Beim Gang durch die weltgrößte Buchmesse kommt man der Zukunft so nahe wie dem Ewiggestrigen. Ein Besuch in Frankfurt.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Auf den ersten Satz kommt es an. Er muss sitzen. Acht französische Autorinnen und Autoren sitzen auf der Bühne vor dem Bretter- und Regalverschlag, in dem sich das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse verhaust hat. „Incipit“ – es beginnt – ist die Runde überschrieben, diskutiert wird die Bedeutung von Romananfängen für das entstehende Werk. Für Gila Lustiger sind die ersten Worte wie ein Windstoß, der sie über hundert Seiten fortragen kann. Ihr Kollege Jérôme Ferrari dagegen hat für seinen Roman „Ein Gott ein Tier“ acht Monate auf eine solche Brise warten müssen. Seine gewaltige Meditation über das Grauen der Welt beginnt mit den Worten: „Gewiss, die Dinge enden schlecht.“ Kurzen Prozess macht Leila Slimani in ihrem aufrüttelnden Nanny-Schauerstück „Nun schlaf auch du“: „Le bébé est mort“ – das Baby ist tot.

 

Die Messe lebt. So sehr, dass man im Gedränge zwischen den 7000 Ausstellern von mancher Veranstaltung, Lesung oder Präsentation nur noch die letzten Sätze mitbekommt: den des Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar etwa, der in eine Zukunft blickt, in der man sich einmal seine künstlichen Organe auf einem 3-D-Drucker ausdrucken wird. Man bewegt sich in Frankfurt zwischen Alpha und Omega, dem Anfang und dem Ende der Druckkunst. Im französischen Pavillon steht ein Nachbau der Gutenbergpresse, auf der die eingeladenen Autoren die Verfertigung der letzten Seite ihrer Bücher noch einmal im alten Stil zelebrieren. Fortgeschrittene Fertigungstechniken kann man in der Zukunftszone bestaunen, die jetzt Arts+ heißt.

Bücher waren gestern

Schwer zu sagen, was hier unter dem Bombast von Begriffen wie Plattform, Kreativität, Intellectual Property genau getrieben wird. Leute wie der Chef des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien (ZKM), Peter Weibel, und der neue Volksbühnen-Intendant Chris Dercon misten die Gegenstände aus, um die es bei der Messe für den harmlosen Besucher immer noch vorrangig geht. „Bücher, das haben wir hinter uns“, sagt der Medienpionier, während der Theatermann gestenreich neue Erfahrungsräume in die Luft malt, die irgendwo jenseits der klassischen Ordnung von Kunst, Bühne und Literatur liegen. Etwas entfernt sitzt stoisch ein Roboter und kratzt mit spitzem Stift zufallsgenerierte Phrasen aufs Papier, die sich auch nicht rätselhafter lesen als manche Äußerung aus der Kreativecke: „Es heißt, dass die Wahrheit Einfluss auf Komposition hätte.“

Buchmalereien gehören eher in die Frühzeit des Mediums. Einer ihrer späteren Ausläufer ist der Comic, dem das Gastland eine eigene Ausstellung gewidmet hat. Draußen im Freien wabert ein großer, aufblasbarer Asterix, in Kürze erscheint der 37. Band. Die Figur winkt verstört herein. Was am Wind liegen kann oder an dem Umstand, dass der gallischste aller Gallier in der Schau nicht vorkommt. Dafür arabische Franzosen, der Zeichner Riad Sattouf erzählt in „L’Arabe du futur“, wie er von Libyen über Syrien nach Frankreich kam.

Zur politischen Mission der Messe gehört der Einsatz für die Meinungsfreiheit. Erschütternde Auftritte des ehemaligen Chefredakteurs der Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, und der erst kürzlich aus der Haft entlassenen Schriftstellerin Asli Erdogan zeichnen ein trostloses Bild der Lage in der Türkei. Doch die Achtung der Meinungsfreiheit stellt in diesem Jahr auch die Messeveranstalter auf die Probe: Wie hält man es mit rechten Verlagen? Die Entscheidung, sie zuzulassen, solange sie nicht gegen geltendes Recht verstoßen, wurde heftig diskutiert. Mit der Folge, dass der Stand des neurechten Verlegers Götz Kubitschek zu den frequentiertesten auf dem ganzen Messegelände zählt.

Kaninchen und Schlange

„Gibt es Germanen?“ heißt einer der ausgestellten Titel. In Hollywood würde man sie sich wohl wie Kubitschek als in merkwürdigen Bullerbü-Look gewandete blonde Kinder vorstellen. Burleske Szenen spielen sich ab. Direkt gegenüber des Antaois-Verlags des Rittergutbewohners hat man als Bollwerk die sich gegen Rassismus engagierende Amadeu-Antonio-Stiftung postiert. Beide Seiten beäugen sich wie Kaninchen und Schlange. Trotz der Nähe tauschen sie sich mittels Flugblättern aus.

Kubitschek ist obenauf. Die Demonstration, mit der eine gut gemeinte, aber reichlich linkische Delegation des Börsenvereins und des Frankfurter Oberbürgermeisters mit selbst gebastelten Plakaten gegen seine Anwesenheit protestiert, geben ihm die willkommene Gelegenheit, sich als verfolgtes Opfer einer wütenden Meinungsmehrheit zu gerieren. Seine Kinder spielen derweil Weiße Rose und haben kurzerhand die von der Anne-Frank-Stiftung ausgegebenen Buttons mit der Aufschrift „Mut mutiger Mund auf“ für sich gekapert. Absurder geht es kaum.

Einer, der weiß, was hier gespielt wird, ist der Schriftsteller Per Leo, Autor des Buchs „Mit Rechten reden“. Am Stand von Klett-Cotta erklärt er gerade, wie linker Moralismus und rechte Provokationen in dem von ihm so genannten „Arschloch-Opfer-Spiel“ zusammenwirken. „Man muss den Umgang normalisieren“, sagt Per Leo, „dann zeigt sich die Dürftigkeit der Ideen von alleine.“ Da biegt Götz Kubitschek ums Eck. Beide verabreden sich zu einer Tasse Kaffee. Enger lässt sich die Relation zwischen Literatur und Leben kaum fassen.