Ein Internetportal unterstützt sexuell belästigte Frauen in Ägypten. Bisher wurde das Thema totgeschwiegen oder heruntergespielt.

Kairo - Die Einträge beschreiben Obszönes, Widerliches und Brutales. Es geht um anzügliche Kommentare, gaffende und grapschende Männer bis hin zur versuchter Vergewaltigung. "Ich war auf dem Weg zur Arbeit", schreibt eine Frau, "als auf einmal ein Typ auf einem Motorrad meinen Po betatschte und schnell weiterfuhr. Ich war so schockiert, konnte nicht einmal reagieren." Eine andere Frau berichtet: "Ich wurde von einer Gruppe von Männern gefragt, wie viel eine Nacht mit mir koste. Das war so widerlich, ich fühlte mich wie vergewaltigt."

 

Fast 500 solcher Einträge sind auf Harassmap.org zu lesen, einem Internetportal, das Frauen in Ägypten die Möglichkeit gibt, sexuelle Belästigungen publik zu machen. Per SMS, Twitter, E-Mail oder Telefon können die Nutzerinnen ihre Erfahrungen beschreiben und auch die genaue Adresse angeben, wo etwas passiert ist. Eine Karte zeigt dann die "Hot Spots" an, die Gebiete, in denen sexuelle Belästigung besonders verbreitet ist.

Direkt von Mensch zu Mensch

Rebecca Chiao, Mitbegründerin von Harassmap, geht dann mit ein paar Freiwilligen in die "Hot Spots" und klärt die Menschen auf der Straße über sexuelle Belästigung auf. Sie spricht dann mit Ahmed, dem Ladenbesitzern, Muhammed, dem Türsteher, oder Yussuf, dem Taxifahrer. Sie spricht von Nachbarin zu Nachbar, direkt von Mensch zu Mensch. "Wir machen ihnen deutlich, dass wir alle in einem Boot sitzen und unsere Nachbarschaft zu einem sicheren Ort machen müssen. Das Interesse ist überraschend groß", sagt Rebecca Chiao.

Aufklärung über sexuelle Belästigung, das gab es bisher in Ägypten nicht. Das Thema wurde totgeschwiegen, heruntergespielt. So beschuldigte Suzanne Mubarak, die Frau des ehemaligen Präsidenten, die Medien, aus wenigen Vorfällen von unflätigen Jugendlichen dem ganzen Land ein schlechtes Image zuzufügen. Denn sexuelle Belästigung ist schlecht für ein Land, das vom Tourismus lebt. Und auch die Regierung Mubarak veranlasste Kampagnen, die Frauen dazu aufriefen, sich zu verschleiern, um sexuelle Übergriffe zu verhindern. So wurde den Frauen die Schuld am Fehlverhalten der Männer zugeschrieben. So wurden aus Tätern Opfer.

80 Prozent werden sexuell belästigt

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Laut einer Studie des Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte von 2008 werden über 80 Prozent der ägyptischen Frauen täglich sexuell belästigt - von Kommentaren bis hin zu körperlichen Übergriffen. Ob Frauen Kopftuch tragen oder nicht, macht dabei keinen Unterschied. "Sexuelle Belästigung ist in Ägypten salonfähig", sagt Sally Zoheny von UN Women in Kairo, dem Gremium der Vereinten Nationen für Gleichberechtigung. "Das zeigt sich auch darin, dass die Täter meist nicht allein sind, sondern in Gruppen diskriminieren." Alleine mit ihren Problemen waren hingegen die Frauen in Ägypten. Denn zur Polizei geht hier niemand. Ein Gesetz, das sexuelle Belästigung kriminalisiert, gibt es bis jetzt nicht. Im Gegenteil: auf der Internetseite Harassmap.org wird auch Polizisten vorgeworfen, Frauen sexuell zu belästigen.

Harassmap ist die erste Plattform in Ägypten, die es Frauen ermöglicht, über sexuelle Belästigung zu berichten. Seit acht Monaten gibt es die Seite, bislang wird sie jedoch nur von einem Bruchteil der Frauen, die sexuell belästigt werden, benutzt. Rund 1000 Besucher hat die Seite pro Monat, wöchentlich kommen etwa 13 neue Berichte hinzu, die Zahlen steigen. "Viele Frauen schämen sich, darüber zu berichten, was ihnen passiert ist", sagt Rebecca Chiao. "Wir hoffen, dass wir durch die Anonymität des Internets noch mehr Frauen dazu ermutigen können."

Die Erfolge sind schwer zu messen

In sechs "Hot Spots" in Kairo hat Harassmap die Bevölkerung bereits aufgeklärt. Die Erfolge sind jedoch schwer zu messen. Zwar sind die Berichte aus den betreffenden Stadtteilen auf Harassmap.org weniger geworden, ob die Zahl der Vorfälle auch zurückgegangen ist, lässt sich allerdings nicht nachweisen. Rebecca Chiao glaubt an den Erfolg. "Wir können eine Gesellschaft, in der sexuelle Belästigung gegen Frauen als selbstverständlich angesehen wird, nicht von heute auf morgen ändern", sagt sie. "Wir brauchen Zeit und weiterhin Unterstützung." Rund 400 ehrenamtliche Helfer hat Harassmap bereits - eine beachtliche Zahl für ein neu gegründetes Netzwerk. Und auch Männer machen sich gegen sexuelle Belästigung stark, sie bilden fast die Hälfte der Freiwilligen.

Es braucht wohl noch mehr freiwillige Helfer, um alle Ägypter aufzuklären. Wie das Land ohne sexuelle Belästigung aussieht, das hat die erste Welle der Revolution vor einem halben Jahr gezeigt. Frauen wie Männer demonstrierten auf dem Tahrir-Platz, waren gemeinsam Tränengas und Munition ausgesetzt. "Ägypten war in einem Stadium, wo alle Leute nur ein Ziel hatten, den Sturz Mubaraks. Geschlecht hat hier niemanden interessiert", sagt Sally Zohney von UN Women. Nach dem Sturz Mubaraks zählt in Ägypten das Geschlecht wieder. Die sexuelle Belästigung geht weiter wie zuvor. "Immerhin wissen wir jetzt wenigstens, wie es sich anfühlt", sagt Rebecca Chiao. "Ein Ägypten ohne sexuelle Belästigung ist großartig."