Die deutschen Fußballerinnen begeistern auch beim Halbfinalsieg gegen Frankreich nicht nur die Zuschauer, sondern auch sich selbst. Jetzt ist die Freude groß auf das Duell mit England.

Fast ein bisschen schade, dass am Donnerstag bereits ein Hauch von Schwermut in der Luft lag. Auch wenn der Syon Park in Brentford wie alle Grünanlagen Londons wegen der Trockenheit ziemlich mitgenommen aussieht, hätte die Delegation des deutschen Frauen-Nationalteams ihren Stammsitz gerne nicht gerade jetzt aufgegeben, wo die EM mit dem flirrenden Finale zwischen England und Deutschland in Wembley (Sonntag, 18 Uhr/ARD) auf ihren Höhepunkt zusteuert. Während zwischen Kiel und Konstanz eine ungeahnte Aufbruchsstimmung zu spüren ist, herrschte zwischen den spitzen Giebeln der lieb gewonnenen Herberge eine eigenartige Abschiedsstimmung.

 

Es war der Gegenentwurf zum Abend zuvor. Da hatten sie gejubelt im DFB-Team, sie hatten getanzt, sich geherzt – und auch immer wieder ungläubig den Kopf geschüttelt. Und all diese Regungen führen wiederum auch zu einer riesengroßen Vorfreude.

„Es wird ein großartiges Fußballfest“

Auf ebendieses Endspiel, das sich das deutsche Team mit einem 2:1-Erfolg am Mittwochabend gegen die spielstarken Französinnen verdient hatte. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg jedenfalls konnte die Gier nach diesem bevorstehenden Erlebnis kaum zurückhalten, als sie sagte: „Es wird ein großartiges Fußballfest, das ist ein Klassiker. Was England in diesem Turnier gezeigt hat, ist natürlich brutal gut.“

Vor fast 90 000 Menschen in Wembley zu spielen, die den Rückhalt einer nach einem Fußballtitel dürstenden Nation transportieren werden, elektrisiert die Trainerin: „Wenn uns vor der EM jemand gesagt hätte, dass das passieren würde, mit den vielen Geschichten, den Ausfällen, mit allem, was wir verkraftet haben, dann hätte man sich kneifen können.“ Als Schlüssel, dass alles kein Traum, sondern Realität ist, gilt der Teamgeist der besten deutschen Fußballerinnen.

Martina Voss-Tecklenburg hat 23 Vorzeigefrauen

Immer wenn ihre Spielerinnen auf Pressekonferenzen über diesen besonderen Zusammenhalt reden – wie es Doppeltorschützin Alexandra Popp am Mittwoch tat –, setzt die 54-jährige Trainerin ein Lächeln auf, wie es sonst nur Mütter tun, deren Töchter gerade eine Eins im Sozialverhalten im Klassenzeugnis nach Hause gebracht haben. Weil ihre 23 Vorzeigefrauen, fast schon die neuen Lieblinge der Nation, nicht nur über diesen Geist reden, sondern ihn auch leben.

Am Mittwoch etwa stürmte das gesamte Team zu Matchwinnerin Alexandra Popp, als die Stürmerin gerade ein Interview vor einer Werbetafel gab. Zu feiern gab es schließlich nicht nur den Finaleinzug, sondern auch Popps außergewöhnliche Geschichte. Nach einer Knieverletzung stand nicht nur ihre Teilnahme an der EM, sondern ihre Karriere infrage. Sie schaffte es, dabei zu sein, erkrankte jedoch an Corona und war eigentlich nur als Einwechselspielerin vorgesehen. Nun hat sie sechs Tore in fünf Partien auf ihrem Konto. Und will noch mehr. Den Titel. Vielleicht auch die Torjägerkrone – Englands Beth Mead steht ebenfalls bei sechs Treffern. „Das erste Ziel ist ganz klar, den Europameistertitel zu holen“, sagte Popp und bedankte sich bei ihren Mitspielerinnen: „Ich profitiere extrem von den Mädels, so dass ich Möglichkeiten überhaupt bekomme, diese Bälle zu versenken.“

Deutschland hat alle seine acht EM-Endspiele gewonnen

Alle zusammen können auch mit Blick auf die Historie – Deutschland hat alle seine acht EM-Endspiele gewonnen – weiter diese Welle reiten, um den ersten Titel seit dem Olympiasieg 2016 zu gewinnen, den damals noch die mit strengerer Hand regierende Erfolgsgarantin Silvia Neid anleitete.

Die von Voss-Tecklenburg mit mehr Eigenverantwortung betraute Generation weiß zudem, wie sich ein Sieg auf heiligem Rasen vor vollem Haus anfühlt. Auch wenn es nur ein Freundschaftsspiel war, aber der 2:1-Sieg vom 9. November 2019 ist etwas, an das sich Torhüterin Merle Frohms „jetzt wieder gerne erinnert“: Sie hatte damals als neue Nummer eins einen Elfmeter gehalten. Wembley stöhnte auf. Daumen drückt jetzt auch der von gefühlt jedem englischen Fußballfan geliebte Trainer-Heilige Jürgen Klopp, der sich mit einer anerkennenden Videobotschaft gemeldet hat. Eine von vielen Koryphäen des Männerfußballs, die plötzlich etwas über die Frauen zu sagen haben.

Dass Politiker gerne auf einen Erfolgszug springen, ist auch bekannt. Und so kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz umgehend sein Kommen für Sonntag an; wenig hilfreiche Tweets mit populistischem Unterton zum Thema Equal Pay wird er sich nun wohl sparen. Dass aber die Debatte über eine angemessene Prämie nicht ausgestanden ist, war Bernd Neuendorf anzumerken.

Der DFB-Präsident bremst die Prämien-Debatte

Einerseits schwärmte der DFB-Präsident von der „tollen Vorbildfunktion, erfrischenden Gesichtern und starken Charakteren“ und betonte, wie sehr er sich freue, „dass Spielerinnen, die vor drei, vier Wochen noch nicht bekannt waren, jetzt in aller Munde sind“. Jedoch erstickte er jede Anregung, ob die vereinbarten Erfolgszahlungen – 60 000 Euro für den Sieg, 30 000 Euro als Zweiter – vielleicht noch erhöht werden könnten.

Die Verhandlungen seien abgeschlossen, bekundete der Verbandsboss und schob nach: „Ich glaube, dass es jetzt primärer ist, den Pokal in die Luft zu recken. Das ist jetzt das Allerwichtigste.“ Dass der DFB-Boss jedoch nicht abgeneigt ist, für die WM 2023 in Australien und Neuseeland auch die finanzielle Belohnung jener zu erhöhen, die für den deutschen Fußball gerade eine unbezahlbare Imagewerbung erbringen, war dann doch bei ihm herauszufiltern.

Und klar, auch Neuendorf kommt am Sonntag aufs Neue nach London.