Verdi-Chef Frank Bsirske will den kirchlichen Arbeitgebern ihr erstes Gebot nehmen: Du sollst nicht streiken. Das „Zweite-Klasse-Recht“ für Arbeitnehmer in diakonischen Einrichtungen müsse weg, mahnt er auf dem Evangelischen Kirchentag.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Frank Bsirske, der Verdi-Chef, ist nicht Mitglied der Kirche und nicht „religiös gebunden“, wie er selbst sagt. Das hält ihn weder vom samstäglichen Kirchentagsbesuch in Stuttgart ab noch vom massiven Einsatz für die Beschäftigten kirchlicher Betriebe. Speziell unter den mehr als 450 000 Mitarbeitern der Diakonie wächst der Unmut, dass sie mangels Streikrecht ihre Interessen nicht wie andere Arbeitnehmer durchsetzen können. Die Arbeitgeber verteidigen beharrlich ihren „Dritten Weg“, wonach sie ihre Arbeitsrichtlinien ohne echtes Mitspracherecht der Gewerkschaften selbst regeln. Im Vergleich mit dem Betriebsverfassungsgesetz für die übrigen Unternehmen mangelt es an Mitbestimmung und Transparenz.

 

Seit vielen Jahren rennt Verdi gegen eine Mauer des Widerstandes an. Nachdem mittlerweile mit den größten diakonischen Trägern in Niedersachsen und für alle diakonischen Einrichtungen in Hamburg Tarifverträge vereinbart wurden, rollt der Ball. „Da ist auf Arbeitgeberseite etwas in Gang gekommen“, sagt Bsirske im Zelt am Cannstatter Wasen. „Zwei Landesverbände der Diakonie sind aus der kirchlichen Front ausgeschert.“ Er sei überzeugt davon, „dass dieses Schule machen wird“. Sein Motto des Kirchentags lautet: „Klug werden mit Verdi.“ Bisher könnten private Anbieter den Dumpingwettbewerb verschärfen und die kirchlichen Träger mit fairen Bedingungen unter Druck setzen, ihrerseits die Löhne zu senken, rügt der Verdi-Vorsitzende. Dieser „ausbeuterischen Praxis“ müsse ein Ende gesetzt werden. Die kirchlichen Arbeitgeber sollten Schluss machen mit dem Sonderweg für mehr als 1,2 Millionen Arbeitnehmer. Selbst der Vatikan schließe Tarifverträge ab, was die Katholische Kirche in Deutschland verweigere. „Ich bin zuversichtlich, dass für dieses Zweite-Klasse-Recht die Tage gezählt sind“.

Erster diakonischer Tarifvertrag im Südwesten

Erzwungen wurde der sogenannte niedersächsische Weg auch mit Streiks. Das Besondere daran sei, so Bsirske, das Einverständnis, dass die Gegenseite ihre Grundsatzpositionen beibehalten könne: Verdi verzichte nicht auf das Streikrecht, und die Arbeitgeber räumten dieses nicht prinzipiell ein. „Die Praxis zeigt: es geht miteinander – im Moment sind wir im Verhandlungsmodus“, so der Gewerkschaftschef. Ob man irgendwann an den Punkt eines Streiks komme, werde sich erweisen.

Sogar im Südwesten hat Verdi bald etwas Habhaftes vorzuweisen: Nach Angaben von Landesfachbereichsleiterin Irene Gölz steht die Gewerkschaft in den Verhandlungen mit der Evangelischen Stadtmission Heidelberg kurz vor dem Abschluss. Es wäre der erste diakonische Tarifvertrag in Baden-Württemberg.

Notfalls zieht Verdi vor den Menschengerichtshof

Das Bundesarbeitsgericht hatte in seinem Urteil von November 2012 gewerkschaftliche Arbeit in kirchlichen Betrieben erlaubt, das kirchliche Selbstordnungsrecht allerdings über das Grundrecht auf Streik gestellt. Dagegen hat Verdi Verfassungsbeschwerde eingelegt. Dem Vernehmen nach will sich Karlsruhe nach der folgenden Sommerpause dazu äußern. Wenn das Bundesverfassungsgericht der Gewerkschaft nicht folge, werde Verdi vor den Europäischen Menschengerichtshof in Straßburg ziehen, kündigt Bsirske an.

Eher dürfte der Tarifkonflikt im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst entschieden werden, der Mitte der Woche in ein Schlichtungsverfahren mündet – auch dieser Streit hat für die Kirchen eine besondere Bedeutung. Denn praktisch ist es eine Art Stellvertreterkampf: Ein Drittel aller Beschäftigten auf diesem Feld sind bei den Kommunen und zwei Drittel bei freien Trägern wie der Diakonie angestellt, die sich zudem durch Städte und Gemeinden refinanzieren. Der Tarifvertrag mit den kommunalen Arbeitgebern sei die „Leitwährung für das gesamte Berufsfeld“, so Bsirske. Daher soll der Abschluss für die Kita-Erzieherinnen das Startsignal geben: „Wir wollen eine generelle Aufwertung der sozialen Berufe und eine bessere Bewertung der Arbeit am Menschen“, sagt er. „Ich bin sicher, dass der von diesem Konflikt ausgehende Impuls auch in anderen Bereichen wie der Alten- und Krankenpflege Wirkung zeigen wird.“