Ein Bündnis türkischer Vereine aus der Region Reutlingen organisiert Hilfe für Opfer von Erdbeben. Darunter sind verfassungsfeindliche Gruppen.

Für die Erdbebenopfer in der Türkei hat eine neue „Plattform Türkischer Vereine Reutlingen, Tübingen und Umgebung“ gemeinsam mit weiteren Beteiligten Spenden gesammelt. Rund 170 000 Euro sind dabei nach Angaben der Dachorganisation in den vergangenen Wochen gesammelt worden – weitere Spendenaktionen sollen folgen. Weniger bekannt ist hingegen, wer hinter der Plattform steckt.

 

Gastronomen, Friseure, Vereine, Moscheen, Privatleute und türkische Schulklassen beteiligten sich an den Hilfsaktionen. Sei es durch Spenden, Kuchenverkauf oder Haareschneiden. Der Erlös ging nach Angaben des Zusammenschlusses an Bedürftige in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten im Südosten der Türkei.

Um nach eigenen Angaben die türkische Kultur, Sprache und den Islam zu fördern, riefen die Vorstände von 20 türkischen Vereinen die Plattform am 20. November 2022 in der Ditib-Zentralmoschee in Tübingen ins Leben. Nach Angaben der türkischen Zeitung „Kilim“ soll der Zusammenschluss die Interessen türkischstämmiger Menschen in der Region wirkungsvoller als bisher vertreten.

Das Rückgrat bilden zwei Ditib-Moscheen

Das Rückgrat der Plattform bilden die Ditib-Moscheen aus der Region Reutlingen und Tübingen. Die Ditib steht seit Jahren in der Kritik, die religiös-nationalistische Agenda des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogans auch in der türkischen Gemeinde in Deutschland zu betreiben. Daneben zählen zum Bündnis Organisationen mit einer Nähe zu Verbänden, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Darunter die Türkische Gemeinschaft Organisation Reutlingen (TGO), die dem Dachverband der Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland zuzurechnen ist, den rechtsextremistischen Grauen Wölfen. Die Zentralmoschee Reutlingen sowie die Selimiye-Moschee gehört zur islamistischen Millî Görüş, und die Union der Internationalen Demokraten Tübingen (UID) ist eine Filiale des europäischen Ablegers der Erdogan-Partei AKP. In Balingen organisierte die UID vor ein paar Wochen eine Veranstaltung für die Erdbebenopfer. Neben zahlreichen Gästen, etwa aus dem türkischen Konsulat Stuttgart, trat auch Balingens damals noch amtierender CDU-Oberbürgermeister Helmut Reitemann als Redner auf. Organisationen wie die UID, die laut Verfassungsschutz nicht kompatibel mit der freiheitlich-demokratischen Ordnung sind, bedienen sich dieser prominenter Gäste, um sich salonfähig zu machen.

„Erhebliche Zweifel“ an der Wertfreiheit der Hilfe

Die CDU-Sicherheits- und Integrationspolitikerin Birgül Akpınar sieht das Bündnis kritisch: „Hilfen für die Erdbebenopfer sollten ideologie- und wertfrei sowie ohne Hintergedanken erfolgen. Bei näherer Betrachtung dieser Plattform und ihrer Akteure bestehen daran erhebliche Zweifel.“

Zwischen den einzelnen Gruppierungen gibt es personelle Verschränkungen: So war UID-Deutschlandchef Köksal Kuş zuvor Mitglied bei den Grauen Wölfen. Baden-Württemberg gilt als eine der Hochburgen der Grauen Wölfe. Nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) hat die Gruppierung deutschlandweit mehr als 18 000 Mitglieder und stellt damit die größte rechtsextremistische Bewegung hierzulande dar. Mesut Demirezen, ein Sprecher der Reutlinger Plattform, der zugleich Funktionär bei der rechtsextremen TGO ist, sagt gegenüber „Kilim“: „Unsere Heimat und unser Land ist die Türkei. Unsere Religion ist der Islam. Wir alle sind Mitglieder der türkischen Nation.“

Millî Görüş wird immer wieder vom Verfassungsschutz beobachtet

Millî Görüş, über die Zentralmoschee Reutlingen sowie die Selimiye-Moschee in Tübingen in der Plattform vertreten, ist mit ihren laut Bundesamt für Verfassungsschutz mehr als 30 000 Mitgliedern die größte islamistische Organisation in Deutschland und wird in einigen Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet. Ihr Ziel ist seit jeher eine streng konservative, islamische Weltordnung. Die Ideologie ist dabei zutiefst anti-westlich und antisemitisch.

Die CDU-Politikerin Akpınar zieht ein skeptisches Resümee: „Über dem Ganzen steht zwar ,Wir helfen euch‘, aber dieses Engagement dient natürlich den eigenen ideologischen Zielen.“ Hilfe habe immer eine positive Wahrnehmung und öffne Türen. „Die Frage, wer wem hilft und weshalb, sollte aber unbedingt gestellt werden.“