Didier Deschamps führte die französische Fußball-Nationalelf als Kapitän 1998 und 2000 zur Welt- und Europameisterschaft. Als Trainer fehlt dem 47-Jährigen bisher ein internationaler Titel. Dementsprechend motiviert ist der Chefcoach der Èquipe tricolore vor dem Duell mit dem Weltmeister.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Marseille - Er hat in seiner aktiven Laufbahn so ziemlich alles an Titeln abgeräumt, was möglich war: Weltmeister 1998 und Europameister 2000 als Kapitän der Mannschaft, Champions-League-Sieger 1993 (mit Olympique Marseille) und 1996 (mit Juventus Turin), dazu Weltpokalsieger, mehrfacher italienischer und einmal französischer Meister, das alles ist Didier Deschamps, einer der besten defensiven Mittelfeldakteure seiner Zeit, als Spieler geworden. Als Trainer hat es immerhin zu einer nationalen Meisterschaft mit Marseille (2010) und vier Jahre zuvor für den Aufstieg mit der alten Dame Juve aus den Niederungen der italienischen Serie B gereicht.

 

Keine Frage also, dass das kleine Energiebündel Deschamps heute im Stade Vélodrome von Marseille, wo an diesem Donnerstag das Thermometer tagsüber auf 30 Grad klettern soll, in der Halbfinalpartie gegen den Weltmeister (21 Uhr/ZDF) zum großen Wurf ansetzen will.

Bereits mit 32 Jahren Cheftrainer in Monaco

„Ich bin als Anführer geboren“, sagt Deschamps, der wie der ehemalige Bayern-Profi Bixente Lizarazu aus dem französischen Teil des Baskenlandes stammt, einem malerischen Landstrich zwischen Atlantikküste und Pyrenäen. Beim AS Monaco haben sie seine Qualitäten damals sehr schnell erkannt. Bereits mit 32 Jahren, unmittelbar nach dem Ende seiner Karriere, machten sie den heute 47-Jährigen zum Cheftrainer – obwohl Deschamps damals noch jünger war als einige seiner Spieler. Oliver Bierhoff etwa, der ihm nun im EM-Halbfinale als Manager der DFB-Elf gegenüber steht.

Vor der Mannschaft von Jogi Löw zeigt Deschamps viel Respekt. Natürlich, das erklärt er den durch den erfolgreichen Turnierverlauf plötzlich wieder erwachten Fußballfans in der Grande Nation, erwarte Les Bleus diesmal ein anderes Spiel als im Viertelfinale beim 5:2 gegen Island. Überhaupt ist Frankreich, das seine Stärken mit den Spielern Dimitri Payet, Olivier Giroud und Antoine Griezmann eindeutig im Offensivspiel hat, bei seiner Heim-EM bisher noch nicht auf Herz und Nieren geprüft worden. Denn die Gegner hießen Rumänien, Albanien, Schweiz, Irland und Island. „Jetzt der Everest!“, titelte unlängst die „L’Équipe“, die Sportbibel des Landes, anlässlich des anstehenden Vergleichs mit dem östlichen Nachbarn. „Deutschland ist nun mal Deutschland. Die beste Mannschaft in Europa – und der Welt“, sagt Deschamps: „Sie haben so viel technische Qualität, schon beim Torhüter angefangen. Je mehr wir sie zum Verteidigen zwingen, umso besser.“

Wie in seiner Analyse reagiert Deschamps auch sonst schnörkellos und konsequent: Als ihm der aufgrund einer Erpressungsaffäre ausgebootete Nationalstürmer Karim Benzema (Real Madrid) sowie der Alt-Internationale Eric Cantona Rassismus vorwarfen und Unbekannte sein Haus beschmierten, da schwieg der Nationaltrainer bei öffentlichen Anlässen – schaltete aber sofort seine Anwälte ein.

Die Franzosen setzen auf ihre Fans

Auch in Bezug auf seine Mannschaft, die er vom sachlichen Torhüter Hugo Lloris von den Tottenham Hotspur anführen lässt, ist der „Sélectionneur“ (Trainer) konsequent. Mögliche Stinkstiefel, welche die Atmosphäre im Team vergiften könnten, wie etwa Franck Ribéry, die lässt er lieber außen vor. So liebäugelte der Profi vom FC Bayern nur ganz kurz vergeblich mit einem Comeback im Nationalteam. Didier Deschamps, der einst 103 Länderspiele absolvierte und als Trainer noch nie außerhalb Frankreichs gearbeitet hat, setzt statt auf zuweilen schwierige Individualisten lieber auf den Teamgedanken. „Jeder muss sich wichtig fühlen“, sagt er – und nominierte nicht die 23 besten Spieler, das werde nur „unerträglich. Wichtig ist die Gruppe.“

Seit 17 EM- und WM-Spielen sind die Franzosen zuhause inzwischen ungeschlagen. Entscheidend gegen den Weltmeister dürfte aus Sicht von Les Bleus aber werden, wie der Zehn-Tore-Angriff mit EM-Toptorjäger Griezmann (vier Tore), Mittelstürmer Giroud und Payet (beide drei) harmoniert. „Wir sind in der Lage, für Gefahr zu sorgen“, betont Deschamps – und setzt auch auf den Heimvorteil mit den vor allem in Marseille besonders enthusiastischen Fans: „Die Zuschauer werden hinter uns stehen. Und das brauchen wir auch.“