Mit Indonesien präsentiert sich erstmals ein Gastland aus Südostasien. Der Auftritt ist von der Auseinandersetzung mit der eigenen grausamen Geschichte bestimmt, aber zugleich eine Einladung an alle Sinne. Impressionen aus Frankfurt.

Frankfurt - Der für das Literaturprogramm des Ehrengastes zuständige Verleger und Übersetzer John McGlynn sagt am Donnerstagnachmittag sichtlich mitgenommen, er sei einfach zu müde und könne deshalb überhaupt keinen klaren Gedanken mehr fassen. Es bleibt deshalb ungeklärt, ob er zufrieden ist mit der indonesischen Präsentation während der ersten beiden Tage der Frankfurter Buchmesse. Auf der Bühne im Indonesien-Pavillon wird gerade über Comics gesprochen. Die wenigen Zuhörer verlieren sich im Rund der Stuhlreihen, die Simultanübersetzung ist wahrscheinlich unnötig, denn es scheint ein fast ausschließlich indonesisches Publikum zuzuhören. Andere sind derweil auskunftsfreudiger als John McGlynn. Die bekannte indonesische Schriftstellerin Ayu Utami sagt voller Schwung: „Das ist ein sehr spezieller Augenblick. Ich bin stolz und glücklich.“

 

Mit Indonesien präsentiert sich das erste südostasiatische Land auf der Frankfurter Buchmesse. Der in Dämmerlicht getauchte, aber durchaus einladende Pavillon soll das Motto des Gastlandauftritts architektonisch widerspiegeln: „17 000 Inseln der Imagination“. Von der Decke hängen Papiersäulen, die mit Zitaten von indonesischen Autoren beschrieben sind; düstere Zeilen darunter: „When The Wind Rises, Remember That The Land We Dreamed / Was Filled With The Dead, So Many Dead.“ Die Worte des 1995 verstorbenen Schriftstellers Rivai Apin erinnern an die grausame jüngere Geschichte des Landes.

Autoren zwischen exotischen Gewürzen

Allerdings gibt es nur sieben Inseln und Wasser überhaupt nicht im Gastlandpavillon. Wer der Comic-Diskussion zuhört, ist auf der „Island of Scenes“ gestrandet. Am buntesten und lebhaftesten geht es indes auf der „Island of Spice“ zu. Auf den Tischen stehen Gläser und Schüsseln gefüllt mit allerlei duftenden exotischen Gewürzen, einige Kochbücher liegen herum. Dazwischen sitzt beinah unbemerkt die junge indonesische Schriftstellerin Okky Madasari. Ihr Roman „Gebunden – Die Stimmen der Trommel“ sollte eigentlich nebenan auf der „Island of Tales“ zu finden sein. Aber der kleine Bremer Sujet Verlag hat die deutsche Übersetzung nicht rechtzeitig herausgebracht, vorläufig gibt es deshalb neben dem Original nur eine englische Ausgabe. Die Enttäuschung lässt sich die tapfer lächelnde Madasari nicht anmerken. Was sie vor allem stört: sie kommt nicht ins Netz. „Gibt es hier denn kein Wi-Fi“, fragt sie sichtlich irritiert.

Mit der Frage muss sich Laksmi Pamuntjak nicht beschäftigen, sie hat auch gar keine Zeit dafür. Die attraktive Frau ist vermutlich die am meisten porträtierte indonesische Autorin auf der Messe. Mit dem Cover ihres Debüts „Alle Farben Rot“ und Fotos von Pamuntjak macht der Ullstein Verlag an seinem Stand großformatig Werbung. Die Schriftstellerin wird in Frankfurt wie eine Filmschauspielerin gefeiert. Vor ihrem Gespräch bei 3Sat soll sie Porträtkarten signieren. Sie runzelt zwar die gerade noch einmal schwarz nachgezogenen Augenbrauen, setzt dann aber schwungvoll den Namen über das eigene Gesicht. Beim Fernsehtermin sitzt sie dann ein wenig angespannt im Sessel und macht trotzdem eine gute Figur. Laksmi Pamuntjak ist schon seit Anfang September in Deutschland, sie war in Berlin, in Hamburg, die Messe ist nur eine weitere Station einer großen Lesereise. Ende Oktober geht sie als Stipendiatin nach Berlin.

Plattform für einen politischen Dialog

In ihrem Roman hat sie mit großer Deutlichkeit über die nach wie vor tabuisierten Massenmorde an Kommunisten in Indonesien vor 50 Jahren geschrieben. Beim Gespräch am „FAZ“-Stand erzählt sie davon, dass in Indonesien gerade radikale Islamisten auf die Straße gegangen sind und mit antikommunistischen Slogans gegen die Art der Präsentation ihres Landes in Frankfurt protestiert haben. Dem gesamten Organisationskomitee werfen die Demons-tranten vor, Werbung für den Kommunismus zu machen – der schlimmste Vorwurf überhaupt in Indonesien. Einschüchtern lässt sich Pamuntjak jedoch nicht: „Wir müssen zu dem stehen, was wir schreiben“, sagt sie – und bezieht damit Schriftstellerinnen wie Ayu Utami und Leila Chudori ausdrücklich mit ein.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen grausamen Geschichte bestimmt das Bild der indonesischen Literatur in Frankfurt. Die Indonesier selbst mögen das bedauern, weil es der thematischen Vielschichtigkeit der neueren Bücher nicht gerecht wird. Aber der aufklärerische Impetus der Romane, die eine dunkle Vergangenheit ausleuchten, deckt sich mit dem so deutlich wie kaum zuvor formulierten Anspruch der Buchmesse, sich nicht allein übers Geschäft definieren zu lassen, sondern Plattform für einen politischen Dialog zu sein.

Die Gourmet-Gallery wird am besten besucht

Nicht von ungefähr war der noch immer von der Fatwa des früheren iranischen Revolutionsführers Ajatollah Chomeini bedrohte Schriftsteller Salman Rushdie eingeladen. Zur Eröffnung der Messe hielt Rushdie eine große Rede für Meinungsfreiheit, ohne die jede andere Freiheit scheitern müsse: „Wir Menschen sind sprechende Tiere, wir erzählen. Und das macht uns aus.“ Der Buchmessenchef Juergen Boos beklagte, die Gegenentwürfe zum Status quo seien uns abhanden gekommen. Die Aufgabe der Literatur und „die besondere Kompetenz von Büchermenschen“ sieht er darin, Utopien zu erschaffen und zu verbreiten.

Für die Indonesier geht es indes auch darum, ihr Land und ihre Kultur überhaupt bekannter zu machen. Der Kulturminister des Landes Anies Baswedan sagte deshalb bei der Eröffnung der Messe: „Wir zeigen nicht nur unsere Bücher, sondern unsere gesamte Kultur. Die Präsentation ist ein Einladung, Indonesien zu probieren.“

Das kann man getrost wörtlich verstehen, und viele tun das offenbar auch. Umgeben von allerlei Bücherständen ist die sogenannte Gourmet-Gallery jedenfalls einer der am besten besuchten indonesisch geprägten Messeorte, zumindest dann, wenn die Spitzenköche des Landes auf einer zur Küche umfunktionierten Bühne Salz und Pfeffer in die Töpfe streuen und das Zischen der Butter auf dem heißen Pfannenboden kommentieren. Auf dem Frankfurter Römer sind derweil sogar original mobile Street Food Küchen aus Jakarta im Einsatz. Serviert wird das Nationalgericht Nasi Goreng. Zwischendurch waren die kleinen Fahrzeuge jedoch verschwunden: Den erprobten Schnellköchen wurde es einfach zu kalt.