Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier besucht Strippenzieher und Opfer des Syrienkriegs. Er hofft auf kleine Fortschritte. Für den Libanon bräuchte es allerdings mehr, um zu überleben.
Doha - Der Mann, den sie auf dem Berliner Alexanderplatz vor Kurzem wegen seiner Russlandpolitik einen Kriegstreiber nannten, besichtigt die Facetten eines Krieges. Außenminister Frank-Walter Steinmeier trifft jene, die unter dem Krieg in Syrien leiden, jene, deren Interessen in der Region den deutschen ähneln und jene, die ein Feuer schüren, das sie womöglich irgendwann nicht mehr kontrollieren können. Es ist eine von vielen Reisen des Ministers in den Graubereich des deutschen Werteempfindens, nur kurz vor einer Abstimmungsfarce, mit der Baschar al-Assad seinen Machtanspruch als syrischer Präsident nach drei Jahren Bürgerkrieg untermauern wird. Es geht also in eine Region, wo die Welt eher schlecht ist, aber alles Jammern nicht weiterhilft. Ein Trip dahin, wo Außenpolitik besonders wehtut.
Sein Weg führt ihn erst in den Libanon, wo mehr als eine Million syrische Flüchtlinge einem zerbrechlichen kleinen Land die Luft abdrücken, dann in die Vereinigten Arabischen Emirate und schließlich nach Katar, wo die Glasfassaden der Luxusbauten wie silberne Nadeln den Himmel kratzen. Alle haben sie Aktien im syrischen Spiel, nur dummerweise nicht die gleichen. Wenn der Kurs der einen steigt, droht den anderen der Absturz. Steinmeier hat weder eine Lösung im Gepäck noch eine Ahnung, wie es nach dem Rücktritt des UN-Sondergesandten Lakhdar Brahimi weitergehen soll. Deshalb will er seine Sinne wieder schärfen für einen Konflikt, der im Schatten der Ukraine-Krise in Vergessenheit zu geraten droht. „Die Welt besteht nicht auf der einen Seite aus Friedensengeln und auf der anderen Seite aus Bösewichten. Die Welt ist leider komplizierter“, brüllte er in Berlin den Demonstranten entgegen. Voilà Herr Steinmeier, willkommen im Nahen Osten!
Über eine Million Flüchtlinge
Im Libanon trifft er die Opfer. In Zeltdörfern und Ruinen hausen die Flüchtlinge aus Homs und Damaskus, über eine Million sind es inzwischen. In einer der vielen Bürozellen, hinter einer himmelblau gestrichenen Trennwand, senkt sich der Finger einer Frau in ein Stempelkissen zur Registrierung. Hier, in der Aufnahmestelle des UN-Flüchtlingshilfswerks, teilen die Heimatlosen das stärkste aller möglichen Interessen: zu überleben. Auch der Libanon will überleben, zwischen Syrien und Israel gelegen, aber gewiss ist das nicht. Die Sorge wächst, dass Syrien zerfällt. Was dann aus dem Libanon, aus Israel, aus der gesamten Region wird, weiß keiner, denn noch arrangieren sich dort notdürftig die gleichen Kräfte, die sich in Syrien oft nur wenige Kilometer entfernt vernichten wollen.
Schulkinder singen dem Gast, der fünf Millionen Euro im Gepäck hat, ein Liedchen vor, „Red, yellow, green and blue, hello, hello, how are you . . .“. Rührend ist das und beklemmend. Ein kleines Kind, es hat eben erst Laufen gelernt, steht in der langen Schlange der Wartenden. Es hustet. Das Bellen klingt nicht so, als reize nur der Staub die Bronchien. Das Kind zwängt den verdreckten Arm bis zur Schulter zwischen die Gitterstäbe einer Absperrung, winkt in die Kameras. Es lacht. Diese merkwürdigen Leute, die sich um diesen weißhaarigen Mann scharen, sind ein lustiger Zeitvertreib. Sie kommen über das Lager wie Außerirdische. Wenig später sind sie verschwunden, die Bilder nehmen sie mit. Das Kind bleibt und hustet.
Hier in der Bekaa-Ebene ist es noch leicht, sich auf eine Seite zu schlagen. Aber Lösungen kommt man so nicht näher, denn jene, die am meisten leiden, haben am wenigsten zu sagen. Man kann ihnen helfen. Aber selbst das ist leichter gesagt als getan, weil zwar jeder in Deutschland das süße, hustende Kind aus den Fernsehnachrichten aufnehmen würde, aber die Debatte schnell eine ganz andere Tonlage bekommt, wenn von der Aufnahme von Tausenden Syrern die Rede ist. Wenn Steinmeier im Ringen um Krieg und Frieden eine kleine Rolle übernehmen will, nutzen ihm die Schwachen nichts, dann muss er mit den Starken ins Geschäft kommen.
Deshalb fliegt er weiter nach Abu Dhabi. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein Hoffnungsschimmer im Krisenszenario. Nicht, dass hier sein wichtigster Gesprächspartner, Kronprinz General Scheich Mohamed bin Zayed al-Nahjan, demnächst seinen Familienclan durch eine lupenreine Demokratie ersetzen wollte. Auch die vielen Tausend Gastarbeiter, die – ähnlich wie in Katar – für einen kargen Lohn bis zur amtlichen Hitzegrenze von 49,9 Grad auf Großbaustellen schuften, werden nach dem Besuch des Sozialdemokraten nicht auf einen Mindestlohn hoffen dürfen. Aber die Emirate spielen, wie Diplomaten sagen, eine „konstruktive Rolle“.
Zusammenarbeit mit den Deutschen hat Tradition
Die Emirate schätzen Ruhe und Stabilität. Das ölreiche Land parkt in seinen Staatsfonds viele Milliarden, das erleichtert vieles. Die Zusammenarbeit mit den Deutschen hat Tradition, in Afghanistan hat man gemeinsam den Flughafen in Masar-i-Scharif gebaut. In Syrien setzen beide auf gemäßigte Kräfte. Deshalb hat man einen internationalen Fonds aufgelegt, der rund 100 Millionen Euro eingesammelt hat. Den gemäßigten Rebellen soll so geholfen werden, in den von ihnen kontrollierten Gebieten die Versorgung der Bevölkerung zu garantieren, damit nicht nur die Islamisten Krankenhäuser bauen und Trinkwasser beschaffen. In einer Arbeitsgruppe arbeiten beide Länder an Konzepten für die Zeit nach dem Krieg, wann immer die anbrechen mag.
Die Atmosphäre ist herzlich, als der Bruder des Kronprinzen, Außenminister Scheich Abdullah bin Zayed al-Nahyan, gemeinsam mit Steinmeier vor die Journalisten tritt. Der Gastgeber fragt Steinmeier höflich scherzend nach den Aussichten der Nationalelf bei der WM. Deutschland strebe stets ins Finale, erwidert der Minister. Dies bleibt seine einzig konkrete Zielbeschreibung auf der Reise. Für Syrien hat keiner einen Plan, auch Steinmeier nicht.
Zur schier aussichtslosen Lage haben seine Gastgeber am letzten Tag der Reise aus deutscher Sicht ihren Teil beigetragen. Die Erbmonarchie Katar gilt als unberechenbare Größe mit wechselnden außenpolitischen Ambitionen. Ein Land, halb so groß wie Hessen, das sich international reckt und streckt, weil der große Nachbar Saudi-Arabien es klein halten will. Der Geltungsanspruch ist gepaart mit schier unerschöpflichen finanziellen Möglichkeiten. Die USA haben einen ihrer größten Auslandsstützpunkte in Katar. Geld aus Katar sponsert den FC Barcelona, hilft der Deutschen Bank, finanziert ein irrwitziges WM-Projekt in der Gluthitze des eigenen Ministaats – und laut Sicherheitsexperten auch die islamistischen Extremisten auf Seiten der Opposition in Syrien. Katar verfügt über die drittgrößten Erdgasreserven und ist der größte Exporteur von verflüssigtem Gas weltweit. Für Europa ist Katar deshalb ein überaus interessanter Geschäftspartner in Zeiten der Ukraine-Krise – auch das noch.
Das Gespräch mit dem Emir des Landes, Scheich Tamim bin Hamad al-Thami, verläuft freundlich, aber ohne großen Ertrag. Guter Rat ist selbst in Katar zu teuer. Steinmeier hatte sich schon vor der Reise keinen Illusionen hingegeben. Die arabische Welt ist heillos zerstritten. Russland und die USA fallen als Gestaltungsmächte wegen der Ukraine-Krise aus, der Iran und Saudi-Arabien testen in Syrien mit gesponserten Hilfsarmeen die Kräfteverhältnisse zwischen sunnitischer und schiitischer Welt. An eine große politische Lösung ist nicht zu denken. Also will Steinmeier an kleinen Provisorien basteln. Er will Chancen ausloten, den Krieg in Syrien regional zu begrenzen, um wenigstens ein paar befriedete Zonen zu schaffen. Vielleicht ließe ja der Flüchtlingsdruck auf die Nachbarländer dann ein wenig nach. Vielleicht könnte so für die Hilfsorganisationen gesicherter Zugang zu den Notleidenden in Syrien geschaffen werden. Ganz kleine Schritt wären das, schwer genug zu gehen. Und Assad? Wäre weiter im Spiel. Ein großer Wurf sieht anders aus. Aber die Welt ist komplizierter.