Wer viele Beine hat, kommt deshalb nicht unbedingt besser voran. Manche Lebewesen kommen sogar ganz ohne zurecht.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Viel hilft viel, sagt der Volksmund. Etwas wissenschaftlicher ausgedrückt: Zwischen Dosis und Wirkung besteht in der Regel ein positiver Zusammenhang. Das gilt allerdings nur innerhalb bestimmter Grenzen. Irgendwann kann die Wirkung sogar ins Gegenteil umschlagen. Die fünfte Maß hilft kaum noch gegen den Durst, ruft aber je nach Trainingszustand mehr oder weniger gravierende Artikulations- und Navigationsstörungen hervor. Nicht nur bei der Zahl der Biere kommt es auf das rechte Maß an. Auch wenn es um die Zahl der Beine geht, hilft viel nicht immer viel. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler der Universität Köln.

 

Ein Team um den Zoologen Tom Weihmann hat herausgefunden, dass sich Tiere umso ineffizienter fortbewegen, je mehr Beine sie haben. Die Forscher untersuchten anhand von mathematischen Modellen die Bewegungsmechanik von Säugetieren, Insekten, Spinnen und Tausendfüßern. Um den Kraftaufwand so gering wie möglich zu halten, wird bei der Fortbewegung zu Fuß immer ein Teil der Energie zwischengespeichert und gleich darauf wiederverwendet. Das passiert zum Beispiel beim zweibeinigen Rennen oder im vierbeinigen Trab. Doch je mehr Beine ein Tier hat, desto schwieriger wird es den Ergebnissen der Forscher zufolge, die einzelnen Bewegungen optimal zu koordinieren. Anders gesagt: Das Risiko, über die eigenen Beine zu stolpern, wird immer größer, je mehr Beine man hat. Armer Tausendfüßer! Ganz so schwer, wie der Name vermuten lässt, haben es die vielbeinigen Gliederfüßer indes nicht. Denn die Zahl 1000 ist eine Übertreibung. Die höchste jemals beobachtete Fußzahl – nämlich 750 – wurde bei einem Vertreter der überaus seltenen Art Illacme plenipes gefunden, die nur an wenigen Stellen Kaliforniens anzutreffen ist.

Der Mensch braucht nur einen Fuß vor den anderen zu setzen

Es gibt aber auch Tausendfüßer, die nur über eine zweistellige Zahl von Beinen verfügen. Doch selbst die müssen noch ganz schön aufpassen, dass sie nicht aus dem Tritt geraten, wenn sie durch die Lande spazieren. Kein Wunder, dass Tausendfüßer weder die Elektrizität erfunden noch nennenswerte Beiträge zu Hirnforschung oder Quantenpyhsik geliefert haben. Sie brauchen einfach zu viel Rechenleistung für die reibungslose Koordination ihrer vielen Beinchen. Wie einfach hat es da doch der Mensch, der ganz ohne Nachdenken einen Fuß vor den anderen setzen kann – immer schön im Wechsel: rechts, links, rechts, links und so weiter. Das kriegt man sogar noch im Halbschlaf unfallfrei hin – und hat immer noch genügend Hirnkapazität, um nebenbei über alles Mögliche nachzudenken.

Zum Beispiel darüber, dass vielen Zeitgenossen selbst das Gehen auf zwei Beinen noch zu anstrengend ist. Darauf hat jüngst wieder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hingewiesen. Den Experten zufolge wächst die Zahl der Menschen, die unter Bewegungsmangel leiden, weltweit mit beängstigender Geschwindigkeit. Daran ändern auch einige hyperaktive Sportfreaks nichts, die mit eiserner Disziplin ihren Körper in Form halten – und dabei oft übers Ziel hinausschießen. Dabei ist es gerade für Zweibeiner nicht ratsam, sich ständig ein Bein auszureißen – ein Tausendfüßer steckt das deutlich besser weg.

Es geht auch ganz ohne Beine

Doch wer sagt eigentlich, dass zwei Beine der Weisheit letzter Schluss sind? Viele Wohlstandsbürger bewegen sich lieber auf vier Rädern fort oder absolvieren lästige Fußwege mit einem Segway-Roller. In der Natur gibt es viele Beispiel für Lebewesen, die ganz ohne Beine bestens zurechtkommen. Zum Beispiel die Amöben, die als schleimige Masse mit Scheinfüßchen durch die Welt kriechen. Das macht diese Einzeller ungeheuer anpassungsfähig und erlaubt ihnen, sich in jede beliebige Richtung zu verbiegen, zumal sie auch kein Rückgrat haben, das ihre Flexibilität unnötig einschränken würde. Mit diesen Qualifikationen entsprechen Amöben ziemlich genau dem Mitarbeitertyp, der vielen Personalchefs vorschwebt.