Frauenfußball bietet sich bei der Europameiterschaft in den Niederlanden als Alternative zur Kommerzshow der Männer an. Ein Kommentar von Peter Stolterfoht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Das Fußballzitat des Jahres steht bereits im Juli fest. Es stammt von Julian Nagelsmann, der sich zum Frauenfußball geäußert hat: „Es ist ein viel ehrlicherer Sport als Männerfußball. Frauen heulen viel weniger rum. Wenn sie hinfallen, stehen sie sofort auf und spielen weiter. Da gibt’s keine Verzögerung, kein Gejammer, da ist nie jemand bei der Schiedsrichterin. Das gefällt mir.“ Die Aussage des Trainers von Hoffenheims Bundesligateam (Männer) bringt den neuen Stellenwert des Frauenfußballs in Deutschland auf den Punkt. Früher fielen die ständig herangezogenen Vergleiche zwischen Fußballerinnen und Fußballern prinzipiell zu Ungunsten der Frauen aus, wurden geringere Spielgeschwindigkeit und Dynamik bemängelt. Was häufig zu diesem Fazit führte: Kann man sich nicht anschauen. Eine Einschätzung, die nicht mehr mehrheitsfähig ist.

 

Sieben Millionen Fernsehzuschauer sahen das letzte deutsche EM-Gruppenspiel gegen Russland. Bei der Viertelfinalpartie an diesem Samstag gegen Dänemark werden noch einige mehr dazukommen. Obwohl die deutschen Leistungen unter der neuen Bundestrainerin Steffi Jones im bisherigen Turnierverlauf nicht besonders überzeugend waren und bei Weitem nicht an jene heranreichen, die im vergangenen Jahr zum Olympiasieg führten.

DFB-Elf hat ihren Platz gefunden

Was aber nichts daran ändert, dass die weibliche DFB-Elf ihren Platz im Sport gefunden hat – als erfrischend unaufgeregte Alternative zur durchkommerzialisierten Fußballshow bei den Männern. Von der wenden sich immer mehr Fans ab. Das Kontrastprogramm ist eine Nische, in der sich der Frauenfußball mittlerweile gut eingerichtet hat.

Die Bundesligaklubs der Männer sind mittlerweile zum Großteil vom Hauptverein abgekoppelte GmbHs, deren Ziel es ist, neue Märkte und Geldquellen zu erschließen. Dafür geht es in der Sommerpause in die USA und nach Asien. Oder man steigt ins E-Sport-Geschäft ein, weil man sich über den Computerspielmarkt Wachstum verspricht. Als dritter Bundesligist hat der VfB Stuttgart gerade eine E-Sport-Abteilung gegründet und dafür zwei professionelle Konsolen-Daddler verpflichtet, die für den Club am Computer antreten. Davon scheint sich der VfB mehr zu versprechen als von einer Frauenfußball-Abteilung. Das ist ein völlig falsches Zeichen in Zeiten, in denen man Mädchen für Fußball begeistern kann und Jungs mit Fußball eigentlich von der Playstation wegholen will.

Aber es geht auch anders: Wolfsburg, Hoffenheim, Bayern München, der 1. FC Köln, Werder Bremen und der SC Freiburg sind nicht nur mit den Männern, sondern auch mit einem Frauenteam in der ersten Liga vertreten. Obwohl die Zuschauerzahlen in der Frauen-Bundesliga weiter überschaubar sind.

Athletischer, aber auch defensiver

Während der Turniere wird Frauenfußball aber regelmäßig zum Großereignis, so wie jetzt bei der EM in den Niederlanden. Dort erinnern die Spiele auch nicht mehr so stark wie früher an WM-Klassiker aus den 1960er und 1970er Jahren, die im Nachtprogramm des WDR gezeigt werden. Als Franz Beckenbauer ohne Eile durchs Mittelfeld lief und ganz viel Zeit für technische Kunststücke fand. Auch der Frauenfußball ist athletischer geworden, allerdings auch defensiver.

Was sich aber noch nicht geändert hat: Welt- oder Europameisterschaften werden weiter zum Anlass genommen, über die Bedeutung des Frauenfußballs zu streiten. Und oft geht es um die korrekte Form der Berichterstattung. Gerade hat die alternative „taz“ dem Fachblatt „kicker“ via Kommentar Vorhaltungen gemacht, die EM-Ergebnisse nicht auf die Spitzenposition ihrer Homepage gestellt zu haben. Solche Diskussionen bringen den Frauenfußball bestimmt nicht weiter. Julian Nagelsmanns Ausführungen haben da schon eine ganz andere Wirkung.