Ein Foto prägt den Blick auf den Vietnamkrieg wie kein anderes. Es entstand vor genau 50 Jahren. Was es illustrieren soll, entspricht aber nicht immer der Wahrheit.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Der Name Kim Phuc wird nur wenigen etwas sagen. Als „Napalm Girl“ ist Kim Phuc vor 50 Jahren zu einer Ikone des Entsetzens über die Gewalt im Vietnamkrieg geworden. Das bewirkte ein Foto, das am 8. Juni 1972 entstanden war: Es zeigt ein nacktes Mädchen, das schreiend eine Straße entlangläuft, offenkundig auf der Flucht vor düsterem Qualm und behelmten Soldaten im Hintergrund. Der Qualm kommt von loderndem Napalm, was Flugzeuge über ihrem Dorf Trang Bang abgeworfen hatten.

 

Das sind die Fakten – das Bild diente später allerdings auch als Projektionsfläche für verzerrende Mythen. „Wenn ein Bild tausend Worte sagt“, meint der Vietnamveteran Robert Timberlake, ein Zeitzeuge, „sind die meisten der Worte, die mit diesem Bild verknüpft sind, falsch oder irreführend.“

Das Foto thematisiert auch die Rolle der Medien im Krieg

Urheber des legendären Fotos war der Bildreporter Huyng Cong (genannt „Nick“) Ut. Er arbeitete für die amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press. Auf dem Negativ seiner Aufnahme war noch ein filmender Kameramann zu sehen, der bei der publizierten Version abgeschnitten wurde. Andere Fotos vom gleichen Schauplatz zeigen, wie das „Napalm Girl“ bei seiner Flucht von Journalisten umringt war. Betrachter fragen sich instinktiv, warum sie dem Mädchen nicht helfen. So thematisiert das Foto auch die Rolle der Medien in jenem Krieg.

Das Foto zeigt keineswegs, was die meisten zu sehen glauben – und bei mancher Veröffentlichung, etwa im ZDF, fälschlicherweise behauptet wurde: Kim Phuc, damals neun Jahre alt, war kein Opfer des US-Militärs, das zu dem Zeitpunkt bereits auf dem Rückzug war. Südvietnamesische Flugzeuge hatten die Napalmbomben auf der Jagd nach Vietkong-Kämpfern über ihrem eigenen Territorium abgeworfen. Das Bild veranschaulicht vor allem die Perversionen des Krieges.

„Symbol des Horrors vor Kriegen“

Nick Ut rettete ihr das Leben, nachdem er sie fotografiert hatte, erzählt Kim Phuc, die 1992 in Kanada Asyl fand, in einem aktuellen Gastbeitrag für die „New York Times“ – dem Blatt, dass ihr Foto erstmals veröffentlicht hatte. Sie habe den Fotografen dennoch manchmal gehasst. Sie habe sich gefragt: Warum zeigt er mich so, nackt, verletzt, ohne Schutz? Das Foto habe sie beschämt.

Erst mit der Zeit habe sie verstanden, wie das schreiende Mädchen zu einem „Symbol des Horrors von Kriegen“ wurde – zum „Inbegriff des Schreckens“, wie die Publizistin Susan Sontag geschrieben hat. Kim Phuc findet, wir müssten mit diesem Horror konfrontiert werden, auch in Gestalt der Opfer von Schulmassakern, was ein „heimisches Äquivalent von Kriegen“ sei. „Es ist einfacher, die Wahrheit zu verbergen, wenn wir die Konsequenzen nicht zu sehen bekommen.“