Die Stuttgarter CDU versucht mit dem „Arbeitskreis Lebensgefühl“ die Welt der Großstadtwähler zu ergründen – und tut sich ziemlich schwer. Denn gleichzeitig will man die Stammwähler nicht verprellen.

Der Stuttgarter CDU-Kreischef Stefan Kaufmann fragt sich schon lange, wie es seiner Partei gelingen könnte, die Wähler auch in einem „schwierigen Wettbewerbsumfeld“ zu erreichen. Die Christdemokraten wollten nicht zusehen, wie sich immer mehr Stammwähler ab- und den Grünen zuwendeten. Deshalb gründeten sie nach der verlorenen Kommunalwahl 2009 und deutlich vor dem Debakel bei der Landtagswahl 2011 den „Arbeitskreis Lebensgefühl“. Womöglich hat sich Kaufmann am Montag daran erinnert, als er sagte, es hätten sich parteiintern schon viele Kommissionen mit der Frage beschäftigt, wie die CDU in den Städten Land gewinnen könnte.

 

Das Team unter Kaufmanns Leitung, zu der auch die Ex-Landtagsabgeordnete Andrea Krueger, die damalige Pressesprecherin der CDU, Stefanie Schorn, und der Ex-Wirtschaftsförderer Klaus Vogt gehörten, beschäftigte sich also schon vor mehr als zwei Jahren mit den „neuen Herausforderungen der Großstadt-CDU“ und sammelte Erkenntnisse, die es nach StZ-Informationen allerdings nie in ein beschließendes Gremium geschafft haben. Dafür gebe es triftige Gründe, unken Parteifreunde, die das Privileg genossen, einen Blick in dieses Papier werfen zu dürfen.

Stammwähler pflegen – Wechselwähler gewinnen

Darin findet sich etwa der Aufruf, künftig die „Themen an den veränderten Herausforderungen und Zielgruppen auszurichten“. Man erfährt, dass die CDU „für Themen und Werte“ stehe und sich als „Partner der Bürger“ sehe. Man müsse sich künftig „in den Stadtbezirken zeigen“ und Berührungsängste abbauen. Stammwähler gehörten gepflegt und mobilisiert. Es gelte zudem , Wechselwähler zurück zu gewinnen, Wähler anderer Gruppierungen zu überzeugen und neue Wählergruppen (auch Nichtwähler) zu erschließen.

Wer damit gemeint ist und wie es funktionieren soll, ist dann unter „Konkret“ formuliert: Migranten („zunehmend deutsche Staatsangehörigkeit und damit Wählerpotenzial“) will man zur „politischen Teilhabe“ auffordern. Dafür müsse man sie in ihren Vereinen ansprechen und ihnen Gesprächsangebote unterbreiten, am Besten mit einer „Veranstaltung zum Thema Minarett und Moscheebau“. Sinnvoll erschien 2010 auch eine Werbeaktion „Migranten werden Mitglied in der CDU“. Die Rückkehr zur Großstadtpartei sollte dank der Pflege der Senioren (Stammwähler) erfolgen. „Vorleseabende“ in Altenheimen erscheint der Lebensgefühl-Gruppe ebenso Erfolg versprechend wie Frühstücke in Mehrgenerationenhäusern für das „ausbaufähige Wählerpotenzial Frauen“ sowie Junge-Union-Diskussionsforen auf Facebook für die Generation „U 30“ – schon wegen des Images.

Die Vereine als Hebel

Der Kreischef hat damals Defizite bei der politisch-inhaltlichen Arbeit an der Basis identifiziert. Die Bezirksgruppen müssten deshalb deutlicher als „CDU im Stadtbezirk“ und „CDU in der Nachbarschaft“ aktiv in Erscheinung treten. Unvermeidlich offenbar zur Lösung des Großstadtproblems: „CDU-nahe Vereinsvertreter sollen für einen Parteieintritt gewonnen werde.“ Vierteljährige Foren mit den Bezirksgruppen, die in der City einen schweren Stand haben, und den Stadträten im Technikausschuss des Gemeinderats, sollten Pflicht werden, zwecks Informationsaustauschs. Die Parteienvertretern wollte man bitten, „stadtteilpolitische Themen zu definieren und zu vertreten“. Wichtig zu wissen: Es sollte „primär von der Perspektive der Basis her gedacht werden“, ohne natürlich „übergeordnete politische Erwägungen außer Acht zu lassen“.

Die Gruppe Lebensgefühl hatte ein Gespür für die „heißen Eisen“: Auf der einen Seite suchten junge Familien Wohnraum, stellte sie fest; auf der anderen wollten die Stammwähler aber keine neuen Wohngebiete, damit ihre Umgebung grün bleibe. Auch beim Thema Verkehr sieht sich die CDU in der Zwickmühle: Jeder habe ein Auto, sei aber gegen Verkehr und Feinstaub. Dafür gebe es aber eine Lösung: Umfahrungen und Lärmschutzwälle. Klar auch: „Das Parkchaos in der Innenstadt darf keine negativen Folgen für dortige Bewohner haben.“