Die Zeiten sind hart, und jetzt soll den Franzosen auch noch die Bastion des traditionellen Familienbilds genommen werden. Die Regierung will nämlich den Gleichstellungsgedanken in allen Institutionen verankern. Dagegen regt sich allerdings Protest.

Paris - Sie ist die Jüngste im Ministerrat. Aber keiner der Kollegen nennt sie mehr Kabinettsküken. Najat Vallaud-Belkacem übt das politische Handwerk inzwischen souveräner aus als so mancher Altvordere. Seit Mai 2012 ist sie Regierungssprecherin. Mit der gleichen Entschlossenheit, mit der sich die in einem Mietskasernensilo Amiens aufgewachsene Tochter marokkanischer Einwanderer an der Pariser Elitehochschule Science Po durchsetzte, behauptet sie sich nun auch im Regierungspalast.

 

Ohne mit der Wimper zu zucken, verkauft sie den Schlingerkurs einer zwischen sozialistischem Ideal und marktwirtschaftlicher Realität umherirrenden Regierung als klare Linie, die Konflikte im linken Lager als Konsens. Und auch in diesem für sie so bitteren Augenblick wahrt die 36-Jährige die Form. Allein der etwas schneller sprudelnde Sprachfluss verrät, dass es im Innern brodelt.

In ihrem zweiten Amt ist Vallaud-Belkacem diesmal gefordert, als Ministerin für Frauenrechte. Das neue Familiengesetz, das im April in den Ministerrat eingebracht werden sollte, sei keineswegs vom Tisch, versichert die Sozialistin. Der Termin sei lediglich verschoben worden, auf 2015. Das gesetzliche Statut für Stiefvater oder Stiefmutter, die Verkürzung der

Najat Vallaud-Belkacem kämpft für die Reform. Foto: EPA
dreijährigen Elternzeit um sechs Monate, sollte nur die Mutter und nicht auch der Vater beruflich pausieren: All dies werde kommen, nur eben ein Jahr später. Nicht einmal die Vollblutpolitikerin Vallaud-Belkacem kann indes den Eindruck verwischen, dass die Neuerungen, zu denen nach dem Wunsch sozialistischer Abgeordneter auch ein Recht lesbischer Paare auf künstliche Befruchtung gehören sollte, auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wurden.

Beeindruckt von Massenprotesten gegen die von Vallaud-Belkacem und Familienministerin Dominique Bertinotti vorangetriebenen Reformen, hat Premier Jean-Marc Ayrault die Vorkämpferinnen zurückgepfiffen. Die „Demo für alle“ war am Sonntag wieder aufgelebt, mit der die Franzosen im Frühjahr zu Hunderttausenden gegen Ehe und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare protestiert hatten. Als im Mai beides Wirklichkeit geworden war, ebbte der Protest ab. Beflügelt vom Erfolg, legte die Ministerin für Frauenrechte nach. Sie trieb mit der Strafandrohung für Freier den Kampf gegen Prostitution voran, setzte sich erfolgreich für ein in erster Lesung bereits gebilligtes „Gesetz zur Gleichheit von Frauen und Männern“ ein.

  Frankreichs liberales Abtreibungsrecht dürfte damit noch liberaler werden. Die „Notlage“ der Frau, bisher gesetzliche Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs, muss künftig nicht mehr glaubhaft gemacht werden. In der Grundschule sind Workshops über geschlechtsspezifisches Rollenverhalten geplant. Sportverbände haben ihre Spitzengremien künftig weitgehend paritätisch zu besetzen, Journalistenschulen Unterricht über unlautere sexistische Wortwahl auf den Lehrplan zu setzen.

Der Protest gegen die Regierung war unterwartet stark. Foto: EPA

Zwanzig Monate lang bahnte Vallaud-Belkacem dem gesellschaftlichen Fortschritt den Weg. Bis nun eben der Widerstand in aller Heftigkeit von Neuem losbrach. In Paris wogte ein Menschenmeer durch die Straßen. „Wir sind noch immer da“, schallte es aus mehr als hunderttausend Kehlen. Die alten Fähnchen, auf denen in Zeiten von immer mehr Patchwork-Familien und Alleinerziehenden Mama, Papa und zwei Kinder prangen,  leuchteten rosa und himmelblau in der Wintersonne. Alles, was Vallaud-Belkacem und Bertinotti errichtet hatten, schien die Masse zerstören zu wollen, alles – und manches mehr, was allein in den Köpfen der Entrüsteten existiert.  Gegen angebliche Pläne, Schuljungen zur Aufklärung über geschlechtsspezifisches Verhalten in Mädchenkleider zu stecken oder gar das Masturbieren zu lehren, richtete sich der Protest. Sogar die Leihmutterschaft, der die Regierung schon eine klare Absage erteilt hat, wurde angeprangert.

Als Aufmarsch wirklichkeitsfremder Fantasten, die „Scheingefechte führen“, hat die Frauenrechtsministerin den Protest erlebt. Auf einen Teil der Reformgegner mag das zutreffen, aber eben nur auf einen Teil. Der 40-jährige Ingenieur  Matthieu Ferry ist kein realitätsferner Fantast. Zu den politisch interessierten, aber bis zum Aufkommen der „Demos für alle“ politisch nicht engagierten Bürgern zählt er, die bereits im Frühjahr 2013 das Gros der Demonstranten gestellt haben. Der Vater eines 14-monatigen Adoptivsohns hat am vergangenen Sonntag die Steppjacke übergestreift und ist auf die Straße gegangen, weil er sich in seinem Selbstverständnis bedroht sieht.

„Ich akzeptiere alle Formen des Zusammenlebens, gleichgeschlechtliche, heterosexuelle oder auch transsexuelle Partnerschaften“, sagt er. Aber er erwarte von Politikern dieselbe Toleranz, dieselbe Zurückhaltung. Leider versuchten die Sozialisten, dem Land mit missionarischem Eifer ein bestimmtes, als fortschrittlich gepriesenes Familienbild überzustülpen, in dem er sich nicht wiederfinde.  So kann Ferry keinen Fortschritt darin erkennen, dass der Schwangerschaftsabbruch keinerlei Einschränkungen mehr unterliegen, keine Abwägung mehr stattfinden soll zwischen den Rechten Ungeborener und denen der Schwangeren, die eine seelische Notlage künftig nicht einmal mehr formal ins Feld zu führen hat. Und das sind nicht die einzigen Bedenken des Mannes.

Hinzu kommen Zweifel, ob die von der Gleichberechtigung homo- und heterosexueller Paare beseelte Regierung auch das Interesse des Kindes angemessen gewichtet. „Sollte ein Kind, das bei zwei lesbischen Müttern aufwächst, nicht zumindest erfahren dürfen, wer sein leiblicher Vater ist?“, lautet eine Ferrys Meinung nach kaum gestellte, weil politisch nicht korrekte Frage. „Und wieso will der Gesetzgeber meiner Frau und mir künftig vorschreiben, wie wir die Elternzeit aufzuteilen haben?“

Schon die Homoehe ist im Land auf Widerstand gestoßen. Foto: AFP POOL

Ungeachtet persönlicher Vorbehalte hält der aus Avignon stammende Franzose die Reformpläne auch politisch für falsch. In Zeiten, da das von wirtschaftlichem Niedergang und politischem Bedeutungsverlust gezeichnete Land eine Identitätskrise durchlebe, solle man nicht auch noch an den Fundamenten gesellschaftlichen Zusammenlebens rütteln, findet Ferry.

Worte sind das, wie sie ähnlich auch aus dem Mund Ludovine de la Rochères zu vernehmen waren, der Anführerin der „Demos für alle“. Man werde nicht zulassen, dass Frankreich zu einem Umerziehungslager verkomme, hatte sie gesagt.

Anne Hidalgo nimmt zwar nicht die Argumente, wohl aber die Reformgegner „äußerst ernst“. Die aufstrebende Sozialistin, die laut Umfragen beste Chancen hat, bei den Kommunalwahlen im März zur neuen Pariser Bürgermeisterin gekürt zu werden, sieht „dunkle Mächte  am Werk, die in Frankreich das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen“.

Sie sei von ihrer Regierung extrem enttäuscht, gesteht die 54-Jährige, sie verstehe nicht, wieso man kurz vor dem Ziel eingeknickt sei. Die Enttäuschung ist verständlich. Wenigstens auf dem Feld der Familienpolitik schien Hollande sozialistisches Profil zeigen zu wollen. Angesichts steigender Arbeitslosigkeit war der Staatschef Anfang des Jahres auf sozialliberalen Kurs eingeschwenkt, hatte einer unternehmerfreundlicheren Politik das Wort geredet. Um verärgerte Stammwähler zurückzugewinnen und ein Debakel bei den Kommunal- und Europawahlen zu vermeiden, schien der Präsident die Gesellschaftspolitik der Regierung in den Blickpunkt rücken zu wollen.

Doch was als rettender Schachzug gedacht war, hat sich als ein Spiel mit dem Feuer erwiesen. Zumal da ja auch noch blinder Furor wütet. Rechtsradikale versuchen, sich der bürgerlichen Protestbewegung zu bemächtigen. Ende Januar hatten sie zu einem „Tag des Zorns“ aufgerufen. Kapuzen auf dem kahlen Schädel, Militärrucksäcke auf dem Rücken, zogen rund 20 000 Demonstranten durch Paris, schmähten Juden, Muslime oder Freimaurer, hinterließen eine Schneise der Zerstörung. Da sei nur noch Zorn gewesen, keine Hoffen mehr, kein Bemühen um Verständnis, schrieb der Essayist Jean Birnbaum. Und der Historiker Max Gallo deutete den Aufmarsch als „Zeichen einer tiefen Krise der französischen Gesellschaft“. Hollande hat getan, was er meistens tut, wenn Hindernisse auftauchen. Er ist zurückgerudert. 2015, wenn keine neuen Wahlen anstehen, soll es zur Wiedervorlage kommen. Ein paar sozialistische Abgeordnete wollen nicht so lange warten. Sie planen, die Familienrechtsnovelle auseinanderzunehmen und Einzelteile im Mai ins Parlament einzubringen. Der gesellschaftliche Frieden, den Hollande bei Amtsantritt versprochen hat, scheint ferner denn je.