Zum Ende des Ersten Weltkriegs inszeniert Frankreichs Präsident mit Kalkül ein massives Gedenkprogramm . Das gemeinsame Erinnern könnte seine Umfragewerte vielleicht verbessern.

Paris - In den Beliebtheitsumfragen tief gestürzt, greift Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron zum alten Erfolgsrezept. Er setzt sich von seinen Amtsvorgängern ab. Er bricht mit Überkommenen. Er kleckert nicht. Er klotzt. Die Gelegenheit hierzu bietet das sich zum hundertsten Mal jährende Ende des Ersten Weltkriegs. Am 11. November ist es soweit. Doch solange gedenkt der Präsident nicht zu warten.

 

Die Woche zuvor schon will er an das sinnlose Morden erinnern, dem knapp 20 Millionen Menschen zum Opfer fielen und an jenem Novembertag mit der Unterzeichnung eines Waffenstillstands im nordfranzösischen Compiègne endete. An diesem Sonntag bricht Macron zu einer siebentägigen Reise durchs ehemalige Kriegsgebiet auf. Auftakt der durch den Osten und Norden Frankreichs führenden Tour ist Straßburg. Zusammen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird Macron dort am Sonntagabend einem Friedenskonzert beiwohnen, den Klängen Debussys und Beethovens lauschen.

Auch das Kabinett muss ihm in die Provinz folgen

Es folgt Martialisches. Ehemalige Schlachtfelder, Gedenkstätten und Massenfriedhöfe will der Staatschef aufsuchen. Das Gebeinhaus von Douaumont zählt dazu, wo die Überreste von 130 000 nicht identifizierten Deutschen und Franzosen ruhen. Jene von der Sinnlosigkeit des Krieges und der Kostbarkeit des Friedens kündende Gedenkstätte ist das, an der sich Helmut Kohl und Francois Mitterrand 1984 die Hand zur Versöhnung reichten. Aber auch Compiègne steht auf der Agenda, wo Kanzlerin Angela Merkel am Samstag hinzustoßen, des Waffenstillstands gedenken und einen Kranz niederlegen will. Station macht der Präsident dazuhin an Orten, die weniger vom Krieg als vom Niedergang des Kohlebergbaus und dem Abzug der Industrie ins Elend gestürzt wurden. Nicht einmal zum allwöchentlich am Mittwoch fälligen Ministerrat kehrt Macron in den Elysée-Palast zurück. Er bittet das Kabinett in die Ardennenstadt Charleville-Mézières.

Der Tour durch die Provinz folgt der Auftritt auf der Weltenbühne. Am 11. November, dem Jahrestag des Waffenstillstands, wird Macron vor dem Pariser Triumphbogen zu 84 Staats- und Regierungschefs sprechen, darunter US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin. Es folgt das „Pariser Friedensforum“, auf dem die Geladenen dem Weltfrieden förderliche Initiativen verabschieden sollen. Eröffnen wird es die Bundeskanzlerin. Die Inszenierung ist wohldurchdacht. Der laut Umfragen auf 25 bis 29 Prozent Zustimmung zurückgefallene Staatschef appeliert an den Nationalstolz seiner Landsleute, die ihm als Zeremonienmeister die Gefolgschaft schwerlich verweigern können. La Grande Guerre, wie die Franzosen den siegreich beendeten Ersten Weltkrieg nennen, zählt zu den bis heute nationale Identität stiftenden Ereignissen französischer Geschichte. Zum anderen praktiziert der als volksfern kritisierte Präsident mit seiner Tour Volksnähe. Abstecher in vom Niedergang gezeichnete Orte sollen den Franzosen signalisieren, dass dem auch als Präsident der Reichen und Städter kritisierten Politiker das Schicksal der Armen auf dem Lande am Herzen liegt.

Marine le Pen ist immer noch seine stärkste Rivalin

Nicht zuletzt ergreift Macron die Chance, vor den Europawahlen die verhängnisvollen Folgen nationaler Alleingänge herauszustreichen, wie sie die Rechtspopulistin Marine le Pen propagiert. Obwohl geschwächt, ist sie laut Umfragen Macrons mächtigste Rivalin. In einem Interview in der Zeitung „Ouest France“ hat der Staatschef verkündet, was er in den nächsten Tagen zur Sprache bringen will: Zerrissen von Ängsten, nationalistischem Rückzug und den Folgen der Wirtschaftskrise bilde sich in Europa geradezu systematisch wieder heraus, was das Leben dort in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Krise 1929 geprägt habe, hat Macron gesagt. Es gelte klaren Kopf zu bewahren, Widerstand zu leisten, die Demokratie zu stärken, Europa zu festigen. Um Kräfte zu sammeln vor dem dichten Terminreigen hat sich Macron am vergangenen Mittwoch unvermittelt abgesetzt ins normannische Honfleur – und sich ein paar Tage Erholung verordnet.