Virtuelle Realität und Wirklichkeit werden sich immer ähnlicher. Ist die ganze Welt am Ende nur eine gigantische Simulation?

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Wer seine Lieben mit individuellen Weihnachtsgeschenken beglücken will, aber keine Lust zum Basteln hat, sollte über die Anschaffung eines 3-D-Druckers nachdenken. Damit kann man mit ein paar Mausklicks Schmuckstücke ausdrucken oder Fantasy-Tierfiguren, die sich prima als Staubfänger eignen. Für Egozentriker gibt es auch die Möglichkeit, eine verkleinerte 3-D-Kopie von sich selbst zu erstellen. Ist der Beschenkte praktizierender Voodoo-Priester, sollte man zuvor sicherstellen, dass er einem wohlgesinnt ist. Zunehmender Beliebtheit erfreuen sich auch Bausätze für 3-D-Drucker. So ein Hightech-Werkzeug von Hand zusammenzubauen wirkt im Zeitalter von Industrie 4.0 allerdings etwas antiquiert. Echte Nerds drucken sich ihren eigenen 3-D-Drucker selbstredend auf genau so einem Gerät aus.

 

Andere wollen sich nicht lange mit 3-D-Kleingedrucktem aufhalten – und entwickeln Drucker, die sogar komplette Häuser ausspucken. Solche rationellen Produktionsverfahren könnten helfen, die Wohnungsnot in den Städten zu lindern. Allerdings dürfte sich schon bald die Frage stellen, wo man die vielen neuen Wohneinheiten hinstellen soll. Bei Licht betrachtet kann der 3-D-Druck ohnehin nur eine Zwischenlösung sein. Glaubt man führenden Zukunftspropheten, wird die Menschheit die Welt der physischen Objekte schon bald hinter sich lassen.

Neue Wohnungen im Cyberspace

Beispiel Wohnungsnot: Am billigsten und umweltfreundlichsten wäre es doch, den fehlenden Wohnraum im Cyberspace zu erschaffen. Jeder, der keine Bleibe hat, bekommt vom Wohnungsamt eine hochauflösende Virtual-Reality-Brille zur Verfügung gestellt – und kann sich damit sofort in die Cyberimmobilie seiner Wahl begeben. Je nach Geschmack kann man dann ein schickes Industrieloft oder eine schnucklige Dachgeschosswohnung beziehen. Gefällt einem die Unterkunft eines Bekannten besser, schafft man mit der Copy-and-paste-Funktion in kürzester Zeit ein perfektes Abbild. Umzüge erledigen digitale Agenten per Gestensteuerung.

Die Grenzen zwischen Simulation und Wirklichkeit verschwimmen zusehends. Das führt zu der Frage, wie wirklich eigentlich die Wirklichkeit ist, die wir jeden Tag erleben. Gemäß der Lehre des Konstruktivismus kann der Mensch die Welt trotz hoch entwickelter Sinnesorgane niemals objektiv wahrnehmen. Vielmehr erschafft unser Gehirn auf Basis von Erfahrungen und Erwartungen ein Bild der Wirklichkeit, das uns plausibel erscheint. Unsere Anfälligkeit für optische Täuschungen belegt, dass wir dabei manchmal ganz schön daneben liegen.

Wollen Sie diese 1000 Mitarbeiter wirklich löschen?

Insofern wäre es nur konsequent, wenn wir uns mithilfe der virtuellen Realität gleich eine komplette eigene Welt schaffen würden. Soziologen machen sich ohnehin Sorgen, was die ganzen Leute mal tun sollen, die durch die Digitalisierung ihren Job verlieren werden. Um sie bei Laune zu halten, könnte man sie zum Beispiel an simulierten Arbeitsplätzen virtuelle Produkte herstellen lassen. Auch Personalanpassungen lassen sich in Unternehmen im Cyberspace ganz einfach vornehmen – natürlich nicht ohne Sicherheitsabfrage: „Sind Sie wirklich sicher, dass Sie diese 1000 Mitarbeiter unwiderruflich löschen wollen?“

Vielleicht leben wir alle ja längst in einer Simulation – wie in dem Film „Matrix“, in dem ein paar Technokraten den Rest der Menschheit in einer trostlosen Scheinwelt gefangen halten. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht – oder haben Sie noch nicht bemerkt, dass ihre Kollegen sich manchmal etwas ruckelig bewegen und an den Rändern unscharf erscheinen? Das könnte daran liegen, dass der Systemadministrator wieder mal vergessen hat, die Grafiksoftware zu aktualisieren. Es könnte aber auch sein, dass Sie nur ein Bierchen zu viel getrunken haben.

Kontakt  werner.ludwig@stzn.de