Die erste Reise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier außerhalb von Europa führt ihn nach Israel – und das in schwierigen Zeiten.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Jerusalem - Jetzt sitzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit seiner Frau Elke Büdenbender unter dem viel zu kleinen Sonnenschirm in der israelisch-arabischen Begegnungsstätte von Givat Haviva. Es ist erst später Vormittag, aber die Sonne brennt. Kühlen Kopf bewahren, ist rein physisch schon kaum mehr möglich. Von hier sind es nur noch fünf bis zehn Kilometer bis zum Westjordanland. Die Grenze dazwischen markiert den heißesten Konflikt auf dem Globus, der Israelis und Palästinenser seit Jahrzehnten entzweit und die Welt mit ihnen. Das merkt man auch daran, dass die Sicherheitskräfte ihren menschlichen Schutzschild hinter Steinmeier und seiner Frau verstärkt haben, um Gefahren im Notfall besser vom Staatsoberhaupt abwenden zu können.

 

Der älteste Ort der Aussöhnung

Givat Haviva ist die älteste und größte Organisation in Israel, die sich der Aussöhnung zwischen Juden und Arabern verschrieben hat. „Wir glauben, dass Solidarität, Frieden und Verständnis für die Interessen der anderen Seite das einzige Konzept ist, das hilft, damit Katastrophen wie der Zweite Weltkrieg sich niemals wiederholen“, sagt der Leiter der Einrichtung Anat Lidor bei der Begrüßung. Wie mühsam das nach wie vor ist, davon berichten seine Mitarbeiter im Laufe des Besuchs. „Die Kids, die zum ersten Mal hierher kommen, sind voller Vorurteile gegen die andere Seite. Dabei treffen 90 Prozent von ihnen hier an diesem Ort zum ersten Mal aufeinander. “

Die Zeit, dass Steinmeier als Außenminister immer wieder auf Strategien und Konzepte sinnen musste, um diesen Konflikt im mühsamen diplomatischen Tagesgeschäft immer wieder zu entschärfen, hat er hinter sich. Den schwierigsten Part seiner ersten Israelreise als Staatsoberhaupt und den ungewöhnlichsten auch. Jedenfalls war der dunkle Parkplatz an dem abgewrackten Bauzaun neben dem Mahane Yehuda Markt in der Altstadt von Jerusalem, auf dem die Limousinen von Steinmeier und seinem Gastgeber Reuven Rivlin nacheinander vorgefahren sind, kein gelackter Vorzeigeort, der prädestiniert für Staatsbesuche wäre. Ein wenig machte es den Eindruck, als klopfe der hohe Besuch aus der Bundesrepublik an der israelischen Hintertür. Unter Nachbarn, die gut Freund miteinander sind, mag diese Unverkrampftheit normal sein. Aber dass Protokoll- und Sicherheitsbeamte zunächst die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen haben, darf man unterstellen. Es geht schließlich um die Repräsentanten zweier durch eine dunkle Geschichte tief miteinander verbundener Staaten.

In die Partyatmosphäre eintauchen

Dunkel ist es, die Delegation tastet sich vorsichtig voran bis zu einem Nebeneingang des Marktes, um dann in die bunte, pulsierende Partyatmosphäre einzutauchen. Steinmeier, seine Frau Elke Büdenbender und Reuven Rivlin kämpfen sich, begleitet von ihrer Entourage, Kameras und Sicherheitskräften durch die enge Gasse voller gut gelaunter junger Leute. Ziel ist der Beer-Bazar. Der eine oder andere Partygänger rätselt zwar, was für ein Promi da wohl mit dem israelischen Ministerpräsidenten unterwegs sein mag. Aber ein anderer brüllt „Herr Steinmeier, Herr Steinmeier“, weil er ein Selfie machen möchte. „We are exited, that you are here“ sagt ein anderer. Es wird gejohlt und gelacht, und ganz sicher ist noch kaum ein Staatspräsident zu Beginn eines wichtigen Besuchs weniger präsidial aufgetreten, mit weniger repräsentativem Gedöns aber umso mehr Popstargetöse empfangen worden. „Was für ein fulminanter Auftakt“, sagt Steinmeier am Tag danach bei der offiziellen Begegnung mit Rivlin im Präsidentenpalast, voller Dankbarkeit.

Ein alter Freund kommt ins Land

All das ist Teil einer sorgsamen Inszenierung, die der Bundespräsident und seine Berater sich ausgedacht haben. Dass Steinmeier als alter Freund in dieses Land kommt, ist dabei ein wichtiges Motiv. Erstens soll es dem neuen Präsident, der allein als Außenminister schon elf Mal in Israel war, und sich und seine Positionen dort wirklich nicht bekannt machen muss, in der neuen Rolle neue Freiheiten erschließen. Und zweitens wäre ein Freund gerade jetzt bitter nötig, wo die bilateralen Beziehungen sich wegen der deutschen Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung in Tel Aviv in den vergangenen Monaten immer weiter verhärtet haben. Vor einiger Zeit hat die Kanzlerin die regelmäßigen deutsch-israelischen Regierungskonsultationen ausgesetzt. Zuletzt hat Israels Premierminister Benjamin Netanjahu den deutschen Außenminister Sigmar Gabriel bei seinem Israel-Besuch brüsk das vereinbarte Gespräch verweigert, weil der sich auch mit regierungskritischen Organisationen traf.

Tiefe Verbundenheit

Das ist jetzt 14 Tage her, und seither entwickelte sich Steinmeiers Antrittsbesuch in Israel zur „Quadratur des Kreises“, wie es im Präsidialamt hieß. Dass Steinmeier Jerusalem zum ersten außereuropäischen Ziel seiner Präsidentschaft wählte, um seine tiefe Verbundenheit deutlich zu machen, drohte wegen der Notwendigkeit zur Krisenbewältigung in den Hintergrund zu treten. Im Vorfeld der Reise gab es in seinem Umfeld die Sorge, dass die angespannten Beziehungen in völliger Sprachlosigkeit münden und das Wunder der deutsch-israelischen Aussöhnung, das ganze Generationen erarbeitet haben, zerstört werden könnten. Gegen diese Gefahr will Steinmeier ein sorgfältig komponiertes Bild aus öffentlichen und vertraulichen Gesprächen, vorsichtiger und offener Kritik, diplomatischen und direkten Stellungnahmen setzen.

Steinmeiers Reise setzt ihren Schwerpunkt dezidiert auf die deutsch-israelischen Gegenwart und Zukunft, ohne die deutsche Verantwortung für Krieg und Holocaust an den Rand zu drängen. Mit seiner Frau besuchte er die Gräber der beiden Friedensnobelpreisträger Yitzak Rabin und Shimon Peres. Gemeinsam besuchen sie die zentrale Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Während Elke Büdenbender das Taschentuch an die Augen führte, ließ Steinmeier mit großem Ernst in der Halle der Erinnerung die ewige Flamme emporlodern.

Die Basis der Freundschaft

Leisetreten will Steinmeier als Präsident in Israel nicht, aber beim Treffen mit Benjamin Netanjahu über sich beide in Konzilianz. Zwar sind eigentlich keine Statements verabredet, aber da der Premier israelische Kameras eingeladen hat, erzwingt er doch noch welche. „Auf der Basis unserer Freundschaft denke ich, dass wir einige Stürme wie in den letzten beiden Wochen überstehen können und sollten», sagt Steinmeier. «Ich bin sicher, dass wir das können», antwortet Netanjahu.

Bei der Rede an der Hebräischen Universität, wo Steinmeier über Werte und Herausforderungen der Demokratie spricht, formuliert er seine Kritik und seine Sorgen deutlicher. Netanjahus Ausladung des deutschen Außenministers nennt er „nicht richtig“, die Siedlungspolitik völkerrechtswidrig und die Zweistaatenlösung eine zwingende Voraussetzung für die Zukunft der Demokratie in Israel. Einen Moment lang spielt er sogar öffentlich mit dem Gedanken, dass er die Reise auch hätte absagen können. „Aber es entspräche nicht meiner Verantwortung, die Beziehungen unserer beiden Staaten tiefer in eine Sackgasse geraten zu lassen, an deren Ende alle Seiten viel verloren hätten“. Tacheles wird zwischen Netanjahu und Steinmeier erst später und hinter verschlossener Tür gesprochen.