Die zweite Staffel der HBO-Serie „The Deuce“ wagt sich noch weiter vor ins schamlose Sexgeschäft im New York der 1970er Jahre. Die „The Wire“-Macher lassen dabei ein schrill-intensives Sittengemälde zwischen Sex und Crime, Disco und Punk entstehen.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Stuttgart - Falls die USA tatsächlich einmal großartig waren, wie Donald Trump in seinem Werbeslogan „Make America Great Again“ suggeriert, dann meint er damit bestimmt nicht jenes Jahr und jenen Ort. 1977 ist der New Yorker Times Square kein Disneyland für Touristen, sondern Tummelplatz von Zuhältern und Prostituierten, in den Central Park geht man nur, wenn man unbedingt ausgeraubt werden will, ein Serienkiller, der sich Son Of Sam nennt, versetzt die New Yorker in Angst und Schrecken. Und als ob es noch eine weitere Eskalation gebraucht hätte, geht dann auch noch das Licht aus. Nach einem Blitzeinschlag erlebt New York am 13. Juli 1977 seine dunkelste Nacht.

 

Hip-Hop, Disco, New Wave und Sex

Dass sich die „The Wire“-Macher David Simon und George Pelecanos entschieden haben, die Fortsetzung ihres grandiosen Seriendramas „The Deuce“ im Jahr 1977 spielen zu lassen. ist natürlich kein Zufall. Schließlich profitiert ihr Sex-und-Crime-Sittengemälde nicht nur von der hervorragenden Schauspielerensemble (einige kennt man noch aus „The Wire“), sondern auch vom Zeitkolorit. Und nie war New York greller und bunter als im Jahr 1977, als die Stadt kaputt, gefährlich und pleite, aber voller Energie ist: Während in der South Bronx der Hip-Hop entsteht und die Discowelle mit der Eröffnung des Studio 54 in Midtown ihren exzentrisch-hedonistischen Höhepunkt erlebt, wird die Gegend zwischen der Lower East Side und dem East Village zum Zuhause einer neuen Bohème und das CBGB’s auf der Bowery zum Epizentrum der Punk- und New-Wave-Szene. All das und viel mehr fängt jetzt die zweite Staffel von „The Deuce“, die der Sender Sky seit Montag parallel zur US-Ausstrahlung wahlweise auf Deutsch und Englisch zeigt, stilsicher mit einer wunderbaren Beiläufigkeit ein, die die Musik und die Mode von damals zwar ausführlich in Szene setzt, dabei aber nie aufdringlich wirkt.

Das Zeitalter des Porn Chic

Die erste Staffel spielte 1972 – in dem Jahr in dem mit dem Hardcore-Streifen „Deep Throat“ das Goldene Zeitalter der Pornoindustrie begann. Eileen (Maggie Gyllenhaal) nannte sich da noch Candy und ging auf dem Straßenstrich anschaffen. Wenn sie jetzt mit einer Pelzjacke um die Schultern eine Disco betritt, wird sie wie ein Hollywoodstar gefeiert und bewundert – denn sie arbeitet nicht mehr als Prostituierte, sondern in der Pornoindustrie – und weil Porno chic ist im Jahr 1977 muss sie ihren Cocktail an der Bar auch nicht bezahlen. Eileen zählt wie Vincent und sein Zwillingsbruder Frankie (James Franco in einer Doppelrolle), die im Auftrag der Mafia Clubs, Massagesalons und Peepshows betreiben, zu den Profiteuren dieses neuen Sexbooms. Die großen Verlierer sind kurioserweise die Pimps, die Zuhälter: Ihr Geschäftsmodell der körperlichen Ausbeutung von Frauen scheint nämlich ausgedient zu haben. Diesen Job machen jetzt Filmproduzenten, die aus Los Angeles einfliegen, Agenten, die statt mit Gewalt mit Vertragsrecht drohen, oder – wie im Fall von Eileen – die Frauen selbst.

Rotkäppchen als Porno-Märchen

Eileen ist nämlich von der Darstellerin zur Regisseurin und Produzentin aufgestiegen und versucht Porno und Kunst zusammenzubringen. Nachdem sich gerade das Porno-Musical „Alice in Wonderland“ als großer Erfolg an der Kinokasse erwiesen hat, plant sie eine Hardcore-Version des Märchens von Rotkäppchen in die Kinos zu bringen. Als ein möglicher Geldgeber für die Finanzierung des Films aber eine Gegenleistung erwartet, muss Eileen erkennen, dass doch nicht alles perfekt ist in dieser schönen neuen Pornowelt.

New York 1977 – Der Mythos

Serien Die zweite Staffel von „The Deuce“ erzählt vom Sexboom im New York des Jahres 1977. Sky zeigt vom 10. September an die acht neuen Episoden parallel zur US-Ausstrahlung wahlweise auf Deutsch und Englisch auf Sky Ticket und Sky Go sowie abends auf Sky Atlantic. Baz Luhrmanns Musikdrama „The Get Down“ (auf Netflix verfügbar) entwirft eine Romeo-und-Julia-Story zwischen Hip-Hop und Disco, Kleinkriminellen und Bauspekulanten.

Roman Der US-Autor Garth Risk Hallberg beschreibt in dem Roman „City On Fire“ (2015 im S. Fischer Verlag erschienen) New York als Stadt im Ausnahmezustand. Eine Krimi, eine Coming-of-Age-Story und die Bestandsaufnahme einer Umbruchzeit.

Dokumentation Vom Stromausfall über Disco bis zur sexuellen Revolte – Henry Corra dokumentierte in seinem für einen Emmy nominierten Film „NY77: The Coolest Year In Hell“ (2007) ein durch und durch turbulentes Jahr.