„Außer Timo könnt ihr alle geh’n“, rief Tim Bengel einst bei VfB-Spielen. Heute sind der Künstler und Timo Hildebrand dicke Freunde. Das Tierwohl ist beiden wichtig. Für vegane Sneaker von Sioux waren sie nun Models beim Bahnhof.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Der Treppenaufgang ist wild bemalt, von unten bis oben übersät mit Schriften, die mal les-, mal unlesbar sind. Man sieht Striche, Wellen, aufgesprühte Zeugnisse eines großstädtischen Lebens.

 

Ein Fotograf, der lange nicht mehr in dem zum Abriss freigegebenen Parkhaus an der Jägerstraße beim Hauptbahnhof war, fühlt sich bei dem, was er hier sieht, an New York erinnert. Doch wir sind mitten in Stuttgart. Wer denkt, die ganze Stadt sei von der Kehrwoche belagert, war nie im Schatten des großen Umpflügens für S 21. Ist es das letzte Fotoshooting an diesem urbanen Ort? „Seit Jahren heißt es, alles wird abgerissen“, sagt der Parkwächter, „aber nix geschieht.“ Auch die Clubs Kowalski und Schankstelle können hoffen, dass es eine Weile weitergeht, bevor die Stadt als Besitzerin alles plattmacht für einen Wohn- und Bürokomplex.

„In Stuttgart gibt es noch bessere Locations als in Berlin“

Die schwäbische Schuhfirma Sioux hat das oberste Parkdeck sperren lassen. Alles fängt mit dem ersten Schritt an, auch beim konsequenten Handeln fürs Klima und Tierwohl. „Step One by Tim Bengel“ heißt denn auch die auf 999 Exemplare limitierte Serie veganer Sneaker, deretwegen sich Models, Stylisten, Make-up-Artisten, der Sioux-Chef, sein Marketingleiter und Fotografen an einem frühlingshaften Wintertag treffen.

Graffitikünstler waren schon oft hier oben. Der Blick über die von ihnen bemalten Mauern ist ebenso imposant. Man sieht den idyllischen Weinberg im Sonnenglanz, sechs Baukräne, die das Rössle auf dem Stadtwappen ersetzen könnten, das denkmalgeschützte Gebäude der früheren Bahndirektion und Nachbarhäuser, die den Abrissbaggern versprochen sind. Sioux-Chef Lewin Berner trägt vegane Sneaker in Weiß und erfreut sich am Ambiente. PR-Experten hatten ihm geraten, mit dem Shooting für die vegane Linie nach Berlin zu gehen. Der CEO lehnte ab, weil er es besser weiß: „In Stuttgart gibt es noch viel stärkere Locations.“

Sioux ist 1954 in Walheim gegründet worden

Vor einem Mercedes 220 aus den 1960ern stehen Models in den neuen Sneakern, die zur Markteinführung im März mit einem Event in der Staatsgalerie gefeiert werden. Die dank Mokassins berühmte Marke Sioux, 1954 im württembergischen Walheim gegründet, will den Spagat schaffen, trendy zu sein und trotzdem die Tradition zu wahren. Deshalb passt die Kombination aus dem alten Fahrzeug und den jungen Sneakern gut.

Eines der Werbegesichter von Sioux ist Til Schweiger. In der Kollektion des Schauspielers heißt ein Lederschuh „Tils Biker“. Für den veganen Boom sind die Schuhmacher in der schwäbischen Heimat fündig geworden – beim Wunderkind der internationalen Kunstszene. Tim Bengel, Gründer der Stuttgarter Künstlergruppe Plattform 11, ist dieses Projekt sehr wichtig „Für meine Schuhe müssen keine Tiere sterben und unter erbärmlichen Bedingungen leben“, sagt der 28-Jährige, „außerdem haben vegane Materialien einen kleineren CO2-Fußabdruck, die wir mit Aufforstung sogar ausgleichen.“ Der nächste Schritt müssten „noch mehr pflanzliche Materialien wie Pilz- oder Ananasleder“ sein. Sein „first step“ mit Schuhen gehe aber in die richtige Richtung, „und wir werden immer besser“.

Kundgebung gegen Kälber-Transporte am 4. April in Stuttgart

Immer mehr Gleichgesinnte hat er in Stuttgart. Am 4. April wird es auf dem Schlossplatz eine große Protestkundgebung gegen Kälbertransporte geben.

Zur veganen Bewegung gehört der frühere VfB-Torwart Timo Hildebrand. Deshalb ist er dabei, da Tim Bengel zum Fotoshooting für nachhaltigen Konsum ruft. Die beiden Kumpels tragen weiße Socken. Was einst als Modesünde galt, ist nun wieder cool.

Was viele nicht wissen: Herkömmliche Tierhäute für Schuhe sind nicht immer ein Abfallprodukt der Rinderzucht, sie stammen oft aus industrieller Massentierhaltung in Niedriglohnländern, wo keine Tierschutzgesetze gelten. Leder wird mit einem hohen Wasserverbrauch und giftigen Chemikalien gegerbt. Höchste Zeit, meinen die Kumpels Tim und Timo, dagegen anzugehen.

Der Künstler Bengel spricht mit den Sioux-Leuten über vegane Ernährung. Chef Lewin Berner erzählt, dass er daheim vier Hühner hat. Als die Tochter einmal sagte, sie würde gern ein Hähnchen essen, meinte der Vater, man könne eines der vier eigenen Tiere schlachten. Die Tochter war entsetzt. Ob man nicht ein Hähnchen im Supermarkt kaufen könne? Auch dafür, erwiderte der Vater, müsse ein Huhn sterben. Wer Tiere lieb hat und zu ihnen eine persönliche Beziehung hat, wird schneller zum Vegetarier.

Vegane Schuhe allein können die Welt nicht retten, aber zum Nachdenken anregen.