Der bereits als kommender Staatspräsident gehandelte 62-jährige Dominique Strauss-Kahn ist politisch und menschlich am Ende.

Paris - Gestürzt ist er schon lange. Aber dann und wann hatte er sich noch an einen Felsvorsprung klammern können, bis dieser eben nachgab, bröckelte, brach. Doch jetzt ist kein Halten mehr. Dominique Strauss-Kahn, vor gut sechs Monaten noch gefeierter Chef des Internationalen Währungsfonds, Hoffnungsträger der Sozialisten, Favorit im Präsidentschaftsrennen, befindet sich im freien Fall. Als offensichtlich sexsüchtiger Kunde eines nordfranzösischen Zuhälterrings bloßgestellt, geht es nur noch bergab.

 

Der 62-Jährige scheint es zu wissen. Sein Äußeres, seine Haltung signalisieren: ich habe resigniert. Paparazzi haben ihn mit hängenden Schultern abgelichtet, eingefallenen Wangen, wirr wucherndem Bart. Immer neue SMS dringen an die Öffentlichkeit, die Strauss-Kahn verfasst haben soll, um in Paris, Wien oder Washington auf freizügigen Partys Callgirls um sich zu wissen. "Geht es, ein Fräulein mitzubringen?", schrieb er aus Wien. "Sind im Gefolge der Delegation auch Freundinnen?", wollte er in Washington wissen. "Mit Sylvie ist es kompliziert, Jade, Catherine kommen gewiss", lautete die Antwort.

Die letzten Getreuen gehen auf Distanz. Dass Strauss-Kahn als angeblicher Vergewaltiger des Zimmermädchens Nafissatou Diallo in New York unter Hausarrest stand, hatten sie hingenommen, die von der französischen Schriftstellerin Tristane Banon erstattete Strafanzeige wegen versuchter Vergewaltigung ebenfalls. Aber jetzt wollen sie "mit ihm nicht mehr unbedingt gemeinsam in Urlaub fahren", wie es Gérard Collomb, Lyons Bürgermeister, formuliert.

Sexuelle Nötigung ist verjährt

Der "Figaro" kolportiert, DSK, wie die Franzosen den früheren Wirtschaftsminister nennen, genieße nicht einmal mehr den Rückhalt der ihm bisher in Nibelungentreue verbundenen Gattin Anne Sinclair. "Das Wort Scheidung ist nicht mehr tabu", meldet der "Parisien". Die beiden sind daraufhin zwar in Paris demonstrativ zusammen essen gegangen. Auch haben Strauss-Kahns Anwälte Klage wegen Verletzung der Privatsphäre erhoben. Aber auch sie ahnen, dass die Geschichte ihres Mandanten einer griechischen Tragödie gleich unaufhaltsam einem tragischen Ende entgegenstrebt. Henri Leclerc, einer der Anwälte, beklagt, dass man "dem am Boden Liegenden den Todesstoß versetzt".

Zuvor war immer wieder Hoffnung aufgekommen. Im August hatte die New Yorker Staatsanwaltschaft die strafrechtlichen Ermittlungen eingestellt. Strauss-Kahn kehrte in die Heimat zurück. Als Präsidentschaftskandidat war er zwar verbrannt, aber Ämter wie das eines Wirtschaftsberaters einer sozialistischen Regierung schienen noch in Reichweite. Im Oktober war auch das in Frankreich eingeleitete Verfahren vom Tisch. Strauss-Kahn habe Tristane Banon 2003 zwar sexuell genötigt, dies sei wegen Ablaufs der dreijährigen Verjährungsfrist aber nicht mehr zu ahnden, verkündete die Staatsanwaltschaft.

Die Freude darüber sollte nicht von langer Dauer sein. In Lille war der Zuhälterring von "Dodo, dem Salzhering" aufgeflogen. Zwei Polizeioffiziere und zwei Unternehmer sollen belgische und französische Callgirls vermittelt haben. Wieder geriet DSK ins Fadenkreuz der Justiz, als Freund eines der mutmaßlichen Drahtzieher, als Stammkunde der Edelprostituierten.

War Strauss-Kahn bestechlich?

So sehr im Nachhinein schaudern lässt, dass ein derart seinen Trieben ausgelieferter Mann jahrelang einer Weltorganisation den Weg gewiesen hat: strafrechtlich sind die in Frankreich feinsinnig "Parties fines" genannten freizügigen Partys mit Callgirls nicht von Bedeutung. Wer die Dienste von Prostituierten in Anspruch nimmt, ist nach französischem Recht nicht zu belangen.

Wenn sich die Staatsanwaltschaft für DSK interessiert, dann weil er im Verdacht der Beihilfe zur Zuhälterei und der Bestechlichkeit steht. Firmen, die sich öffentlicher Aufträge erfreuen, sollen die Dienste der Callgirls bezahlt haben. Was haben die Unternehmen im Gegenzug erhalten? Was haben sie sich von dem als künftigen Staatschef gehandelten Politiker zumindest erhofft? Das ist es, was die Strafverfolger zurzeit umtreibt.

Bleibt die Frage, wie der Hochbegabte, Hochgelobte so tief fallen konnte. Hat der beim IWF als Visionär gefeierte Mann nicht vorausgesehen, dass er als Kunde eines Callgirlrings angreifbar, erpressbar war, dass er als Präsidentschaftskandidat auf einem Pulverfass sitzen würde? Die Antwort steht noch aus. Aber die Tragödie DSK ist ja auch noch nicht zu Ende.