Kanada richtet die Fußball-WM aus – aber die Bevölkerung hat das noch nicht richtig wahrgenommen. Doch die Begeisterung könnte enorm steigen, wenn das eigene Team gut spielt.

Ottawa - Mag ja sein, dass Ottawa mal als verschlafenes Provinznest gegolten hat. Inzwischen geht die kanadische Kapitale an der Grenze zwischen Ontario und Québec vielerorts als Inbegriff pulsierender Lebensfreude durch, und eigentlich reicht es dafür, wenn in den Abendstunden einige wärmende Sonnenstrahlen auf den belebten Byward Market fallen. Nur von einer Sache haben zumindest etliche der jungen Besucher in den Kneipen, Restaurants und Szenetreffs noch nichts mitbekommen: am Wochenende beginnt die Frauenfußball-WM.

 

Mit dem Europameister Deutschland (gegen die Elfenbeinküste) und seinem Finalgegner Norwegen (gegen Thailand) bestreiten am Sonntag zwei erklärte WM-Favoriten im TD Place Stadium gleich am schönen Rideau Kanal ihre Auftaktpartien, aber wer sich beispielsweise im „Aulde Dubliner“ an der William Street umhört, der erntet mitunter ungläubige Blicke: Das Ereignis ist bei einigen Einheimischen (noch) gar nicht angekommen, obwohl das feudale Schlosshotel der in der Hauptstadt beherbergten vier Nationalteams in Sichtweite liegt. Und selbst manchem Leitmedium fehlt es noch am Durchblick. Die „Ottawa Citizens“ informiert ihre Leser darüber, dass Deutschland das Finale der WM 2011 gegen Japan verloren habe und die Bundestrainerin Silvia Reid heiße (also nicht Neid). Was beides so nicht ganz zutreffend ist. Aber muss alles stimmig sein?

Ein Frauenturnier bezieht seinen Charme aus dem im Vergleich zu den Männern sehr familiären Charakter. Sicherheitsringe um die Arenen sind ebenso überflüssig wie Wachleute vor den Quartieren. Wenn Deutschlands Fußballerin des Jahres Alexandra Popp meint, sie muss in der nahe gelegenen Shopping-Mall noch Badelatschen kaufen, dann geschieht das anonym. Die Aufklärung über die anwesenden Stars läuft gerade erst an: Die „Ottawa Sun“ schlägt neben den vielen Eishockey-Seiten für den just begonnenen Stanleycup immerhin eine für die auf 24 Teilnehmer ausgeweitete Frauen-WM frei. Dabei ist zu erfahren, dass die 24 000 Zuschauer fassende Spielstätte dank Nadine Angerer und ihren Kolleginnen so gut gefüllt sein wird wie sonst nur bei einem Football-Match.

Die Rekordkulisse von 14 593 Besuchern, die mal die Fußballer von Ottawa Fury FC in den Lansdowne Park gelockt haben, wird nämlich locker überboten. 80 Prozent der Tickets für die ersten beiden Gruppenspieltage sind weg, wobei der so genannte „Doubleheader“ hilft. In allen sechs Spielorten werden zwei Gruppenspiele nacheinander im Drei-Stunden-Abstand organisiert. Das Viertelfinale in Ottawa ist aber auch so ausverkauft, möglicherweise spielt dann der Gastgeber vor.

Insgesamt hoffen die Organisatoren, rund 1,5 Millionen Karten für die 52 Spiele abzusetzen. Was gelingen sollte in einem sportbegeisterten Land, auch wenn hier Eishockey selbst in Zeiten des Klimawandels die heißeste Ware bleibt. Victor Montagliani, der Präsident des kanadischen Fußball-Verbands CSA, zeigt sich optimistisch, eine Welle der Begeisterung zumindest durch jene Städte schwappen zu lassen, in denen die USA und Kanada, aber vielleicht auch Deutschland, Frankreich oder Schweden auftreten. „Wir wollen zeigen, dass der Frauenfußball ein großes Wachstumspotenzial hat.“

Nach CSA-Angaben ist fast die Hälfte seiner registrierten Mitglieder weiblich, die Zahl der mit Soccer verbandelten Frauen und Mädchen wird mit 400 000 angeben. Zudem hat die kanadische Frauen-Nationalmannschaft mit dem Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 2012 in London ein Ausrufezeichen gesetzt. Um sich nun einen weltmeisterlichen Goldtraum zu erfüllen, wurde das Team seit Monaten zusammengezogen und ein Trainingslager sogar auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan abgehalten. Eigentlich verteilt der Verband seine besten Spielerinnen auf die US-amerikanische Profiliga NWSL und begleicht auch deren Gehälter. Doch zuletzt war die Elite nur selten im Einsatz. Die Rekord-Nationalspielerin Christine Sinclair, die in 222 Länderspielen sagenhafte 153 Tore erzielte, ist übrigens die Teamkollegin von Nadine Angerer bei den Portland Thorns.

Die Ahornblätter, die am Samstag in dem 56 000 Zuschauer fassenden Commonwealth Stadium gegen China (24 Uhr/ZDF) spielen, spüren allmählich, dass es mit der sonst üblichen Beschaulichkeit dahin ist, wenn das öffentliche Brennglas auf sie gerichtet ist. „Wir müssen das Finale erreichen. Dieses Mal, als Gastgeber, haben wir keine Wahl“, schrieb der Trainer John Herdman in seiner Kolumne für die „The Globe and Mail“. „Es wird die größte Herausforderung unseres Lebens.“