestag stimmt mit breiter Mehrheit zu
So hat Karliczek, die mit der Einigung über den Digitalpakt auch nach Meinung mancher Parteifreunde wenigstens ein großes Projekt in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen kann, sich bei dem Thema bereits Ärger eingehandelt, als die Grundgesetzänderung im Bundestag noch nicht einmal beschlossen ist. Am Ende stimmte am Donnerstag eine breite Mehrheit der Abgeordnete von Union, SPD, FDP, Linken und Grünen für den Digitalpakt und die Grundgesetzänderungen. Von den 648 abgegebenen Stimmen, waren 574 Ja-Stimmen und 74 Nein-Stimmen. Am 15. März kommt dann die Schlussetappe. Nachdem alle 16 Bundesländer dem Vermittlungsergebnis zugestimmt hat, ist auch die Mehrheit des Bundesrats für die Verfassungsänderung sicher.