Der reformfreudige französische Präsident Macron gewinnt die EU-Parlamentarier mit einem feurigen Bekenntnis zu Europa. Auf Kritik allerdings reagiert er dünnhäutig.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Das Europaparlament ist kein Schauplatz mitreißender Debatten. Meist lesen die Redner ihren Beitrag vom Blatt ab. Die Politiker wissen, dass ihre Sätze simultan übersetzt werden müssen und dass dabei jeder Wortwitz verloren geht. Daher sind die Zuschauerränge in der Straßburger Volksvertretung meist spärlich besetzt. An diesem Tag ist das anders. Schon eine halbe Stunde vor dem angekündigten Rede-Auftritt des französischen Präsidenten ist auf der Pressetribüne kein Platz mehr frei. Auch die Reihen der Parlamentarier sind geschlossen. Alle wollen Emmanuel Macron erleben, sein Pathos, das Charisma des Proeuropäers.

 

Doch Macron lässt die Zuhörer warten. 25 Minuten zu spät legt er los. Seine ehrgeizigen Ideen für einen Neustart der EU hat er bereits zwei Tage nach der deutschen Bundestagswahl bei seiner Rede an der Pariser Universität Sorbonne vorgelegt. Acht Monate ist dies nun her. Acht Monate, in denen sich in Frankreich und in Europa erste Ernüchterung in die Begeisterung für diesen Präsidenten gemischt hat.

Flammendes Bekenntnis zur Demokratie

Vor dem Europaparlament verzichtet Macron darauf, ein weiteres Feuerwerk der Reformideen zu entzünden. Seine Vorschläge zur Vertiefung liegen auf dem Tisch und haben in Berlin keine große Begeisterung entfacht. Eine regelrechte Abfuhr erfährt er in diesen Tagen in den Reihen der Unionsfraktion im Bundestag. Da er zudem am Donnerstag nach Berlin fährt, um mit Angela Merkel die Vorschläge zur Reform der Eurozone zu diskutieren, will er sich öffentlich nicht noch einmal an Reformdetails abarbeiten. Macron geht es vielmehr darum, Tempo zu machen.

Macron hat zwei Botschaften für die Proeuropäer im Gepäck: Die erste ist – das passt zum Ort der Rede im Haus des europäischen Souveräns – ein flammendes Bekenntnis zur Demokratie. Im Hinblick auf die im Mai kommenden Jahres anstehenden Europawahlen erteilt er populistischer Politik eine eindeutige Absage. Ohne Ungarn und Viktor Orbán namentlich zu nennen, der gerade mit seinem Kurs gegen Zuwanderung einen großen Wahlsieg eingefahren hat, greift er ihn doch unmissverständlich an. Das Autoritäre, so Macron, wachse jeden Tag. Und jeder weiß, wer gemeint ist, als er sagte: „Die Antwort auf unsere Probleme ist nicht eine autoritäre Demokratie, sondern die Autorität durch Demokratie.“ Und weiter: „Die Rückkehr des nationalen Egoismus muss überwunden werden.“

„Das wahre Frankreich ist zurück“

Mit dieser ansteckenden Begeisterung für Europa hat sich Macron zu jenem Regierungschef in Europa entwickelt, mit dem sich Proeuropäer am ehesten identifizieren können. Seine zweite Botschaft richtet er an die Nationalstaaten. Damit es mit Europa weitergeht, müssten die Regierungen einen Teil ihrer Macht abgeben. „Ich möchte einer Generation angehören, die die europäische Souveränität verteidigen wird. Sie ist die Bedingung dafür, dass kommende Generationen selbst über ihre Zukunft entscheiden können.“ An dieser Stelle seiner etwa 25-minütigen Rede wird er auch konkret. Brüssel verdiene mehr Kompetenzen, um die Zuwanderungsfragen zu lösen, robust die Außengrenzen zu verteidigen, Digitalunternehmen zu besteuern und eigene Einnahmen für die EU zu generieren.

Für die rhetorisch nicht verwöhnten Abgeordneten ist das Gastspiel Macrons schon fast eine kleine Sternstunde dieser Wahlperiode. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker feiert den Gast mit den Worten: „Das wahre Frankreich ist zurück.“ Der Fraktionschef der Sozialisten im Europaparlament, Udo Bullmann (SPD), sagt: „Wir würden gern mehr Staatschefs sehen, die ihr Schicksal so mutig an Europa knüpfen wie Sie.“ Und Manfred Weber (CSU), Chef der christdemokratischen Fraktion, gratuliert: „Wir haben lange warten müssen, um einen so überzeugenden proeuropäischen französischen Präsidenten zu erleben.“

Zwischendurch wird auch Kritik laut

Doch in der anschließenden Debatte wird Macron auch kritisiert. Es kommt nicht gut an, dass Macron dem Haus das Recht streitig machen will, den nächsten Kommissionspräsidenten zu bestimmen. Während der Franzose den Nachfolger von Juncker so wie früher wieder zwischen den Staats- und Regierungschefs auskungeln will, pocht das Parlament darauf, dass nur Chef der nächsten Kommission werden kann, wer zuvor als Spitzenkandidat einer europäischen Parteienfamilie in den Europawahlkampf gezogen ist. Weber mahnt mit deutlichen Worten bei Macron mehr Respekt für das Europaparlament an. Unter Anspielung auf die Aktivisten von Macrons En-Marche-Bewegung, die in Frankreich gerade von Haus zu Haus ziehen und die Meinung der Bürger zu Europa abfragen, sagt er: „Es macht einen Unterschied, ob jemand vor meiner Tür steht und nach meiner Meinung fragt oder ob er da steht und um meine Stimme bittet.“ Echte Demokratie heiße, nicht nur den Menschen zuzuhören, sondern sie auch entscheiden zu lassen.

Auch Bullmann warnt Macron davor, sich zu sehr auf Berlin zu konzentrieren. Unter Anspielung auf den Widerstand, den Angela Merkel gegen einen Europäischen Währungsfonds leisten könnte, meint er: „Madame No in Berlin hat schon gezeigt, wie schwer es wird.“ Und zur Rolle des deutschen Finanzministers Olaf Scholz: „Die Mini-Schäubles werden Ihnen das Geschäft nicht erleichtern.“ Er gibt Macron den Rat mit auf den Weg: „Sie brauchen eine starke Kommission und ein starkes Parlament.“

Auf Widerstand reagiert Macron gereizt

Macron hört sich geduldig die Kritik an, macht sich Notizen. Dann antwortet er detailliert, zuweilen auch mit einer Schärfe, die erahnen lässt, dass ihm die jüngsten schlechten Meinungsumfragen in Frankreich zusetzen. Er reagiert gereizt auf den Widerstand, der ihm entgegenschlägt. Er achte das Parlament zwar als einen „Platz der Demokratie“. Doch es schwingt auch Geringschätzung mit, wenn er den Abgeordneten vorwirft, „im nationalen Denken verhaftet zu sein“.

Der Fraktionschef der Liberalen, Guy Verhofstadt, ist es, der Macron darauf vorbereitet, dass in der Europa-Politik dicke Bretter gebohrt werden müssen: Im Vergleich zu den Konservativen seien die streikenden französischen Eisenbahner ein reformfreudiger Haufen.