Frankfurter Buchmesse Das freie Wort im Zangengriff
Die Frankfurter Buchmesse ist ein Forum der Meinungsfreiheit. Doch die lässt sich trefflich missbrauchen, beobachtet Stefan Kister.
Die Frankfurter Buchmesse ist ein Forum der Meinungsfreiheit. Doch die lässt sich trefflich missbrauchen, beobachtet Stefan Kister.
So wie sich an Weihnachten sonst eher verwaiste Kirchen füllen, konvertieren vor einer Buchmesse alle zu Leseratten und Buchaktivisten. Wenn an diesem Dienstagabend in Frankfurt das weltweit größte Branchentreffen eröffnet wird, hat das etwas von einem säkularisierten Hochamt, bei dem in einfallsreichen Redenstafetten die Grundlagen einer friedlichen, offenen, aufgeklärten Gemeinschaft beschworen werden. In der Mitte, gewissermaßen der Krippe, liegt die Meinungsfreiheit. Nie allerdings ist sie einem so nackt und bloß erschienen wie in diesen Tagen.
Um im Bild zu bleiben: Jeder beansprucht sie für sich, wie die streitenden Mütter in Brechts kaukasischem Kreidekreis. Beim Blick in die USA steht nur allzu deutlich vor Augen, welche Seite im angeblichen Kampf für das freie Wort kaltblütig dessen Tod in Kauf zu nehmen bereit ist.
Doch auch ins hohe Lied der Toleranz, das bei jeder Buchmesse angestimmt wird, mischen sich regelmäßig Misstöne des Boykotts. Im Vorfeld haben Delegationsmitglieder des diesjährigen Gastlandes der Philippinen angekündigt, aus Protest gegen die deutsche Unterstützung für Israel fernbleiben zu wollen.
Ein Streitthema früherer Jahre war die Präsenz rechter Verlage. Diese haben am 9. November eine Gegenbuchmesse zu dem in ihren Augen politisierten, linkslastigen Frankfurter Forum angekündigt. Man könnte sich leichter darüber ereifern, wäre deren Initiatorin kürzlich nicht von einer öffentlichen Diskussionsrunde erst ein- und dann wieder ausgeladen worden. Damit spielt man den falschen Freunden der Freiheit in die Hände, die sie nur solange lautstark einfordern, bis sie ihre autoritären Träume realisiert haben.
Kultur müsse Ermöglichungsraum und nicht Verbotszone sein, beteuert der neue Kulturstaatssekretär Wolfram Weimer. Der Vorwurf linker Cancel-Culture gehört auch zu seinem Kulturkampfarsenal , was ihn freilich selbst nicht hindert, Missliebiges kurzerhand zu canceln. Man darf gespannt sein, wie man bei seinem Messeeinstand reagiert, wenn er die Bedeutung des Buchmarkts für das große Ganze preist, dem er gerade eine wichtige Ermöglichungsstimulanz in Form des Kulturpasses entzogen hat. Mit Sicherheit wird er anders als seine Vorgängerin nicht gendern. Seiner Behörde gilt diesbezüglich als Verbotszone.
Es ist nicht immer einfach zu bestimmen, wo die Grenzen des Tolerablen verlaufen. Aber wie das in Frankfurt einmal die Friedenspreisträgerin Aleida Assmann so schön formuliert hat: „Nicht jede Gegenstimme verdient Respekt. Sie verliert diesen Respekt, wenn sie darauf zielt, die Grundlagen für Meinungsvielfalt zu untergraben.“
Zu den Paradoxen gehört, dass die Branchenfeier ihre Relevanz vor dem sich verdüsternden politischen Horizont gewinnt, ihre wirtschaftlichen Hoffnungen aber im Moment auf den Weltfluchtangeboten ruhen, die das prosperierende Genre des New Adult eröffnet. Auf der anderen Seite stehen die Herausforderungen, denen sich die Vielfalt der Verlagslandschaft ausgesetzt sieht. Steigende Papier- und Produktionskosten machen vor allem den kleinen Häusern zu schaffen. Erstmals lag in diesem Jahr ein Verlag im Rennen um den Deutschen Buchpreis, der aus finanziellen Gründen seine Geschäfte einstellen muss.
Auch an dieser Stelle zeigt sich, wie die Wirklichkeit einholt, wovor in Debatten und Diskursen immer gewarnt wurde. Im Umkehrschluss heißt das, dass man gut daran tut, Debatten und Diskursen gut zuzuhören, um für die Werktage gewappnet zu sein, die auf Sonntagsreden folgen. Dafür aber gibt es keinen besseren Ort als eine Buchmesse.