Immobilien werden mobil – und Automobile werden immobil. Das bringt völlig neue Probleme mit sich.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Das Nomadentum liegt wieder voll im Trend – obwohl die Steinzeit schon eine ganze Weile vorbei ist. Allerdings sammeln die digitalen Neuzeitnomaden weder Beeren noch Nüsse, sondern Aufträge für ihr Mobile Office, in dem sie sich 24 Stunden am Tag selbst ausbeuten. Und sie jagen nicht wilden Tieren, sondern dem jeweils neuesten Trend hinterher – heute in Berlin, morgen in London und übermorgen in Amsterdam. So ein City-Nomade braucht natürlich auch das passende Wohnambiente. Die Lösung kommt aus Dänemark und nennt sich Walking House. Es handelt sich um einen liegenden sechseckigen Quader von der Größe eines Wohnwagens, der wie ein riesiges Insekt auf sechs grazilen Metallbeinen ruht.

 

Mithilfe dieser Beine kann sich das Leichtbauhaus aus eigener Kraft von der Stelle bewegen, während die Bewohner sich anderen Tätigkeiten widmen oder durch die großflächigen Fenster an den Stirnseiten nach draußen blicken können. Geschwindigkeitsrekorde stellt die angeblich nur von selbst erzeugtem Sonnen- und Windstrom angetriebene Konstruktion indes nicht auf. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei beschaulichen 60 Metern in der Stunde.

Therapeutisch wertvolle Entschleunigung

Das laufende Haus sei „ein kleines Heim, dass seinen Bewohnern ein langsames nomadisches Leben ermöglicht“, heißt es in einer Produktbeschreibung. Allerdings muss man für Umzüge über längere Distanzen unter Umständen Monate oder gar Jahre einplanen. Das muss kein Nachteil sein. Gerade für die im Job ständig unter Hochspannung stehenden Neuzeitnomaden ist ein bisschen Entschleunigung wahrscheinlich sogar von hohem therapeutischem Nutzen.

Die Entwickler des Walking House träumen zudem von völlig neuen Formen des Zusammenlebens. Sie beschreiben eine „fluide Nachbarschaft“, die durch die ständige Bewegung der Häuser immer wieder neu zusammengewürfelt wird. Alles ist im Fluss. Nachbarschaftsstreitigkeiten lassen sich in dieser Welt ohne teure Anwälte lösen: Wenn der Typ von schräg gegenüber ständig mit ohrenbetäubender Technomusik nervt, gibt man seinem Haus per Touchscreen einfach die Anweisung, sich auf die Socken zu machen. Selbstredend ist das Walking House fast vollständig kompostierbar – abgesehen von den Metallteilen. Die Wasserversorgung läuft über Regenwasser, und bei Bedarf lässt sich ein kleines Gewächshaus für mobiles Urban Gardening andocken. Alles ökologisch, sozial und nachhaltig – kann man sich eine schönere Zukunft vorstellen?

Immobilienscout oder Mobile.de?

Die Visionäre aus Dänemark verschweigen allerdings geflissentlich, dass umherlaufende Häuser auch völlig neue Probleme mit sich bringen. Soll man sein zum Verkauf stehendes Walking House bei Immobilienscout oder doch besser bei Mobile.de inserieren? Was passiert, wenn das Haus wegläuft und der Besitzer findet nur noch einen leeren Stellplatz vor? Was kostet es, wenn das Haus im Parkverbot steht? Und so weiter. Während Immobilien mobil werden, verhält es sich mit den Mobilen auf unseren Straßen genau umgekehrt. Sie stecken stundenlang im Stau fest und werden dadurch zumindest zeitweise zu Immobilien. Nachdem das Bundesverfassungsgericht ohnehin eine Reform der Grundsteuer angemahnt hat, kommt vielleicht bald einer auf die Idee, diese Steuer auf herumstehende Kraftfahrzeuge auszudehnen.

Wenn sich zu viele mobile Immobilien gleichzeitig auf den Weg machen, könnten sich die Stauprobleme in Zukunft sogar noch vergrößern. Zudem sind beunruhigende Verkehrsmeldungen zu erwarten: „Achtung, auf der A 8 kommt Ihnen zwischen Ulm-West und Merklingen ein Haus entgegen. Fahren Sie äußerst rechts und überholen Sie nicht. Wir melden, wenn die Gefahr vorüber ist!“ – also so etwa in zwei Wochen.

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