Nach der Halbfinal-Niederlage der deutschen Fußball-Frauen gegen die USA stellen sich für das DFB-Team einige Fragen. Zum Beispiel, ob wirklich allein die Schiedsrichterin mit fragwürdigen Entscheidungen Schuld am Ausscheiden war?

Montreal - Es ging schon auf Mitternacht zu, da stand der Mannschaftsbus der deutschen Frauen-Nationalmannschaft immer noch im Erdgeschoss des Olympiastadions von Montreal. Eingepfercht in einem engen Bereich unter der riesigen Tribüne mit ihren rissigen Betonblöcken. Schwarze Stellwände sollten das Gefährt vor neugierigen Blicken schützen, trotzdem war die Bundestrainerin Silvia Neid in der ersten Reihe zu erkennen, wie sie auf die Abfahrt wartete. Ihre Miene regungslos, der Blick leer.

 

Da hatte jemand ganz gewaltig an dem 0:2 (0:0) im WM-Halbfinale gegen die USA zu knabbern. Vielleicht war es der erste Moment, in dem die 51-Jährige ihre Gedanken sortierte. Hatte ihr Team vor endlich einmal mehr als 50 000 Menschen, fast ausnahmslos weit angereiste und entsprechend aufgeregte Unterstützer der US-Girls, wirklich alles abgerufen? Kämpferisch war das ja unbestritten, aber spielerisch und taktisch? Und stimmte es wirklich, was die Trainerin in der Pressekonferenz festgestellt hatte?

„Ich denke, es war ein tolles, ausgeglichenes Halbfinale mit zwei starken Mannschaften. Wir waren nur im Abschluss zu unpräzise“, sagte Neid da, ehe sie im grellen Scheinwerferlicht zudem klare Beschwerden gegen die Schiedsrichterin Teodora Albon vorbrachte: Die rumänische Unparteiische hätte, so meinte die Trainerin, zum einen der US-Amerikanerin Julie Johnston Rot zeigen müssen („Das ist die Regel“), als diese an die Schulter von Alexandra Popp griff, woraufhin Célia Sasic beim Stande von 0:0 einen Elfmeter am Tor vorbeischoss (63.). Zum anderen habe Annike Krahn bei ihrem regelwidrigen Eingreifen gegen Alex Morgan das Foul vor dem Strafraum begangen. „Ganz klar außerhalb. Aber wir müssen damit leben, dass dieser Elfmeter das Spiel entschieden hat“, resümierte Neid.

Annike Krahn: „Die USA haben verdient gewonnen“

Die Matchwinnerin Carli Lloyd, die später mustergültig noch das 2:0 von Kelley O’Hara vorbereitete (84.), schickte die Elfmetertöterin Nadine Angerer beim 0:1 mal eben in die falsche Ecke (69.). Die Vorentscheidung. Neben der Kraft fehlte dem ermüdeten Europameister aber auch die Klasse, um den topfitten Olympiasieger in die Knie zu zwingen. Erstaunlich, dass ausgerechnet Neids Musterschülerin Annike Krahn vor ihrem 30. Geburtstag am Mittwoch daher gestand: „Die USA haben verdient gewonnen. An der Schiedsrichterin lag es nicht allein.“

Die pragmatisch veranlagte Abwehrchefin ist diejenige, die immer die Kleiderwahl fürs Team vornimmt. Diesmal trugen also alle auf ihr Geheiß einen grauen Kapuzenpullover, und beim Abgang verstärkte sich so der optische Eindruck, als sei da ein Trauermarsch unterwegs. Und doch waren die Szenen nicht vergleichbar mit den Bildern vom 9. Juli 2011, als viele dieser Spielerinnen nach einem 0:1 gegen Japan im Viertelfinale der Heim-WM tränenüberströmt auf dem Naturrasen von Wolfsburg kauerten.

In Montreal war auf dem Kunstrasen nicht eine zusammengesackt. Alle blieben stehen, sogar die untröstliche Fehlschützin Célia Sasic. Und es hatte auch Größe, wie die US-Antreiberin Alex Morgan auf ihre Portland-Mitstreiterin Nadine Angerer zuging, um Komplimente auszusprechen. Für einen Fight, den Angerers Vorderleute indes nur zeitweise auf Augenhöhe zu führen vermochten. Die tüchtige Torhüterin war allerdings mit die Erste, die den Blick recht entschlossen nach vorne richtete. „Ich denke, wir haben eine gute WM gespielt. Wir hätten den dritten Platz absolut verdient.“

Torfrau Nadine Angerer bestreitet ihr letztes Länderspiel

Zumindest die 36-Jährige hat also für ihr allerletztes Länderspiel noch ein lohnendes Ziel ausgemacht – die Partie um Platz drei. Dieser Umstand ersparte der DFB-Auswahl am Mittwoch auch die sofortige Abreise aus Kanada, sondern er erforderte nun einen Weiterflug nach Edmonton. Dort geht es im Commonwealth Stadium darum, am Samstag um 22 Uhr MESZ gegen den Verlierer des zweiten Halbfinales zwischen Japan und England (das Spiel war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet) noch auf ein imaginäres Podium zu klettern.

„Wir wollen einen schönen Abschluss. Ich bin zufrieden, denn wir haben viele Teams aus dem Turnier geschossen. Wir können erhobenen Hauptes gehen“, insistierte Silvia Neid, die für eine bessere Zukunft auf einen Lerneffekt setzt: „Man kann als junge Spielerin ja nicht ohne Niederlage durchs Leben laufen.“