Sie nennen sich „Eckensteher“ – fünf Fotografen, die Menschen und Momente der Stadt erfassen, sei es mit Geduld, sei es in der Eile des Schnappschusses. Ihre Bilder sind in der Galerie Lichtbildnerei zu sehen.

Diese Ausstellung heißt „Eckensteher“, und das trifft es ganz gut. In Johannes Krauses absichtsvoll karger Lichtbildnerei-Galerie trifft sich die Szene der Stuttgarter Street-Fotografen. Vier Männer zeigen – eine Frau zeigte – ihre Arbeiten, ihren Blick auf die Stadt und ihre Menschen. Richtig gut besucht war die Eröffnung, wo später auch echte Straßenmusiker aufspielten, ein türkisch-bulgarisches Trio. Man sah sogar Klaus Zehelein, den früheren Opern-Intendanten.

 

So leicht ist es nicht, den Begriff Straßenfotografie zu fassen. Manche verlangen ein striktes Schwarzweiß, Grobkörnigkeit, nachlässige Schärfen, Verzicht auf Nachbearbeitung. Klar ist, dass Technik und Ästhetik allenfalls zweitrangige Mittel sind. Vor allem geht es darum, an den Ecken zu stehen, den richtigen Moment zu erfassen, mit Geduld und schneller Reaktion, die Winkel der Stadt auszuleuchten, ihre Menschen zu zeigen, wie sie wahrhaftig sind – jedenfalls keine bloß schönen Bilder zu schaffen, nicht Gestelltes, nichts Gestyltes. „Vertraute Ecken, verzaubert vielleicht, aber nicht schön“, kündigte der Galerist Krause an.

Im Oberen Schaufensterraum halten sich gleich mal zwei der Fotografen nicht an ein Schwarzweiß-Gebot. Jens Franke zeigt zum Beispiel ein leeres Lokal mit charakteristischen weißen Schalensitzen, das Szene-Stuttgarter kennen werden. Am Ende des Raums, neben dem Tisch mit den roten Kitsch-Herzen drauf, steht eine Gestalt in Rot, unbestimmten Geschlechts, mit roter Mütze, roter Umhängetasche. Fast wie in einer Art Uniform. Auch die über die schwarzweißen Parkplatzmuster gehende Frau in Orange wirkt nur in Farbe.

Andere Aufnahmen spielen mit Schatten, Graustufen von Mauern und Asphalt, kleiner szenischer Bewegung wie einer schließenden Tür. Im Souterrain hat Franke eine Reihe Männer im Quadratformat, denen man Mühsal und Lebenslast ansieht, auch wenn einer Nadelstreifen und Dandy-Hut über dem verschwitzten Nackenhaar trägt. Auch Harald Völkl, der Foto-Blogger, verwendet Farbe. Etwa um das Idyll eines still durchs Grün fließenden Neckars, das dichte Laub eines Waldhangs bei einem Schrott-Berg, einer Abbruchfront – vielleicht des Bahnhofsflügels –, einer trostlosen Reihe Einkaufswagen oder der Unwirtlichkeit einer Brache hinter dem Daimler-Stadion gegenüber zu stellen. Da steht auch der weiße Porsche vorm Parkhaus.

Als Bildchronist von Stuttgart 21 hat sich Sven Scholz einen Namen gemacht. Er zeigt eine Momentaufnahme aus dem Zentrum des Sturms. Zwei Arme strecken sich mit zum Victory-Zeichen gespreizten Fingern dem Wasserwerfer und seinem quer übers Bild greifenden Gewaltstrahl entgegen. Aber Scholz kann mit seiner Leica auch warten: auf das richtige Licht und den alten Mann im Mantel, der mühsam die Bahnhofstreppen hinaufsteigt. Da berühren sich Street- und Architekturfotografie, wie bei den Silhouetten von Arbeitern auf dem Stahlgerüst gegen hellen Himmel, bei Riesenrad und Karussell. Alles Schwarzweiß, aus Prinzip.

Aus der Not des Rechts am eigenen Bild und einer halben Stunde U-Bahnfahrt hat Jan Hottmann den Gewinn einer ungemein suggestiven Serie von 21 Bildern errungen. Der Balken einer Glasabtrennung im Waggon läuft über die Augenpartie dieser ganz alltäglichen, ganz unterschiedlichen und nur scheinbar beliebig austauschbaren Fahrgäste: alles Menschen, ganz eigene, ganz individuelle, in schwarzweißem Hochformat von Passbildern.

Schließlich Cana Yilmaz mit ihrem Blick auf Menschen, Tiere, Perspektiven. Das Mädchen mit Kopftuch etwa, der jubelnde Nachtschwärmer auf leerer Straße. Ihre Bilder balancierten das Quintett geradezu aus. Aber Yilmaz hat ihre Arbeiten nach der Vernissage wegen eines Zwists mit dem Galeristen zurückgezogen. Johannes Krause hatte das charmante alte Wort Eckensteher mit Müßiggänger, aber auch mit Außenseiter und Individualist übersetzt.