Franzosen schätzen den Austausch in angenehmer Atmosphäre - Statt auf Teamarbeit vertraut man auf die Autorität des Chefs

Stuttgart - Wer sich in der Arbeitswelt der genuss- und kulturverliebten Franzosen verwirklichen möchte, sollte weder auf den Kopf noch den Mund gefallen sein - und auch ein bisschen Charme mitbringen. Niemand sitzt dort den lieben langen Tag vorm Rechner. Und doch wird reichlich, oft bis in den frühen Abend, gearbeitet. Nur eben ein bisschen kommunikativer. Mittags geht man zusammen essen, das ist quasi Pflicht. "Machen Sie nicht die Joghurtpause", rät Sylvia Müller-Wolff, die Eures-Beraterin und Frankreich-Expertin bei der Agentur für Arbeit in Karlsruhe. Denn alles, was man über die Firma wissen muss, erfährt man beim gemeinsamen Restaurantbesuch.

Der lockere Austausch macht das Büroleben angenehm, er ist den Franzosen heilig. Wem es gelingt, seine Persönlichkeit ein bisschen in Szene zu setzen, der wirkt viel eher sympathisch und kommt ergo auch fachlich besser an. Schon im Auswahlgespräch wird erwartet, dass man sich auch als Mensch öffnet. "In Deutschland steht bei Bewerbungsgesprächen Kompetenz im Vordergrund", sagt Alexandra Seidel-Lauer, die die Kommunikationsabteilung der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer in Paris leitet. "In Frankreich muss man damit rechnen, dass man auch nach privaten Interessen oder gar nach der Familiensituation gefragt wird. Man sollte sich dann offen zeigen und nicht denken: 'Das geht die doch nichts an!' Für die Franzosen spielt die Beziehungsebene eine sehr große Rolle."

 

Flexibel, freundlich und einfallsreich, das sind Eigenschaften, die im französischen Arbeitsalltag weiterhelfen. Meetings verlaufen deutlich impulsiver und funktionieren anders. Während Deutsche sich auf eine Besprechung gut vorbereiten, eine Tagesordnung ausarbeiten und Entscheidungen treffen möchten, treffen sich Franzosen eher zu einem Gedankenaustausch, weiß Seidel-Lauer: "Tagesordnungen werden verändert oder ignoriert, Zeitplanungen bei Meetings über Bord geworfen. Entscheidungen werden kaum getroffen." Das irritiert. Doch den Franzosen kommt es vor allem darauf an, die anstehenden Aufgaben gemeinsam anzugehen. Sie nennen das "monter ensemble en projet": ein Projekt gemeinsam erklettern. Der eigentliche Teil einer Besprechung findet meist vorher oder nachher statt.

Eine Besprechung gilt eher als Gedankenaustausch

Letztlich wird einem der Vorgesetzte sagen, wie was zu laufen hat. Denn in Frankreich haben Konsensentscheidungen und Kompromisse einen negativen Beigeschmack. Franzosen vertrauen gern auf ihre Führung. "Anders als in Deutschland, wo Teamarbeit immer größer geschrieben wird, wird in Frankreich erwartet, dass der Chef seine Autorität einsetzt, Problemlösungen vorgibt, Entscheidungen trifft und die Strategie vorgibt", erklärt Seidel-Lauer. Auch bei Absprachen und der Informationskultur gibt es Überraschungen. Deutsche sagen generell direkt heraus, was sie denken, und geben es bei Bedarf auch schriftlich. Nicht so in Frankreich. Hier drückt man sich eher indirekt aus, ertastet ein Thema in Zirkeln, erfasst die gesamte Dimension eines Sachverhalts - was Deutsche schnell als Abschweifen abqualifizieren.

Ebenso kann man nicht erwarten, dass einem alle wichtigen Informationen zugetragen werden. "Franzosen sehen Informationen als Holschuld an, man geht Informationen fischen: ,à la pêche aux informations' heißt das", erläutert Seidel-Lauer. "Dies geschieht oft auf informellem Weg: Deshalb sind Chefs und Mitarbeiter manchmal häufiger im Flur, an der Kaffeemaschine und am Kopierer zu treffen als im Büro."

Mit Abstand die meisten Jobs gibt es in Paris

Dennoch hätten Deutsche auf dem französischen Arbeitsmarkt grundsätzlich gute Karten, denn man schätze die Zuverlässigkeit und Qualität ihrer Arbeit. "Wir sehen das auch oft bei unseren Praktikanten, die fast alle unterkommen. Allerdings sollte man auf jeden Fall die französische Sprache einigermaßen beherrschen, ansonsten findet man ganz sicher keinen Job." Ähnlich sieht es Eures-Beraterin Müller-Wolff: "Ja, die Deutschen haben einen ganz guten Ruf, auch wegen ihrer Sprachkenntnisse. Denn wer Französisch spricht, kann in der Regel auch Englisch."

Seit Jahren sind Deutschland und Frankreich die wichtigsten Industriepartner füreinander. Das Handelsvolumen der beiden Länder betrug im Jahr 2007 fast 160 Milliarden Euro. Ein Sechstel aller Importe kommt aus Deutschland, ein knappes Sechstel aller Exporte geht nach Deutschland. Insofern lohnt es sich natürlich, sich in Frankreich zu bewerben, wenngleich die Arbeitslosigkeit für 2009 mit 8,1 Prozent prognostiziert wird. Gesucht werden wie fast überall in Europa Ingenieure aller Art, auch Wirtschaftsingenieure, Diplominformatiker und Ärzte. "Unklar ist die Situation im Finanzwesen", sagt Müller-Wolff von der Arbeitsagentur in Karlsruhe. "Hier hat die Finanzkrise auf die Stimmung gedrückt. Tatsache aber ist, dass in Frankreich in den nächsten fünf Jahren ein Drittel der Banken-Mitarbeiter in Pension geht."

Auch deutsche Unternehmen sind äußerst aktiv in Frankreich. Allein Siemens hat dort 12.000 Mitarbeiter und unterhält 20 Regionalbüros. Mit Abstand die meisten Jobs gibt es in Paris, der Wirtschaftsmetropole des Landes schlechthin. "Die Region um Paris ist ein gewaltiger wirtschaftlicher Ballungsraum, Hauptsitz nahezu aller wichtigen Konzerne und Banken, Verbände und Institutionen", sagt Karl-Heinz Dahm, Frankreich-Experte bei der Bundesagentur für Außenwirtschaft in Köln. Hier lebt ein Fünftel der französischen Bevölkerung. Doch das Leben ist nicht ganz günstig. "Nimmt man den Vergleich Köln zu Paris, so ist Paris um 15 bis 20 Prozent teurer", so Dahm. "Billig sind nur der Kaffee im Stehen und die Metro, beides kostet 1,20 Euro."

Von Nachteil für Berufseinsteiger ist es auch, dass man in Frankreich keine Wohngemeinschaften kennt. So zahlt man für eine 50-Quadratmeter-Wohnung im ersten bis achten Arrondissement gut und gerne 1500 Euro. Geht man etwas weiter raus bis zum 20. Arrondissement, sind es immer noch um die 900 Euro. Neben Paris haben auch die Großräume um Marseille, Lille und Lyon wirtschaftliche Bedeutung und immerhin jeweils noch mehr als eine Million Einwohner.

Viele Unternehmen der New Economy etwa haben ihren Standort von Paris in die Hafenstadt Marseille am sonnigen Mittelmeer verlegt. Und dank des Schnellzuges TGV ist Marseille vom fast 800 Kilometer entfernten Paris nur drei Stunden entfernt. Rund um Lille an der belgischen Grenze befinden sich zahlreiche Werke der französischen Automobilindustrie. Lyon wiederum, die Hauptstadt der Region Rhône-Alpes, ist Sitz von Interpol und der französischen Großbank Crédit Lyonnais. Im Süden ist Toulouse durch die Ansiedlung der Airbus-Werke zu wirtschaftlicher Prominenz gelangt.

Ansonsten gibt es im schönen Frankreich viel Provinz, dünn besiedeltes, bäuerliches Land voller kultureller Spuren. Frankreich ist eben auch der größte Agrarstaat innerhalb der EU und weltweit der zweitgrößte Lebensmittelexporteur.

Vieles geht leichter, wenn man jemanden kennt

Vieles geht schneller, leichter und unbürokratischer, wenn man jemanden kennt. "Beim Jobeinstieg", betont Sylvia Müller-Wolff, "sind neben den Ausschreibungen in Internetbörsen insbesondere persönliche Kontakte von nicht zu unterschätzendem Vorteil." Wird in Deutschland etwa jede vierte Stelle mit Hilfe persönlicher Kontakte besetzt, so ist es in Frankreich jede dritte. Man sollte deshalb immer auch Spontanbewerbungen wagen.

Nicht ganz leicht ist es, anders als in Deutschland, sich eigene Kontakte durch ein Praktikum aufzubauen. Denn sobald ein Mitarbeiter eingestellt wird - und sei es auch nur für ein ,stage', ein Praktikum - muss der in Frankreich geltende gesetzliche Mindestlohn von derzeit rund 9 Euro brutto bezahlt werden.

"Diese Bedingung fällt nur weg, wenn das Praktikum im Rahmen eines Austauschprogramms oder einer Weiterbildung gemacht wird", sagt Arbeitsberaterin Müller-Wolff. "Dann braucht man aber eine schriftliche Bestätigung der entsprechenden Institution." Man sollte daher die vielfältigen Partnerschaften und institutionalisierten Verbindungen zwischen den Nachbarländern nutzen, dann lässt sich auch diese Hürde bewältigen.

Informationen zu Arbeitsmarkt und Praktika bietet die Deutsch-Französische Handelskammer: www.francoallemand.comFranzösische Industrie- und Handelskammer in Deutschland: www.ccfa.deDeutsch-französisches Wirtschaftsportal: www.frankreich-business.deKarrieremesse für Absolventen: www.dff-ffa.org