Am Donnerstag wird ein Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen vermeldet. Doch sind nun tatsächlich alle Stolpersteine aus dem Weg geräumt. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

London/Brüssel - Es ist der erste Schritt beim Endspurt zum Brexit: Die Europäische Union hat mit der britischen Regierung einen Scheidungsvertrag vereinbart. Wieder einmal, muss man sagen, denn vor einem Jahr war man mit der Vorgängerregierung in London genauso weit. Der neue Deal eröffnet die Chance auf einen pünktlichen und geregelten EU-Austritt des Vereinigten Königreichs in zwei Wochen. Aber es könnte auch ganz anders ausgehen. Die wichtigsten Antworten zum Deal vom Donnerstag:

 

Was genau wurde denn jetzt vereinbart?

Der schon vor einem Jahr ausgehandelte Austrittsvertrag wird in wenigen Punkten geändert. Die Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland - der sogenannte Backstop - wird auf Wunsch Großbritanniens gestrichen und ersetzt. Die neue Lösung ist komplex, aber der Kern ist: Es wird keine Zollkontrollen an der inneririschen Grenze geben.

Dafür sollen in Nordirland weiter EU-Warenstandards gelten sowie eine spezielle Zollpartnerschaft: Für Waren, die für Nordirland gedacht sind, gilt britisches Zollrecht; für Waren, die nach Irland und damit in den EU-Binnenmarkt gelangen könnten, setzt Großbritannien EU-Zölle durch. Großbritannien muss dies also vor der Einfuhr nach Nordirland prüfen und beide Kategorien auseinanderhalten. Über die Regelung kann die nordirische Volksvertretung erstmals nach vier Jahren und dann periodisch immer wieder abstimmen. Sie könnte also beendet werden. In dem Fall gäbe es eine zweijährige Übergangsfrist.

Geändert wurde auch die sogenannte Politische Erklärung zu den künftigen Beziehungen, weil Premier Boris Johnson sein Land nicht so eng an die EU binden will wie seine Vorgängerin Theresa May.

Wird die EU-Seite den Deal akzeptieren?

Aller Voraussicht nach ja. Die ersten Reaktionen klangen einhellig: Das sei ein ausgewogener und vernünftiger Kompromiss.

Wie sind die Chancen im britischen Unterhaus?

Johnson fehlen bis zu 30 Stimmen für eine Mehrheit. Derzeit hat die konservative Regierungsfraktion noch 288 Abgeordnete, 318 wären notwendig, wenn es keine Enthaltungen geben sollte. Doch das gilt nur, wenn die Brexit-Hardliner in der Tory-Partei, auch Spartaner genannt, sich nicht gegen ihn stellen. Etwa 28 Abgeordnete werden dazu gezählt. Bei früheren Abstimmungen orientierten sie sich an der nordirischen DUP, die mit ihren zehn Abgeordneten Widerstand angekündigt hat. Ob es auch dieses Mal so kommt, ist fraglich. Johnson hat im Umgang mit Rebellen in seiner Partei gezeigt, dass er zu drastischen Mitteln greift, um Parteidisziplin herzustellen. Die Spartaner müssten damit rechnen, bei einer Neuwahl nicht mehr antreten zu dürfen.

Wie die 21 von Johnson im September aus der Fraktion geworfenen proeuropäischen Tory-Rebellen abstimmen werden, ist unklar. Es wird aber damit gerechnet, dass Johnson zumindest einen Teil dieser Gruppe auf seine Seite bringen kann. Doch selbst dann bräuchte er noch Unterstützung aus der Opposition. Bis zu 19 Abweichler bei den Sozialdemokraten von Labour haben signalisiert, dass sie bereit wären, für einen Deal zu stimmen. Doch der Druck der Parteiführung dürfte sehr hoch werden.

Was hat die DUP für ein Problem damit?

Es ist der Daseinszweck der nordirisch-protestantischen DUP, ein Auseinanderdriften Nordirlands vom Rest des Vereinigten Königreichs zu verhindern. Die Partei hat sich daher von Anfang an gegen jeglichen Sonderstatus für den Landesteil nach dem Brexit eingesetzt. Das ist aber aus Sicht der EU notwendig, um Grenzkontrollen zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland im Süden zu vermeiden.

Daher galt es bereits als großes Entgegenkommen Londons, als Johnson vorschlug, dass Nordirland weiterhin den Regeln des EU-Binnenmarkts unterworfen sein soll. Der DUP sollte dabei jedoch ein Vetorecht eingeräumt werden, diese Anbindung zu beenden. Dieses Veto ist nun im neuen Abkommen weggefallen. Hinzu kommt, dass Nordirland, anders als im ursprünglichen Johnson-Vorschlag, de facto auch in einer Zollunion mit der EU bleiben soll.

Gibt es ein zweites Referendum?

Die Chancen dafür scheinen wieder ein bisschen gestiegen zu sein. Die Befürworter einer zweiten Volksabstimmung wollen ihre Zustimmung zu Johnsons Brexit-Deal am Samstag mit der Bedingung verknüpfen, dass er anschließend noch dem Volk vorgelegt wird. Die Alternative soll ein Verbleib in der EU sein. Ob sie damit Erfolg haben werden, hängt davon ab, ob sich die größte Oppositionspartei Labour hinter das Vorhaben stellt. Labour-Chef Jeremy Corbyn äußerte sich dazu widersprüchlich am Donnerstag. Einerseits forderte er ein Referendum, andererseits vermied er klarzustellen, ob er damit eine Volksabstimmung über Johnsons Abkommen meint. Corbyns Position war bisher, dass es zuerst eine Neuwahl geben soll.

Was passiert, wenn das Unterhaus wieder Nein sagt?

Dann wird eine weitere Verschiebung des Brexits debattiert werden. Johnson hat sie immer abgelehnt und auf einen Austritt am 31. Oktober gepocht. Doch ist er nach einem britischen Gesetz verpflichtet, um Aufschub zu bitten, wenn es an diesem Samstag noch keinen vom Unterhaus akzeptierten Deal gibt. Die EU dürfte dem letztlich zustimmen, denn sie will in keinem Fall einen Chaos-Brexit verantworten. Nachverhandlungen in den nächsten Tagen wird es dagegen wohl nicht geben. Ein hoher EU-Beamter machte klar, dass dieser Donnerstag quasi der letzte Termin für eine Einigung war, um einen Vertrag noch pünktlich zu ratifizieren.